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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 5/2020

Vom Nutzen von Fahrradhelmen

Helme hassen hilft nicht

Helme schützen den Kopf bei Stürzen und Unfällen – sie machen aber nicht den Fahrradverkehr sicherer. fairkehr legt Vorurteile ab und probiert Helme an.

Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters: Das fairkehr-Team testet Fahrradhelme auf Alltagstauglichkeit.

So hatten wir das nicht geplant. Zweimal sind unsere Tester auf ihren Fahrradfahrten mit Helm gestürzt und auf die Straße geknallt: einmal bergab mit nur einer Hand am Lenker, das andere Mal durch Wegrutschen in einer Bodendelle auf regennassem Kopfsteinpflaster. Zum Glück haben sie sich beim Aufprall auf den Boden nur Schürfungen, Prellungen und einen Riesenschreck zugezogen – aber keine Verletzungen am Kopf.

Zum ersten Mal nimmt sich fairkehr die Fahrradhelme vor. Viele Jahre war das Thema unter überzeugten Radfahrerinnen und Radfahrern hoch emotional besetzt und löste antiautoritäre Reflexe und böse Leserbriefe aus. Zeigt fairkehr radfahrende Menschen ohne Helm, kommen ermahnende Leserbriefe, die der Redaktion vorwerfen, sie ginge nicht mit gutem Beispiel voran: Schließlich könne der Helm bei Unfällen das Leben retten. Druckt die Redaktion Fotos mit behelmten Köpfen, geht es schnell ins andere Extrem: fairkehr leiste der Helmpflicht Vorschub, heißt es dann. Hätte sich die Mehrheit der Menschen erst einmal an das Bild von Radfahrer*innen mit Helm im Straßenverkehr gewöhnt, wäre es für den Gesetzgeber nur noch ein kleiner Schritt, das Tragen eines Helmes zur Pflicht zu machen.

Missionarischer Eifer ist aber fehl am Platz: fairkehr und VCD – die Autorin eingeschlossen – waren und sind gegen eine Helmpflicht. Sie nähme uns die Freiheit, uns zu entscheiden. Wir lieben das beglückende Gefühl, einfach loszuradeln, den Wind in den Haaren zu spüren; wir wollen nicht immer daran denken, dass bei Fehlverhalten oder einfach nur Pech auf der Straße der Tod droht. Es fehlen auch verlässliche Zahlen, die das Einschreiten des Gesetzgebers nötig erscheinen ließen. Demzufolge gilt nach aktuellem Stand der Rechtsprechung das Nichttragen eines Fahrradhelmes bei einem Unfall nicht als Mitverschulden – auch wenn einige Versicherer das fordern.

Gefährliche Fahrradfahrten

Tatsächlich verunglücken von Jahr zu Jahr mehr Radfahrer*innen im Straßenverkehr. Dabei erfasst die Statistik längst nicht alle, denn von Stürzen und Kollisionen untereinander erfährt die Polizei in der Regel nichts. Aber das ist amtlich: Jeden Tag stirbt mindestens ein Mensch in Deutschland auf dem Fahrrad. Allein in Berlin haben bis Oktober in diesem Jahr schon 15 Radfahrer*innen ihr Leben verloren, die meisten getötet durch abbiegende Autos oder Lastwagen. Bei diesen Unfällen hätte ihnen das Helmtragen nichts genützt. „Sicheren Fahrradverkehr bekommen wir nur durch eine gute Infrastruktur, durch Radwege, die durch ihre Beschaffenheit, ihre Breite und Wegführung diese Bezeichnung auch verdienen“, sagt Annika Meenken, Sprecherin für Radverkehr im VCD. „Unbestritten ist: Radfahrer*innen sind – neben Menschen, die zu Fuß ihrer Wege gehen – die Schwächsten im autozentrierten Straßenverkehr. Wir müssen sie schützen, zum Beispiel durch grundsätzliches Tempo 30 innerorts mit Ausnahmen für Tempo 50. Der VCD setzt sich dafür ein, dass auch Kinder auf dem Fahrrad sicher unterwegs sein können.“

Am meisten betroffen: der Kopf

Trotzdem ist es diese Angst, unter die Räder zu kommen, die uns zum Helm greifen lässt. Dazu kommen die Stürze an Schwellen und Bordsteinkanten, die durch einen kurzen Moment der Unaufmerksamkeit geschehen oder auf das Konto von Physik und Schwerkraft gehen. Auch die vielen E-Bikes haben die Zahl der Unfälle in die Höhe schnellen lassen. Die Auffassung, dass ältere Menschen das Radfahren nicht mehr sicher beherrschen und mit ihren neuen Pedelecs verunglücken, erklärt es nur zum Teil. Elektroräder beschleunigen stärker und auch noch, wenn das Vorderrad schon an ein Hindernis stößt. Da ist der Mensch schneller als gedacht aus der Balance gekippt. Und beim Fallen wird der Kopf so schwer, dass man ihn nicht halten kann.

Beim Aufprall hilft der Helm ohne Zweifel. Verschiedene Studien belegen, dass sie Kopfverletzungen mildern und dass Helme schwere Schädel-Hirn-Traumata, die oft tödlich ausgehen, verhindern können. Deutlich wurde aber auch, dass ihre Schutzwirkung Grenzen hat, zum Beispiel im Bereich des Gesichts oder des Kiefers. Und wir hatten es schon gesagt: Wer an Kreuzungen von einem Lastwagen übersehen wird, hat auch mit Helm keine Chance, unversehrt zu bleiben.

Schauen wir über die Grenze in die Niederlande und nach Dänemark, von deren Rad­infrastruktur wir nur träumen können. Die Gewohnheiten unserer Nachbarn sind, was das Helmtragen angeht, sehr unterschiedlich.

In den Niederlanden trägt eigentlich niemand einen Helm. Selbst Kinder radeln oben ohne, die Eltern sowieso. Die Niederländer*innen nehmen ihren Nachwuchs auf Gepäckträgen mit, in Körbchen und Anhängern – fast immer ohne Helm. Kürzlich postete der niederländische König Willem-Alexander stolz ein Video seiner elfjährigen Tochter, wie sie mit dem Hollandrad winkend vom Wohnsitz der Familie zur Schule in Den Haag davonradelt – ohne Helm natürlich. „In den Niederlanden ist Radfahren wie Zufußgehen. Da geht es um Komfort“, berichtet fairkehr-Autor Martin Unfried, der in Maastricht lebt. „Dafür haben wir unsere tolle Infra­struktur, damit wir auf dem Rad mit schickem Anzug und nicht in Kampfmontur – mit Helm und gelber Weste – gekleidet sein müssen. Das Rad gehört in diesem Sinne zum Körper“, sagt er. Auch der niederländische Fahrradclub „Fietsersbond“ glaubt nicht, dass Helme zu mehr Sicherheit führen. Die größte Gefahr sei, dass Radfahren durch Helmtragen als etwas Gefährliches angesehen werde und deshalb weniger Leute Rad fahren würden.“

Der Airbag Hövding geht beim Sturz oder Unfall explosionsartig auf und legt sein Luftpolster schützend um Kopf und Nacken. Laut Hersteller bietet die Airbag-Technologie bis zu achtmal besseren Schutz als herkömmliche Fahrradhelme.

Airbag statt Helm

In Kopenhagen dagegen scheint sich der Kopfschutz im Alltag eher durchzusetzen. Statt des Helms sieht man dort viele Menschen mit Airbag Rad fahren. Der Hövding, so heißt der Kragen des schwedischen Herstellers, den man um den Hals trägt, bläht sich beim Sturz innerhalb einer Zehntelsekunde auf und legt sich wie eine Luftpolster-Kapuze schützend um Kopf und Nacken. Denn trotz der sehr guten, vom Autoverkehr meist baulich getrennten Radwege, kommt es auch in Dänemark zu Begegnungen mit motorisierten Verkehrsteilnehmer*innen. Auch dort gibt es rutschiges Pflaster, viel Regen, schlechte Sicht, Hindernisse und Bordsteinkanten. Viele Däninnen und Dänen sehen es pragmatisch. „Falle ich hin, hilft mir der Helm, er schützt meinen Kopf“, antwortete ein Freund in Kopenhagen, nach seiner Gewohnheit des Helmtragens befragt. „Ich trage ihn einfach immer, niemand schaut mich schräg an, auch nicht, wenn ich mit dem Helm in den Laden zum Einkaufen gehe. Das ist normal. Schließlich sind wir alle Radfahrer.“

Die fairkehr-Redaktion hat das Tragen unterschiedlicher Modelle im Alltag ausprobiert. Dabei kamen nur Helme zum Einsatz, die TÜV-geprüft waren und das GS-Zeichen für geprüfte Sicherheit vorweisen konnten. Die überschaubare Auswahl zeigt schon die Vor- und Nachteile einzelner Helmtypen und eignet sich auch für einen sehr subjektiven Design­test: Denn nur, wenn der Helm gefällt und gut sitzt, wird er überhaupt getragen.

Noch ein Letztes zu den Stürzen: Ist der Helm einmal mit oder ohne Kopf so richtig auf den harten Boden gefallen, soll er ersetzt werden. Das sagen TÜV und Hersteller unisono. Es könnten feine Risse entstanden sein, die die Schutzfunktion herabsetzen. Einige unserer Testhelme düften damit ihren Zweck bereits erfüllt haben.

Uta Linnert

Was macht eigentlich einen guten Fahrradhelm aus? Die fairkehr-Redaktion hat verschiedene Modelle probiert und einen subjektiven Kriterienkatalog erstellt. Hier geht´s zu unseren Erfahrungen.

fairkehr 5/2020