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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 4/2020

Mehr tote Radfahrer

Keine Besserung in Sicht

Die amtliche Unfallstatistik belegt: Der Verkehr wird sicherer, aber nicht für Radfahrer*innen.

Menschen zu Fuß oder auf dem Rad verletzen sich meistens bei Unfällen in Ortschaften.

Laut Statistischem Bundesamt hat der Verkehr in Deutschland 2019 3 046 Menschen getötet und 384 000 verletzt. Es wäre möglich, die Zahlen positiv zu interpretieren: Letztes Jahr starben so wenige Menschen auf ihren Wegen wie noch nie seit Beginn der statistischen Erfassung, und im Vergleich zu 2010 ist die Zahl der Verkehrstoten um 16,5 Prozent gesunken. Aber angemessen wäre das nicht. Denn der Verkehr löscht alle drei Stunden ein Menschenleben aus und die Bundesregierung wird ihr Ziel, die Zahl der Verkehrstoten innerhalb einer Dekade um 40 Prozent zu senken, krachend verfehlen.

Radfahrer*innen sind von der viel zu langsamen positiven Entwicklung völlig abgekoppelt – bei ihnen stieg die Zahl der Unfalltoten parallel zu den zurückgelegten Personenkilometern in den vergangenen zehn Jahren um rund 17 Prozent. Laut TÜV-Verband sank die Zahl der Verkehrstoten im ersten Quartal 2020 aufgrund des geringeren Verkehrsaufkommens in der Corona-Krise weiter – außer bei den Radfahrer*innen. Denn Radfahren ist in Pandemiezeiten beliebt, da keine Ansteckungsgefahr besteht und es die Abwehrkräfte stärkt.

Minister Scheuer knickt ein

Was also tun als Bundesverkehrsminister? Logisch! Das Radfahren sicher machen. Sollte man meinen. Nicht so Andreas Scheuer. Der Minister, der mit der StVO-Novelle 2020 bessere Bedingungen für Radfahrer*innen und höhere Bußgelder für Autofahrer*innen auf den Weg brachte, ist doch noch vor der Autolobby eingeknickt: Wer innerorts mindestens 21 km/h und außerorts mindestens 26 km/h zu schnell unterwegs ist, sollte unter anderem einen Monat den Führerschein abgeben. Das brachte der Bundesrat in die StVO-Novelle ein. Scheuer gefiel das gar nicht. Die Strafe sei unverhältnismäßig. Schnell wurden der Führerscheinentzug und alle Änderungen im Bußgeldkatalog wegen eines selbst verursachten Formfehlers ausgesetzt. Unverhältnismäßig? Für die 53 687 Menschen, die letztes Jahr von Raser*innen verletzt worden sind, oder die Hinterbliebenen der 963 Todesopfer muss sich das wie ein Schlag in die Magengrube anfühlen.

Radfahrer*innen kommen vor allem bei Unfällen mit Autos zu Schaden. Die Schuld tragen zu 75 Prozent die Autofahrer*innen. Besonders häufig sind Abbiegeunfälle. Technische Assistenzsysteme können diese verhindern und Leben retten. Die EU schreibt sie für Lkw über 3,5 Tonnen und Busse ab neun Personen ab 2022 für neue Fahrzeugtypen und ab 2024 für alle Neuzulassungen vor.

Eine weitere Gefahrenquelle: das sogenannte Dooring. Autoinsassen öffnen die Autotür unmittelbar vor einem Radler, der nicht mehr ausweichen kann. Radfahrer*innen sollen vorsichtshalber einen Meter Abstand zu parkenden Autos halten. Gleichzeitig sollen Autofahrer*innen die Radfahrer*innen mit 1,5 Meter Abstand überholen. Das ist mit deutscher Fahrradinfrastruktur oft nicht machbar. Laut einer neuen Untersuchung der Unfallforschung der Versicherer hängen 18 Prozent aller Unfälle, bei denen Radfahrer oder Fußgänger verletzt werden, mit parkenden Autos zusammen. Autofahrer*innen können Dooring vorbeugen, indem sie den „Holländergriff“ anwenden, bei dem sie die Fahrertür mit rechts öffnen oder die Beifahrertür mit links und somit automatisch den Schulterblick machen.

Die Aufgaben für den Verkehrsminister sind denkbar einfach: Führerscheinentzug und den überarbeiteten Bußgeldkatalog wieder in Kraft setzen. Tempo 30 in Städten als Regelgeschwindigkeit einführen. Abbiegeassistenten schon früher und auch für kleinere Transporter, Pkw und gebrauchte Fahrzeuge einführen. Gemeinden, die ihre Fahrradinfrastruktur sicher machen wollen, über Fördertöpfe mehr Geld zur Verfügung stellen. Das rettet Leben und kommt der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu Gute.

Benjamin Kühne

fairkehr 4/2020