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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 3/2020

Essbare Stadt

Wo die wilden Kräuter wachsen

Ein Wildkräuter-Spaziergang mit Romi (8) und ihrem Bruder Noah (6) durch einen Grünstreifen am Rhein

Holunderblüten kann man zu Sirup verarbeiten, weiß Romi.

„Seht mal da, Knoblauchrauke!“, ruft Romi begeistert. Sie pflückt ein Blatt, zerreibt es zwischen den Fingern und hält es mir unter die Nase. Tatsächlich, es riecht nach Knoblauch. Die gezackten Blätter der Knoblauchrauke können zum Würzen von Speisen verwendet werden oder kommen einfach roh in den Salat. Romi kennt sich mit Wildkräutern aus: Gemeinsam mit ihrem Bruder Noah und ihren Eltern geht sie regelmäßig auf Kräuterstreifzug in der Nähe ihrer Wohnung.

Wir werden von einem kurzen, aber heftigen Sommerschauer überrascht und suchen Schutz unter einem ausladenden Holunderbaum. Es riecht, als würde man ein Dampfbad in Kräutertee nehmen. Aus Holunderblüten macht man Sirup oder Gelee, lerne ich. Wenn später die Beeren reif sind, kann man sie zu Fliederbeersaft oder Fliederbeersuppe verarbeiten. Unter dem Holunder wächst ein Brombeerstrauch. „Manchmal trocknen wir die Blätter und kochen uns daraus Tee“, erklärt mir Romi. Aber bitte nur die jungen Blätter, die anderen sind zu bitter. Das gelte im Übrigen für die meisten Kräuter.

Noah sammelt Giersch und Brennnesseln, die zum Kochen benutzt werden können.

Noah sammelt derweil Giersch, der am gegenüberliegenden Wegesrand direkt neben den Brennnesseln wächst. „Zu Hause nehmen wir den Giersch als Füllung für einen Blätterteigstrudel, das ist lecker“, erzählt er. Generell könne man Giersch fast wie Spinat benutzen, auch für Nudelsoße zum Beispiel. Und aus den Brennnesseln kann man Tee oder Suppe kochen. „Aber zum Pflücken müssen wir Handschuhe anziehen, sonst tut es weh“, sagt Noah.

Der Regen hat sich verzogen und wir setzen unseren Spaziergang fort. Am Wegesrand stehen Pusteblumen. „Probier mal die Samen, die schmecken nach Butter“, fordert mich Romi auf. Wir ziehen vorsichtig einige der kleinen, braunen Samen von ihren Schirmchen ab und stecken sie uns in den Mund. Butter kann ich nicht schmecken, aber lecker sind sie trotzdem. Und die Blätter des Löwenzahns? „Schmecken gut im Salat“, weiß Noah.

Auch Pusteblumensamen sind essbar.

Kurz bevor wir den Grünstreifen verlassen, entdeckt Romi ein letztes Highlight: „Da, wilder Schnittlauch!“ Tatsächlich, unter den schönen lila Blüten, die ich einfach als Wildblumen abgetan hätte, wachsen eindeutig Schnittlauchstängel. Was man damit machen kann, müssen mir die Kinder ausnahmsweise nicht erklären. Gut gelaunt, mit dem frischen Kräuterduft in der Nase und dem Geschmack der Pusteblumensamen noch auf der Zunge, beenden wir unseren kleinen Wildkräuterausflug. „Nur schade, dass wir keinen Sauerampfer gefunden haben“, meint Romi.

Wildkräuter wachsen überall. Im ungemähten Grünstreifen neben der Straße, am Rand von Wiesen, im Unterholz im Wald und ja, auch in den meisten Gärten findet sich das eine oder andere Kraut. Was für Romi und Noah dank der Streifzüge mit ihren Eltern selbstverständlich ist, entgeht den meisten Stadtmenschen. Oft als Unkraut abgetan, wissen viele nicht, welches Potenzial in den Pflanzen steckt. Wer sich aufmacht, die Natur direkt vor der Haustür zu entdecken, wird viele Überraschungen erleben und Küche und Haushalt um einige leckere und nützliche Zutaten erweitern. Ein schönes Familienprojekt für lange Sommerferienwochen, besonders, wenn mit den gemeinsam gesammelten Kräutern dann noch zusammen gekocht wird!

Aber Achtung: Gewusst wie, lautet die Devise beim Wildkräutersammeln, denn zwischen den vielen leckeren und nützlichen Pflanzen gibt es auch manche, die für den Menschen nicht verträglich sind. Vor der ersten Kräuterwanderung sollte man sich deshalb gut informieren, auch ein Kräuterführer zum Mitnehmen ist eine gute Idee.

Katharina Baum

Botanikexperte Jürgen Feder nimmt seine Leser*innen mit zum Kräutersammeln in die Stadt. Anhand vieler Fotos zeigt er Heil- und essbare Kräuter und gibt Anwendungs- und Rezeptbeispiele.
„Feders kleine Kräuterkunde – Das Essen liegt auf der Straße“, Rowohlt, 9,99 Euro

Ines Scheiblhofer stellt in „Kräuterwanderung mit Kindern“ 26 weit verbreitete Wildkräuter vor und gibt Tipps zu Ernte und Verwendung inklusive Rezept­vorschlägen. Kindgerechte Sprache. Handliches Format, ideal für unterwegs!
Servus-Verlag, 7,00 Euro

fairkehr 3/2020