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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Master of Radverkehr

Bund fördert Radverkehrsprofessuren

Erstmals fördert der Bund Professuren für Radverkehr und sorgt dafür, dass sieben deutsche Hochschulen entsprechende Masterstudiengänge anbieten.

Diese jungen Frauen können demnächst einen Master im Fach- gebiet Radverkehr machen.

Nach welchen Kriterien soll entschieden werden, wo ein Radweg gebaut wird? Wie gut funktionieren Fahrradstraßen? Wäre eine Prämie für E-Bikes sinnvoll? Wie bringt man Menschen aus wenig radaffinen Milieus die Vorteile des Radfahrens näher? Dies sind laut einer vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur in Auftrag gegebenen Untersuchung zum Radverkehr in Deutschland offene Forschungsfragen. Jetzt hat das Ministerium dafür gesorgt, dass diese und viele weitere Fragen in Zukunft wissenschaftlich beantwortet werden können: Mit insgesamt 8,3 Millionen Euro finanziert der Bund die Einrichtung von sieben Lehrstühlen für Radverkehrsforschung an deutschen Hochschulen.

Mit der Förderung will das Ministe­ri­um die Radverkehrsforschung in Deutschland etablieren und für den dringend benötigten Nachschub an Fachkräften sorgen; denn viele Kommunen suchen händeringend nach Personal, dass die Verkehrswende vor Ort planen und umsetzen kann. Fünf Jahre lang finanziert der Bund die Lehrstühle. Die ausgewählten Hochschulen haben sich im Gegenzug verpflichtet, diese nach Ablauf der Förderung zu verstetigen.

33 Bildungseinrichtungen hatten In­te­resse an der Förderung bekundet, zwölf wurden zu einem ausführlichen Antrag aufgefordert, sieben bekamen letztendlich den Zuschlag.

Ausgewählt wurden Hochschulen aus Hessen (HS RheinMain Wiesbaden, Frankfurt University of Applied Sciences, Uni Kassel), Baden-Württemberg (HS Karlsruhe), Brandenburg (TH Wildau), Niedersachsen (Ostfalia HS Wolfenbüttel) und Nordrhein-Westfalen (Uni Wuppertal). Dabei handelt es sich größtenteils um Fachhochschulen, alle in staatlicher Trägerschaft.

Unterschiedliche Schwerpunkte

Martin Lanzendorf, Professor für Mobilitätsforschung an der Goethe-Universität Frankfurt und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des VCD, begrüßt die Initiative des BMVI: „Die Professuren sind eine gute Sache, denn der Radverkehr nimmt gesellschaftlich an Bedeutung zu. Auch in der Wissenschaft kann man in den letzten zehn Jahren einen starken Anstieg an Publikationen zu diesem Thema beobachten, vor allem im englischsprachigen und skandinavischen Raum so­wie in den Niederlanden.“ Mit den Stiftungsprofessuren sorge das Ministerium dafür, dass das Thema an deutschen Hochschulen verankert werde.

Alle sieben Hochschulen richten neue Masterstudiengänge mit unterschiedlichen Schwerpunkten ein. Die Bergische Universität Wuppertal bietet den Master als Spezialisierungsstudium für Bau- und Verkehrsingenieure an, in dem die Verkehrswende primär als ingenieurwissenschaftliche Herausforderung verstanden und vermittelt wird. An der Ostfalia Hochschule entsteht ein Master „Mobilitätsmanagement“, der für Bachelor-Absolventen aus allen Fachrichtungen offen ist. Und die TH Wildau legt den Schwerpunkt in Lehre und Forschung auf die Vernetzung des Radverkehrs mit anderen Verkehrsmitteln.

Mehrere Hochschulen haben ihren Studiengang als Master für nachhaltige Mobilität angelegt und berücksichtigen auch andere Fortbewegungsformen wie E-Scooter oder den Fußverkehr. Neben eigenständigen Masterstudiengängen bieten bestehende Bachelorstudiengänge wie Umweltingenieurwesen oder Wirtschaftswissenschaften zusätzliche Studienmodule zum Radverkehr an.

Die geplante Kooperation der Hochschulen untereinander soll der Radverkehrsforschung noch mehr Durchschlagskraft verleihen: „Wir sind im Gespräch darüber, wie wir diese Zusammenarbeit gestalten“, sagt Christoph Hupfer von der Hochschule Karlsruhe. Der Professor für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik ist begeistert von den Radprofessuren: „Wir haben jetzt die Chance, diesem Forschungsfeld zu großer Aufmerksamkeit zu verhelfen. Wir wollen da richtig großes Kino machen.“

Kooperationen bieten sich allein deshalb an, weil die Unis die Mittel nicht nur in Personal, sondern auch in Forschungstechnologien investieren. Die Uni Kassel schafft zum Beispiel einen Fahrradsimulator an, mit dessen Hilfe die Studentinnen und Studenten unterschiedliche Verkehrssituationen unter Laborbedingungen systematisch und realitätsnah untersuchen können. Die Hochschule Karlsruhe will im Labor digitale Technologien für den Radverkehr erproben.

Über den wissenschaftlichen Austausch hinaus sollen die Lehrstühle auch mit Akteuren außerhalb des akademischen Bereichs zusammenarbeiten und deren Know-how nutzen: Kooperationen mit Verbänden wie dem VCD oder dem ADFC sind ebenso angedacht wie Joint Ventures mit Unternehmen aus der Fahrradwirtschaft oder der Erfahrungsaustausch mit Verkehrsbehörden. „In Karlsruhe und der umliegenden Region haben wir ein tolles Umfeld, das sich schon lange für den Radverkehr engagiert. Darauf können wir aufbauen“, so Hupfer. In Frankfurt finanziert der Fahrradhersteller Riese und Müller eine halbe Stelle für einen wissenschaftlichen Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin. Aber nicht nur die Studierenden sollen von den Lehrstühlen profitieren: Die Hochschulen haben sich vorgenommen, auch Weiterbildungsangebote für Verkehrsplaner*innen und Fahrradbeauftragte zu entwickeln.

Gut, notwendig und wichtig

Kritisch sieht VCD-Beirat Lanzendorf, dass die Studiengänge stark ingenieur­wissenschaftlich ausgerichtet sind. Denn beim Radverkehr gehe es nicht nur um die planerische und städtebauliche Seite, sondern auch darum, zu analysieren, wer das Rad nutzt und wie man Menschen kommunikativ dazu motivieren kann, häufiger aufs Rad zu steigen. „Dazu braucht es mehr sozialwissenschaftliche Forschung“, so Lanzendorf. „Zum Planen gehört immer dazu, dass man das, was man tut, gut vermittelt und die Zielgruppen erreicht.“ Trotzdem sieht er die Radverkehrsprofessuren als einen wichtigen Schritt nach vorn: „Das Bundesverkehrsministerium verändert die Strukturen in der Mobilitätsforschung in Richtung nachhaltige Mobilität. Das ist gut, notwendig und wichtig.“ Sein Institut an der Uni Frankfurt hatte sich ebenfalls um einen Lehrstuhl beworben, hat aber keinen Zuschlag erhalten.

Wann sich interessierte Studierende in die neuen Masterstudiengänge einschreiben können, hängt davon ab, wie bald die Hochschulen die Berufungsverfahren für die Professuren abschließen können und wie schnell die Länder die neuen Studiengänge akkreditieren. Einzelne Module zum Radverkehr könnten bereits im Wintersemester dieses Jahres auf dem Lehrplan stehen. Der erste Masterstudiengang wird frühestens im Sommersemester 2021 starten.

Tim Albrecht 

fairkehr 2/2020