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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 2/2020

Überholen im letzten Moment

Dritte Fahrspur auf Landstraßen

Immer mehr Landstraßen werden mit abschnittweisen Überholfahrstreifen ausgebaut. Was bringt das wirklich?

Beim Neubau der dritten Spur liegen die Mehrkosten bei vergleichsweise geringen 500 000 Euro pro Kilometer, der nachträgliche Ausbau kostet ein Vielfaches.

Endlich! Nach zwei Kilometern, kündigt eine Infotafel auf der B 31 von Freiburg durch den Schwarzwald an, wird es einen „Überholstreifen“ geben. „So kann man im zweistreifigen Abschnitt immer wieder an den Lastwagen vorbei“, preist eine Kollegin im Berufsnetzwerk den angekündigten zweiten Fahrstreifen. Sie findet das „rundum gut“. Doch hält ihre Einschätzung einer Überprüfung stand?

Der Bau solcher abwechselnden dritten Fahrstreifen befindet sich wortwörtlich auf der Überholspur: 1981 waren 134 Kilometer so ausgestaltet, jetzt sind es über 1 500. Im Fachjargon heißen sie „2+1-Strecken“. Die Kombination gilt als Zauberformel für den Bundesstraßenbau. Sie benötigt im Vergleich zu vierspurigem Ausbau weniger Fläche, kostet weniger, bietet aber Überholen ohne Gegenverkehr. Denn herkömmliche Landstraßen, insbesondere zweistreifige Bundesstraßen, können gefährlich sein. Trotz fallender Tendenz verunglücken dort jährlich 70 000 Menschen, 2 000 sterben. Bei je­dem dritten bis vierten Unfall überholte einer der Beteiligten. Der VCD fordert ein Tempolimit von 80 km/h auf Landstraßen und Tempo 70, wenn ein Radweg vorhanden ist. 60 Prozent der tödlichen Unfälle auf Landstraßen ereignen sich bei Geschwindigkeiten über 80 km/h.

Den Überholdruck reduzieren

Mit den 2+1-Strecken will man dem „Überholdruck“ begegnen. Offenbar ist gemütliches und gleichmäßiges Fahren hinter dem Schwerlastverkehr niemandem zuzumuten. Wer nicht überholt, gilt als Sonntagsfahrer*in. „Empfundener Überholdruck führt zu höherer Risikobereitschaft und damit zu erhöhter Bereitschaft, Schaden für sich und andere in Kauf zu nehmen“, sagt Bernhard Schlag, Verkehrspsychologe an der Technischen Universität Dresden und Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des VCD.

Dr. Marco Irzik von der Bundesanstalt für Straßenwesen untersuchte 2+1-Strecken: „Deren Sicherheitswirkung ist enorm und lohnt sich oftmals unter volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten mit sehr hohem Kosten-Nutzen-Faktor.“ Vereinfacht ausgedrückt: Sinnloses Harakiri-Überholen geht zurück, wenn ein 2+1-Abschnitt in Aussicht steht. Aber ist der Erfolg lange anhaltend? Die Ausbauten lösen eines und erzeugen zwei neue Probleme. „Oft überholen PS-Riesen zu spät, landen im schraffierten Bereich und pressen von dort wieder in die Kolonne“, sagen die Unfallforscher. Zudem: „Wird der Verkehr so dicht, dass man von Stauverkehr sprechen kann,“ verdeutlicht Laura Riske vom Polizeipräsidium Freiburg, „dann kehrt sich die zunächst positive Situation wieder um, weil ein Überholen keinen merklichen Vorteil mehr bringen würde.“

Kaum Kapazitätserhöhung

Überholt wird dann häufig trotzdem. Oft zum Frust derjenigen auf dem rechten Fahrstreifen, die die Überholer*innen am Ende der 2+1-Strecke in ihren Sicherheitsabstand hineinfahren lassen müssen. Denn der zusätzliche Fahrstreifen bewirkt kaum Kapazitätserhöhung. Anschaulich ausgedrückt: Baut ein Schwimmbad mit Springerbecken eine zusätzliche Leiter an den Sprungturm, um die langen Schlangen der Springer abzubauen, wird der Sprungturmstau zwar kürzer. Oben gibt es dann aber Gerangel darum, wer springen darf. Mit diesem Schönheitsfehler des Wiedereinscherens „hat sich der Verkehrsgerichtstag meines Wissens noch nie befasst“, meint deren Pressesprecherin Maria Focken. Und verschließt damit auch die Augen vor weiteren Unstimmigkeiten: Zum Beispiel, dass Lkw eigentlich nur 60 Kilometer pro Stunde auf Bundesstraßen fahren dürften, dort aber oft mit 80 Sachen unterwegs sind. Und dass auch Autos nicht schneller als 100 fahren dürften, es beim Überholen aber oftmals machen. Der Zeitvorteil bleibt bestenfalls beschränkt auf Pinkelpausenlänge.

Tatsächliche Kapazitätssteigerung ließe sich auf wohl unpopulärem Weg erreichen: Laster und Autos fahren beide Tempo 80, gleiten ihrem Ziel entgegen. Verbunden mit konsequentem Überholverbot. Der mehr gefühlte als wirklich berechtigte „Überholdruck“ wäre jedenfalls geringer.

Nils Theurer 

fairkehr 2/2020