fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 4/2019

Die Datenschattenseite

Rat von Netzexperten zur Mobilitäts-Apps und Sharing-Angeboten

Netzexperten und Verbraucherschützer raten: Achten Sie darauf, dass Sie die neuen Mobilitätsangebote nicht zu teuer bezahlen – mit Ihren persönlichen Daten. Drei Meinungen.

Datenschatz wird zu Geld gemacht

Ingo Dachwitz ist Redakteur bei netzpolitik.org. Er gibt Workshops in digitaler Selbstverteidigung und lehrt im internationalen Studiengang „Digital Media“ an der Universität Lüneburg zur politischen Ökonomie digitaler Medien.

Anbieter sammeln oft mehr Informationen als nötig und verzichten auf eine Anonymisierung. Das Problem ist, dass sie den Menschen keine Wahl lassen: Wer die Dienste nutzen will, muss dem Datensammeln zustimmen. Klassische Methoden des Selbstdatenschutzes wie Pseudonym oder Wegwerf-Mailadresse funktionieren hier nicht. Das Handy erlaubt eine Identifikation. Außerdem werden keine anonymen Bezahlmöglichkeiten angeboten.

Dabei müssen Anbieter anfangs nicht mal böse Absichten haben. Es ist für ein Start-up heute so gut wie unmöglich, eine Finanzierung zu bekommen, wenn es nicht auch Daten sammelt. Spätestens, wenn die Investoren Druck machen, wenden sich viele der Monetarisierung des über Jahre angehäuften Datenschatzes zu. Das wird auch bei den in Deutschland jetzt zugelassenen E-Rollern so kommen. Es gibt für den Verleih kein nachhaltiges Geschäftsmodell. Das Ganze funktioniert nur mit Risikokapital, das irgendwann versiegen wird.

Individueller Verzicht wird uns hier allerdings nicht weiterbringen. Das ist ein gesellschaftliches Problem, für das wir kollektive Lösungen brauchen. Die Datenschutzgrundverordnung ist dafür ein Anfang: Nutzerinnen und Nutzer oder Nichtregierungsorganisationen können den Anbietern mit Datenauskunftsanfragen auf den Zahn fühlen. Mit Beschwerden können sie sich an die Datenschutzaufsicht wenden. Gleichzeitig müssen die Behörden unbedingt auch proaktive Untersuchungen starten. Das ist rechtlich möglich. Allerdings haben sie dafür oft zu wenig Personal.

Daten nicht leichtfertig preisgeben

Marion Jungbluth leitet das Team Mobilität und Reisen beim Verbraucherzentrale Bundesverband.

Viele Angebote funktionieren nur mit Daten. Zum Beispiel müssen Sie bestimmte Angaben machen, um ein Carsharing-Auto, ein Fahrrad oder einen E-Roller überhaupt ausleihen zu können: Name, Geburtstag, Zahlungsinformationen. Die Anbieter tracken in der Regel, wo Sie Ihre Fahrt starten und beenden, um eine Rechung stellen zu können. Einige sammeln jedoch darüber hinaus Daten, die Sie nicht leichtfertig preisgeben sollten. So wollen Sie manche Anbieter auch dann noch weiter via Mobilfunk tracken, wenn Sie Ihr Fahrzeug schon wieder abgegeben haben. Erlauben Sie es einer App auch nicht, sich mit Ihrem Adressbuch oder anderen Apps auf Ihrem Telefon zu verbinden. Nehmen Sie sich die Zeit, AGB und Datenschutzbestimmungen genau zu lesen.

Die sind leider nicht immer so eindeutig und so verständlich, wie sie es nach der EU-Datenschutzgrundverordnung sein sollten. Im vergangenen Jahr haben wir fast alle Leihfahrradanbieter abgemahnt, weil AGB und/oder Datenschutzerklärung fehlerhaft waren. Wenn Nutzungsbedingungen nur auf Englisch formuliert sind, ist das rechtlich nicht in Ordnung, und es hilft vielen Menschen nicht weiter. Das Ausleihen von Tretrollern beispielsweise ist ohne Englischkenntnisse fast nicht möglich. Kritisch kann es auch sein, wenn die Daten auf Servern in China oder den USA gespeichert werden.

Darüber hinaus liegt die Vermutung nahe, dass die Anbieter nicht nur mit dem Sharing-Geschäft Gewinn erzielen, sondern sich für künftige datengetriebene Geschäftsmodelle positionieren wollen. Die Autohersteller beispielsweise, die Free-Floating-Carsharing anbieten, investieren kräftig, obwohl das Sharing-Geschäft bislang wenig rentabel ist. Denn sie können über neue Zielgruppen und ihr Nutzungsverhalten viel lernen. Sie sind mit Mobilitäts-Apps auf dem Markt und entwickeln weitere Geschäftsmodelle. Ein Carsharing-Anbieter kooperiert beispielsweise mit einer Supermarktkette. Wenn Sie in die Nähe eines Supermarkts kommen, bietet die App Ihnen Deals an: Wenn du hier einkaufst, kannst du umsonst parken. Oder: Als Carsharing-Kunde bekommst du hier einen Kaffee günstiger. Chinesischen Leihfahrradanbietern wurde vorgeworfen, dass sie in erster Linie Nutzerdaten sammeln wollten. Doch da sind sie bei weitem nicht die einzigen. Das Interesse an diesen Daten haben alle Mobilitätsanbieter.

Mehr Servicetipps fürs Unterwegssein hat der Verbraucherverband hier zusammengestellt

Wir brauchen eine digitale StVO

Robert Follmer leitet den Bereich Mobilitäts- und Regionalforschung beim Sozialforschungsinstitut infas

Viele Anbieter verschleiern, was sie mit den Nutzerdaten genau machen: dass sie persönliche Informationen und Bewegungsprofile miteinander verknüpfen oder an wen sie die Daten weitergeben. Sie informieren entweder gar nicht oder verstecken die Infos in 200 Seiten Kleingedrucktem. Es ist leicht gesagt, dass Sie selbst verantwortlich sind, wenn Sie die AGB und die Datenschutzerklärung nicht gelesen haben. Ganz ehrlich: Jeder von uns hat 10 bis 20 Apps auf dem Telefon – mit jeweils seitenlangen Nutzungsbedingungen. Wer soll das alles lesen?

Während unserer Studie „Verbraucherspuren in der digitalen Welt“ fürs Bundesjustizministerium haben wir außerdem erlebt: Die Anbieter sind nicht darauf vorbereitet, dass Sie Ihr Recht in Anspruch nehmen, und fragen, welche Daten die Unternehmen sammeln und was damit passiert. Viele unserer Anfragen wurden gar nicht oder nicht vollständig beantwortet.

Wir brauchen eine digitale Straßenverkehrsordnung für den Bereich Datenschutz. Es sollte nicht Ihnen überlassen bleiben, nachzuweisen, dass Ihr Persönlichkeitsrecht verletzt wird. Vielmehr sollten die Anbieter nachweisen müssen, dass sie die Gesetze einhalten, welche Daten sie speichern und an wen sie die Daten weitergeben. Wenn sie Daten weitergeben, müssen sie dafür sorgen, dass andere Unternehmen sie nicht für illegale Zwecke verwenden. Der Staat sollte alle Anbieter regelmäßig überprüfen. Wie Lebensmittelprüfer, die vor Ort kontrollieren, ob Unternehmen die Hygienevorschriften einhalten.

Je mehr Apps Sie nutzen, desto breiter wird die Datenspur, die Sie hinterlassen. Schauen Sie, welche Apps Sie wirklich brauchen. Achten Sie vor dem Herunterladen außerdem darauf, wer dahintersteckt: Gibt es ein Impressum und eine Datenschutzerklärung? Orientieren Sie sich an den großen, bekannten Mobilitätsbetreibern. Da sind Sie in Sachen Datenschutz auf der sicheren Seite.

Die Ergebnisse seiner Studien fürs Bundesjustizministerium gibt es hier:

Interviews: Kirste Lange 

fairkehr 4/2019