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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Kolumne 4/2019

Emotionale Klimaver­änderung

Ist das Ab-nach-Barcelona-Feeling stärker als deine Flugscham?

Do feelings matter? Machen Gefühle den Unterschied? Ist „I love Klimaschutz“ wirklich im Gefühlshaushalt der Deutschen angekommen? Mit Fridays for Future hat sich in Deutschland zwar überraschenderweise der Stellenwert des Klimaschutzes geändert, politisch aber noch nichts Wesentliches. Es wurde noch keine CO2-Steuer eingeführt, kein Dienstwagenprivileg abgeschafft und kein Sofortprogramm zum schnelleren Aufbau der Windenergie verabschiedet. Die Umsetzung bereits geplanter Projekte, wie des Radschnellwegs Ruhr oder der Berliner Radinfrastruktur, verläuft im Schneckentempo. Der Ausbau der Windenergie bricht ein. Die Neuzulassungen von Autos mit Verbrennungsmotoren leider nicht. Im Sommer der heißen Klimaliebe blüht der Flugtourismus wegen unverändert toller Billigangebote auf. In Sachen Klima also gemischte Gefühle.

Welche Rolle spielen diese kulturellen Vorlieben und Gefühle? Ich dachte früher: eine große. Daher war ich viele Jahre mit Ökotainment beschäftigt, nämlich mit der heiteren, positiven Aufladung von ökologischen Produkten und Lebensweisen. Meine Vermutung: Um Verkehrspolitik zu ändern, müssen auch die Autogefühle der Deutschen verändert werden. Also Kampf der „Brumm-Brumm-ist-geil“-Emotion. Darum schwärmte ich vor 20 Jahren (sic!) von einem Auto, das wirklich nur etwas mehr als drei Liter verbrauchte. Müdes Lächeln im Publikum. Einen derart effizienten Verbrenner gibt es heute gar nicht mehr. Vor mehr als 20 Jahren berichtete ich begeistert vom super coolen Transport von zwei Kindern auf meinem Bakfiets (Transportrad). Interessant, sagte das Publikum, aber es regnet so häufig. Und ich habe es mit Blick auf die aktuell innovativen Flugreiseartikel nachgeschaut: Im Jahr 1995 (!!!) schrieb ich zum ersten Mal von meiner Reise nach Madrid mit dem Bus zur Vermeidung klimaschädlicher Emissionen. Hohn und Spott waren der Dank.

Die festgefahrenen Gefühle einer Gesellschaft sind hartnäckig. Ein Blick auf die Zulassungszahlen zeigt: Bis heute hegen die Menschen spritschleudernde „Brumm-Brumm“- Gefühle. Gut, das Transportrad ist nicht mehr so exotisch wie zu meiner Zeit. Die Liebe zur Flugreise allerdings ungebrochen. Worin zeigt sich also der gesellschaftliche Stimmungsumschwung? Ist der überhaupt real oder nur ein Medienphänomen?

Eine Bekannte berichtete mir vom Barcelona-Flug der Tochter sofort mit der Klage, die Ticketpreise seien viel zu günstig! Eindeutig ein emotionaler Fortschritt. Ein Freund sprach freundlich vom neuen Auto als dem letzten „Verbrenner“ seines Lebens. Sozusagen ein privates Zulassungsende. Und eine Verwandte sandte begeisterte Erfahrungsberichte von ihrem E-Bike als Einkaufstransporter. Good Vibrations, deren politische Konsequenzen allerdings noch unklar sind. Eines spricht im Moment für reale Veränderung: Wenn Leute nach ihrer Vorliebe für Parteien gefragt werden, steht eine Partei erstaunlich gut da, die sich für CO2-Steuern, für Tempolimit, für weniger Fleisch, mehr Fahrrad und weniger SUV ausspricht. Anscheinend gibt es mehr Leute als früher, die das vom Feeling her irgendwie okay finden. Diese Verschiebung ist die größte emotionale Überraschung und hat in der realen Welt Konsequenzen. Andere Parteien beschleicht das ungute Gefühl, sie könnten womöglich Wählerstimmen verlieren.

Markus Söder beispielsweise hat dafür eine Antenne. Boulevardzeitungen übrigens auch: Wie bemerkte neulich der Kolumnist des Volkes, Franz Josef Wagner, in der BILD: Früher sei er Formel-1- und Schumi-Fan gewesen. Aber heute hätten wir Fridays for Future. „Kinder demonstrieren für die Zukunft. Für eine Welt ohne Benzin.“ Er wies dann noch im Altöko-Stil darauf hin, dass ein Rennteam für ein Rennen 1 600 Liter Benzin verbrauche. Mir kamen die Tränen. Das war der abschließende Beweis emotionaler Klimaveränderung.

Martin Unfried 

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fairkehr 4/2019