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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Kolumne 3/2019

Alte Knochen unterwegs: Discover EU!

Kostenlose Interrail-Tickets für Senioren gegen den Rechtsruck in der EU: Denn reisen verbindet. Und zwar alle Generationen.

Ach, wenn ich nochmal 18 wäre! Dann würde ich auf die Fridays-for-Future-Demos gehen in einem schicken EU-Hoodie und mit Blumen im Haar. Dann würde ich ein altes Peugeot-Rennrad fahren ohne Gepäckträger und Schutzbleche, einfach weil es unpraktisch, aber cool ist. Dann hätte ich eine Instagram-Seite und postete meine schönsten Tattoos. Und dann wäre ich natürlich am 2. Mai auf die Seite der Europäischen Kommission gesurft, discover.eu, und hätte mir das gratis Interrail-Ticket „geholt“. Gratis Interrail? „Wie geil ist das denn?“, hätte ich gerufen. Einen Monat wäre ich kreuz und quer durch meine geliebte EU gesurft, weil ich nach dem Abi 2019 einen See an Zeit gehabt hätte. Der Ernst des Lebens weit weg. Die Leichtigkeit des Seins in einem Hostel in Lissabon, am Strand auf Korfu und in der Berghütte in den Karpaten. Den Sommer der Liebe erleben: „I love EU“. Ich bin neidisch auf die Jugend: Im letzten Jahr ging tatsächlich für einige junge Europäerinnen dieser Traum in Erfüllung.

Und die sogenannten Eurokraten, also dufte Beamte in Brüssel, haben sich das so gedacht: Sie setzen mit der Gratis-Interrail-Aktion auf die Jugend. Wer andere Länder bereist und dem oder der Fremden ein bisschen näher kommt, ist nicht so leicht empfänglich für nationale Ausfälle jeglicher Art. Auch Manfred Weber aus Niederbayern hat sich für diese Idee eingesetzt. Und es klingt ja auch einleuchtend. Reisen als Schule des Lebens. Unsere Kinder durch Erfahrung immunisieren gegen nationalistisches Gedöns. Das hat mit Erasmusprogrammen und dem Austausch von Studis bereits gut funktioniert. Es gibt bekanntlich sehr viele völkerverbindende Erasmus-Babys. Ob da mit Interrail auch was geht? Empirisch wären jetzt Vorher-Nachher-Interviews interessant. Hallo Interrailer*in: Was hältst du von den Leuten, die du auf deiner Reise getroffen hast? Noch Kontakt? Findest du die Idee einer„ever closer Union“ attraktiv? Ich wette, die Post-Interrail-Untersuchung fiele recht positiv aus. Schon deshalb, weil die jungen Leute, die wissen, dass es bei der EU was umsonst gibt, sowieso EU-Liebhaber sind. Also wahrscheinlich braucht es bei denen keine große Bekehrung.

Überhaupt sind es in den meisten Mitgliedstaaten nicht die unter 30-Jährigen, die Nationalismus sexy finden. In Deutschland sind es die älteren Semester. Wie begeistert man aber die alten Grantler? Ich meine damit meine Ü-50-Kohorte. Da wäre ein „Discover EU“ für über 50-Jährige eine tolle Idee. Und zwar nicht 30 000, sondern drei Millionen Tickets im Jahr. Meine Vermutung: Viele Ältere könnten auch mal wieder einen romantischen Trip durch unser schönes Europa vertragen. Wie heißt es auf der Seite der EU-Kommission: „Reisende treffen, Selbstvertrauen tanken und dich europäisch fühlen – das alles ist DiscoverEU.“ Von mir aus könnte das auch all-inclusive sein, wenn es der Akzeptanz dient. In jedem Fall müsste es eben zum ungezwungenen Austausch von europäischen Ansichten kommen. Und zwar bis ins hohe Alter.

Gibt es Programme zur europäischen Begegnung von Menschen in Altersheimen? Das muss ich gleich mal beim INTERREG-Sekretariat in Brüssel vorschlagen. People-to-People-Programme gibt es bereits. Da wären auch europäische Familienfeiern eine schöne Gelegenheit, sich kennenzulernen. Jubilare sollten einen Festbonus von 2 000 Euro bekommen, wenn sie binationale Partys veranstalten. Da könnten beispielsweise zwei Sechzigerfeiern zusammengelegt werden. Die Familie Bianchi aus Palermo trifft sich mit der Sippe von Tante Annika in Uppsala. Die feiernde Familie Jankauskas aus Klaipeda verbandelt sich mit dem Jubilar aus Kleinmachnow. Wodka meets Grappa. Bei über 70-Jährigen gibt es ein Bahnticket 1. Klasse. Passend zur First-Class-Qualität der EU.

Martin Unfried

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fairkehr 3/2019