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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 2/2019

Pendeln mit dem Fahrrad

Entspannt an der Arbeit ankommen

Fahrradfahren ist gut für die Stimmung – doch nur neun Prozent der Beschäftigten in Deutschland nutzen diese Fortbewegungsmethode, um zur Arbeit zu kommen. Der Großteil der Pendlerinnen und Pendler sitzt schlecht gelaunt im Auto.

14 Prozent aller Pendler steigen auf dem Weg zur Arbeit in Busse und Bahnen. Aber gesund und glücklich fühlen sich besonders die Menschen, die auf ihrem Arbeitsweg Fahrrad fahren.

Pendeln macht unglücklich – das ist das Ergebnis mehrerer wissenschaftlicher Studien. Fast 65 Prozent der Beschäftigten nutzen heute ihr eigenes Auto, um zur Arbeit zu kommen. Vor allem wer mehr als 40 Minuten unterwegs ist, hat ein erhöhtes Risiko, psychisch krank zu werden.

So weit, so schlecht. Doch vielleicht sind es gar nicht die langen Wege und der Zeitaufwand, die Pendelnde belasten, sondern das Transportmittel. Franko Falkenhagen fährt jeden Tag eine Stunde mit seinem Acht-Gang-Rad von seiner Wohnung in Berlin-Schöneberg zu seiner Arbeitsstelle in Großbeeren – und abends zurück. Er genießt die jeweils 16 Kilometer auf dem Sattel „Zum Erholen ist Radfahren unschlagbar“, findet der 57-Jährige. Vor drei Jahren hat er die Stelle als technischer Redakteur in einer Hydraulikfirma südlich von Berlin angetreten. In den ersten Wochen hat er verschiedene Wege mit Hilfe eines Online-Routenplaners ausgetüftelt und nach und nach seine Lieblingsstrecken für unterschiedliche Wetterlagen entwickelt. So lange es nicht allzu nass ist, radelt er knapp die Hälfte der Zeit über nicht befestigte Wege durch Kleingartenanlagen, an Gleisen und einem Kanal entlang und durch einen Verladebahnhof. Auf mehreren Kilometern kann ihm kein Auto begegnen und auch Fußgänger sind hier nur vereinzelt unterwegs. Auf seinem Lieblingsparcours gibt es lediglich vier Ampeln.

Gegen den Klimawandel

Obwohl er kräftig in die Pedale tritt, hat Franko Falkenhagen das Gefühl, Zeit zu haben. Jetzt im Frühjahr beobachtet er, wie das erste Grün sprießt und Knospen von Tag zu Tag praller werden, Vögel ihre Nester bauen und der Nebel langsam aufsteigt – und manchmal begegnet ihm auch ein Fuchs. Dass es ab und zu nieselt, regnet oder auch mal kräftig weht, stört Falkenhagen nicht. „Die Begegnung mit der Natur ist erfrischend“, sagt er. Im Betrieb angekommen, springt der Redakteur rasch unter die Dusche, hängt seine Fahrradklamotten zum Lüften auf und hat zu Arbeitsbeginn das Gefühl, schon etwas Wirkliches erlebt zu haben. Und damit ist er in seiner Firma nicht allein: Auch sein Kollege Matthias Hauk „tankt Kraft“, wenn er die 12,5 Kilometer zur Arbeit radelt. Etwa einmal wöchentlich nutzt er allerdings auch sein Auto mit Glasdach, wenn er anschließend noch was anderes vorhat. „Als Ausnahme genieße ich das, und in meiner Richtung gibt es auch fast nie Stau.“

„Zum Erholen ist Radfahren unschlagbar“, sagt Franko Falkenhagen. Er Falkenhagen fährt jeden Tag 16 Kilometer mit dem Fahrrad zur Arbeit.

Franko Falkenhagen ist bisher nur viermal mit dem Auto zur Arbeit gefahren. Da dauerte ein Weg zwar nur 30 Minuten, das war aber stressig, bilanziert der große, schlanke, sportliche  Mann. Ab und zu nutzt er auch mal Bahn und Bus, dann ist er gut 40 Minuten unterwegs. „Da muss ich dann aber ganz pünktlich losfahren und deshalb einen Wecker stellen, damit ich garantiert den Anschluss kriege“, sagt Falkenhagen.

Neun Prozent der Beschäftigten nutzen in Deutschland das Fahrrad für den Weg zur Arbeit, acht Prozent die eigenen Füße, 14 Prozent nehmen die öffentlichen Verkehrsmittel und drei Prozent steigen zu einem Kollegen oder einer Kollegin in den Wagen. Immerhin ist der Anteil der Radelnden in den vergangenen Jahren leicht gestiegen – doch im Vergleich zu den Niederlanden, wo mehr als ein Drittel aller Wege mit dem Rad zurückgelegt werden, ist Deutschland eindeutig Autoland. Das hat viel mit der auf Autos ausgerichteten Siedlungs- und Straßeninfrastruktur zu tun, aber teilweise auch mit der Topografie.

„Ich bin ein großer Fan vom Fahrradpendeln: ob als Beitrag gegen Klimawandel und Feinstaub, zur Stärkung der eigenen Fitness und Gesundheit oder einfach zum Abschalten und Genießen der Natur. Selten lässt sich mit einer Aktivität so viel zu einer lebenswerten Welt beitragen“, sagt Antje von Dewitz, Geschäftsführerin der Outdoor-Firma Vaude. Sie tut viel dafür, die Beschäftigten aus ihren Autos zu locken. Wer pedalierend zur Arbeit kommt, findet in der mittelständischen Firma mit gut 500 Angestellten fast paradiesische Zustände: Es gibt einen Duschraum, der Strom für Pedelecs und E-Bikes ist für Beschäftigte gratis und alle Mitarbeitenden haben das Recht, die firmeneigenen E-Bikes kostenlos zu nutzen und bei Bedarf auch mehrere Tage auszuleihen. Die Fahrradgarage ist bestens ausgestattet: Wer einen Platten hat oder sonst ein Problem, findet hier Werkzeug. Es gibt einen Automaten, an dem man Schläuche kaufen kann. Regelmäßig veranstaltet Vaude auch Reparaturkurse.

Gut für Kopf und Körper

Die mit vielen Öko-Preisen ausgezeichnete Firma hat sich zum Ziel gesetzt, die Emissionen aus dem Personenverkehr – Geschäftsreisen und Pendeln – binnen fünf Jahren um zehn Prozent zu senken. Deshalb setzt das Unternehmen gezielt Anreize, damit die Beschäftigten die durchschnittlich 14 Kilometer von zu Hause bis zum Werkstor mit Rad, Fahrgemeinschaft oder Bus zurücklegen. Wer ohne eigenes Auto kommt, kann am hauseigenen Mobilitätslotto teilnehmen und Restaurantgutscheine, Strommessgeräte für zu Hause oder Fahrradzubehör gewinnen. Immerhin 70 000 Pkw-Pendel-Kilometer konnte die Firma durch ihre Anstrengungen vermeiden – 42 000 Kilometer wurden stattdessen mit dem Rad zurückgelegt. Das ist durchaus beachtlich, schließlich ist die Gegend in der Nähe des Bodensees hügelig. Doch vom selbst gesteckten Reduktionsziel ist Vaude noch weit entfernt.

„Ich bin ein großer Fan vom Fahrradpendeln“, sagt Antje von Dewitz. Die Vaude-Geschäftsführerin macht sich im Betrieb für das Fahrradfahren stark.

Unterstützung aus Europa

Die EU und der Fahrradfahrerclub ADFC unterstützen Arbeitgeber dabei, ihre Betriebe fahrradfreundlich zu gestalten. Im Internet können Unternehmen ihren Status quo ermitteln und ein Handbuch mit Tipps runterladen. Auch die Möglichkeit für Beratung und maßgeschneiderte Angebote finden sich auf der Internetseite „fahrradfreundlicher-arbeitgeber.de“. In Zeiten des Fachkräftemangels könnte sich so etwas als entscheidender Vorteil herausstellen, wenn es darum geht, gutes Personal zu gewinnen. Ein weiteres Plus, wenn viele Beschäftigte mit dem Rad kommen: Das Unternehmen braucht weniger Parkraum.

Weil Pendeln mit dem Auto psychisch belastend ist und Bewegung gesund, versucht auch die AOK, Menschen zum Umsteigen zu bewegen. Sie veranstaltet bereits zum 19. Mal in der Zeit von Mai bis August die Aktion „Mit dem Rad zur Arbeit“. Jede und jeder kann sich kostenlos auf der Internetseite anmelden – und wer in den drei Monaten mehr als 20 Fahrrad-Pendel-Tage einträgt, nimmt an einer Verlosung teil. Auch kombinierte Rad- und Bahnfahrten sind möglich. 2018 haben immerhin 250 000 Versicherte mitgemacht.

Andere Krankenkassen weisen ebenfalls auf die gesunde Wirkung des Radfahrens hin: Es stärkt Herz und Kreislauf, schont die Gelenke, baut Stress ab, stärkt die Lungenfunktion und das Immunsystem, trainiert Rücken, Nacken, Po- und Beinmuskulatur, verbessert die Durchblutung und verbrennt Fett. Auch die positive Wirkung auf die Stimmung, die Franko Falkenhagen jeden Tag spürt, ist wissenschaftlich belegt. Eine Studie des Universitätsklinikums Tübingen hat den Effekt bei älteren Menschen mit Depressionen nachgewiesen und auch die Ursachen untersucht: Die gleichmäßige, zyklische Bewegung beim Radfahren fördert die Ausschüttung bestimmter Botenstoffe im Körper, darunter Serotonin und Dopamin – im Volksmund Glückshormone genannt

Mehr Geld im Portemonnaie

Steuerlich ist Radeln nicht mehr wie früher gegenüber dem Autofahren benachteiligt: Alle Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte können heute mit einer Entfernungspauschale von 30 Cent pro Kilometer als Werbungskosten abgesetzt werden. Weil ein Rad anders als ein Auto keinen Sprit benötigt, lohnt sich die Selbstbewegung auch finanziell. Außerdem kann das Dienstwagenprivileg seit 2012 auch für Fahrrad oder E-Bike genutzt werden, dafür hatte sich der VCD eingesetzt. Finanziert der Arbeitgeber einem Beschäftigten ein Fahrzeug, muss der oder die Beschäftigte monatlich ein Prozent des Listenpreises als geldwerten Vorteil versteuern. Bei einem 1 000-Euro-Rad sind das zehn Euro, auf die Einkommenssteuern und Sozialabgaben fällig werden. Genau wie beim Auto lohnt sich der Deal für beide Seiten aber vor allem für teure Fahrzeuge – in diesem Fall also teure Pedelcs oder E-Bikes. Genutzt werden dürfen Dienstfahrzeuge nicht nur zum Pendeln, sondern auch zum Einkaufen oder um damit im Urlaub rumzukurven.

Jeder Arbeitstag geht mal zu Ende – und dann heißt es nach Hause pendeln. Für Franko Falkenhagen ist auch das ein Highlight seines Alltags. Während sich seine Beine rasch bewegen, kommt er im Kopf zur Ruhe. Anstrengend findet er die 16-Kilometer-Strecke nicht mehr – im Gegenteil: „Ich finde es befreiend: Auf dem Rad kann ich alle Gedanken an die Arbeit hinter mir lassen.“

Annette Jensen

fairkehr 2/2019