Politik 2/2019
Gut zur Haltestelle kommen
Die erste Meile
Jede Fahrt mit Bus und Bahn beginnt zu Fuß, nämlich auf dem Weg zur Haltestelle. Wie dieser Weg gestaltet ist, entscheidet auch darüber, ob der öffentliche Nahverkehr genutzt wird.
Auf dem Weg zur Arbeit würde Alexander Ahrens (38) gern den ÖPNV nutzen. Aber er tut es nicht. Denn als Rollstuhlfahrer muss er auf dem Weg zur Haltestelle zu viele Barrieren überwinden, wie hohe Bordsteine, zu schmale Gehwege oder kaputte Aufzüge. Am Wochenende kann er auch mal auf die nächste U-Bahn warten. Aber im Berufsleben kann er sich das nicht leisten: „Eine regelmäßige ÖPNV-Nutzung ist für mich sehr schwer realisierbar“, sagt der Projektmanager und Referent für Öffentlichkeitsarbeit. Wie oft Busse und Bahnen fahren oder wie komfortabel sie sind, spielt dabei gar keine Rolle.
Was für Alexander Ahrens gilt, gilt für viele Menschen: Ob sie ÖV-Angebote nutzen, hängt nicht nur von internen Faktoren im System wie Taktung, Flotte und Preis ab. Die Nutzer müssen die Haltestellen gut erreichen können, und zwar nicht nur physisch. Denn auch emotionale, informationelle und ästhetische Faktoren tragen zu einer guten Erreichbarkeit bei: Auf dem Weg zur Haltestelle muss man sich sicher fühlen, sich gut orientieren können und möglichst bequem unterwegs sein.
Bauen, digitalisieren, gestalten
Das VCD-Projekt „Zu Fuß zur Haltestelle“ hat einen Leitfaden veröffentlicht, der die Einzelaspekte kompakt erläutert und den Zusammenhang von Fußverkehr und ÖPNV-Nutzung systematisch in den Blick nimmt. Was in der Stadt- und Verkehrsplanung unter Sparten wie Barrierefreiheit, Aufenthaltsqualität oder Wegweisung läuft, wird hier zusammengedacht. Das 40-seitige Dokument bietet jede Menge Informationen, die von technischen Hinweisen für Planungspraktiker bis zu konzeptionellen Ideen für Stadtvisionäre reichen.
Der Leitfaden zeigt, wie ein guter Weg zur Haltestelle durch eine Mischung aus Baumaßnahmen, Digitalisierung und nutzerfreundlicher Gestaltung des Stadtraums geschaffen werden kann: Wegweisersysteme geben Orientierung und Informationen zu Zielen in der Umgebung. Fußgängerüberwege mit abgesenkten Bordsteinen und Mittelinseln ermöglichen ein sicheres Queren der Straße. Fahrplanauskünfte per App erleichtern die Zeitplanung durch punktgenaue Tür-zu-Tür-Navigation. Und beleuchtete Gehwege vermitteln auch bei Nacht Sicherheit.
Der Leitfaden ist übersichtlich und leserfreundlich gestaltet. Neben kompakten Übersichtstexten finden sich Infoboxen mit Umsetzungstipps, gute Beispiele aus der Praxis, Zahlen und Fakten als Argumentationshilfen sowie Hinweise darauf, wo man weitere Hilfestellungen bekommt. In Kurzinterviews erzählen Menschen Mobilitätsgeschichten aus dem Alltag. Deutlich wird in der VCD-Publikation auch, dass Haltestellen nicht nur Zielpunkte sind: Schön gestaltet und mit komfortablen Sitzmöglichkeiten ausgestattet sind sie Teil eines lebenswerten Stadtraums. Und als Mobilitätsstation mit Car- und Bikesharingangebot wandeln sie sich zu Plattformen für eine nachhaltige und flexible Mobilität.
Tim Albrecht
Mehr unter: www.vcd.org/zu-fuss-zur-haltestelle Der Leitfaden steht dort zum Download bereit.