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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 5/2018

Mit dem E-Mountainbike durch die Alpen

Freude ohne Grenzen

Immer hin und her zwischen Italien und Frankreich: Hoch oben in den Seealpen sind die alten Militärstraßen für Radfahrer freigegeben.

Offenes Europa: Wo früher Ländergrenzen mit Waffen umkämpft wurden, können Radfahrerinnen und Radfahrer heute die grenzenlose Aussicht über die Seealpen bis zum Mittelmeer genießen.

Die erste Überraschung sind die Räder selbst. Mattschwarze Mountain­bikes hatte der italienische Fahrradvermieter am oberen Ende des französischen Royatals vom Anhänger geladen. Mit hochwertiger Schaltung, perfekter Rahmendämpfung und Federung, Scheibenbremsen und dicken Profilreifen rollen sie nicht nur bequem und stabil, sondern sind mit einem kraftvollen Elektroantrieb ausgestattet.

Tags zuvor hatte Fahrrad-Guide Luca die Drei-Tages-Route vorgestellt. Es hagelte Höhenmeter, Gipfel und zu überwindende Pässe. Einigen der zehn Männer und Frauen waren leise Zweifel gekommen, ob ihre körperliche Fitness für diese Tour ausreichen würde. Wir sind unterwegs auf der Alta Via del Sale, einem Geflecht aus Höhenwegen durch die Seealpen in der französisch-italienischen Grenzregion. Wir starten in Frankreich an einer Berghütte bei Tende, 30 Kilometer Luftlinie bis zum Mittelmeer, und fahren durch die Berge des Piemonts hinüber nach Ligurien bis in den südlichen Teil der italienischen Provinz Cuneo.

Deutschland stöhnt unter der Hitze des Sommers und hier oben auf 1 500 Metern sind es frische 15 Grad. Obwohl die südliche Junisonne bei wolkenlosem Himmel eine große Kraft entwickelt, kühlt es über Nacht beträchtlich ab. Auf unseren E-Mountainbikes strampeln wir erfreulich mühelos durch die frische Bergluft. Alle schaffen mit elektrischer Unterstützung auch steile Passagen. Anfangs führt der Aufstieg durch lichten Laubwald und über Wege, die von leuchtend gelb blühendem Goldregen gesäumt sind. Über der Baumgrenze radeln wir durch grüne Matten und blühende Wiesen.

Wie anstrengend muss es für Salzhändler im Mittelalter gewesen sein, ihr kostbares Gut zu Fuß und mit Mulis über diese Berge zu schleppen. In Erinnerung an ihre Handelswege haben die Touristiker die neu ausgedachte Fahrradroute „Via del Sale“ genannt. Tatsächlich fahren wir auf der ehemaligen Heerstraße Limone – Monesi. Auf der Passhöhe rund um den Colle di Tenda sind noch sechs mächtige Festungen Zeugen der Zeit, als die Italiener in den Jahren ab 1850 dieses Bollwerk zum Schutz vor den Franzosen erbauten.

Historische Handelswege

Die alten Forts bröseln heute vor sich hin, aber das Wegenetz, das die Festungen verbindet, halten die italienischen Regionen weiter offen. Auf einer Höhe zwischen 1 500 und 2 100 Metern sind sie ein großartiges Mountainbike­revier mit bester Aussicht auf die ansonsten unbebaute Natur.

Ganz großes Kino: Die alte Heerstraße Limone-Monesi und heutige Via del Sale

Anders als vielerorts in den Alpen sieht es auf der Via del Sale nach einem friedlichen Nebeneinander zwischen Wanderern und Mountainbikern aus. Für Fußgänger gibt es schönere Wege als diese Schotterpisten. Dafür sind die Militärstraßen – außer montags und dienstags – gegen Mautgebühr für Motorräder und sogar für Autos offen. Motorisierte Fahrzeuge treffen wir allerdings nur wenige. Typische Passanten sind in diesen Frühsommertagen die steingrauen Piemonteser Rinder, die in Hundertschaften über die Militärstraßen auf ihre Almwiesen trotten.

Sicher Rad fahren mit Guide

Trotz E-Antrieb kommen wir nicht schnell voran. Immer wieder legen wir Fotostopps ein, genießen den Fernblick auf die umliegenden Gipfel der Seealpen und suchen den Horizont nach dem Glitzern des nahen Mittelmeers ab. Am Ende jedes Tages haben wir zwischen dreißig und vierzig Kilometer zurückgelegt. Die E-Bikes haben uns zuverlässig tausend Höhenmeter bergauf und genauso viele bergab getragen.

Luca und Eric, unsere italienischen Guides, kennen sich perfekt aus. Sie sind auch bei plattgefahrenen Reifen zur Stelle oder flicken die gerissene Kette. Denn die Schotterwege haben ihre Tücken. Die Strecke ist ausgefahren, große Steine liegen im Weg und der lose Schotter rutscht beim Aufstieg und auf den steilen Abfahrten unter den Reifen weg. Dort heißt es: Sattel runter, Lenker locker halten, nicht zu heftig bremsen. Manchmal haben die Militärs den Weg direkt in die Felsen gehauen und auf der anderen Seite geht es steil hinunter. Es braucht Übung und auch ein bisschen Mut, bis sich bei den MTB-Pilotinnen ein Gefühl der Sicherheit einstellt. Aber dann überwiegt die Freude am Vorankommen in dieser grandiosen Bergwelt und die Pässe verlieren ihren Schrecken.

Regionale Produkte und bestes Essen auch im kleinsten Dorf: Aus dem Piemont stammt die Slow-Food-Bewegung.

Gut ausgeschildert ist die sogenannte Via del Sale nicht. Auch die neu gedruckten Karten stiften mehr Verwirrung, als dass sie weiterhelfen. Dafür geht manches ganz einfach in Italien: Man sucht sich einen Fahrradvermieter und überlässt ihm die gesamte Logistik. Er kennt einen Guide, dieser die beste Route. Anfahrten zum Startpunkt und die ersten Höhenmeter raus aus der asphaltierten Zivilisation übernimmt der Vermieter mit Transporter und Anhänger ebenfalls. Übernachtungen an der Strecke organisiert er ohne zusätzlichen Aufpreis. Sicher mit Guide
Köstliches Essen im Piemont

Und wer ihn nach Restaurants in den Dörfern fragt oder nach Hütten, in denen die einheimischen Familien am liebsten essen, erhält garantiert Empfehlungen für Restaurants, in denen die köstlichen piemontesischen Produkte auf den Tisch kommen. So entdecken wir Käsesorten, von denen wir nie vorher gehört haben, kosten knallgrünes Pesto aus frischem Basilikum zu handgemachter Pasta, genießen Pilze und Kastanien aus dem Bergwald und essen Focaccia, einen würzigen, mit Schafskäse gefüllten, gebackenen Fladen. Als wir hören, dass die Slow-Food-Bewegung ursprünglich aus dem Piemont stammt, glauben wir es sofort.

Uta Linnert

 

Gut zu wissen

  • Infos zur Provinz Cuneo
  • Durch das Gebirgstal der Roya führt eine der außergewöhnlichsten alpenquerenden Eisenbahnlinien: die Tendabahn. Die Züge fahren durch enge Schluchten und über Viadukte. Italienische Regionalzüge brauchen eine Stunde von Ventimiglia am Mittelmeer nach Tende, die Fahrradmitnahme ist kostenlos: www.trenitalia.com.
  • Die französische Regionalbahn TER fährt von Nizza in zwei Stunden nach Tende. Die Internetseite in deutscher Sprache hat sogar einen deutschsprachigen Infochat, der sofort alle Fragen beantwortet, perfekt. Hier gibt es Infos zur Fahrradmitnahme.