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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 4/2018

Modellstadt Reutlingen

Günstig Bus und mehr Rad fahren

Die Stadt kämpft mit einem 365-Euro-Jahresticket für den ÖPNV gegen schlechte Luft und will mit einem Radverkehrskonzept zur „e-bike-city Reutlingen“ aufsteigen.

Die Idylle täuscht: In Reutlingen ist die Schadstoffbelastung hoch.

So siehts aus in Reutlingen: Laut Umweltbundesamt wurde in Reutlingen 2017 mit 60 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft die vierthöchste durchschnittliche Stickstoffdioxid-Belastung in Deutschland gemessen. Nur in den Metropolen München, Stuttgart und Köln war die Luft schlechter. Gegen das Land Baden-Württemberg läuft eine Klage der Deutschen Umwelthilfe, die das Land in der Pflicht sieht, in Reutlingen Fahrverbote zu verhängen. Seit Februar 2015 dürfen nur noch Autos mit grüner Plakette in die Umweltzone fahren, die auf das gesamte Stadtgebiet erweitert wurde. Die zuvor hohe Feinstaubbelastung wurde durch die Umweltzone eingedämmt. Seit 2014 ist die Stadt unter den erlaubten 35 Überschreitungstagen des Feinstaub-Grenzwerts pro Jahr geblieben. Der ÖPNV in Reutlingen ist im Verkehrsverbund Neckar-Alb-Donau („naldo“) organisiert.

Das unternimmt die Stadt: Mit den 19,2 Millionen Euro für Reutlingen will die Stadt drei Maßnahmenpakete fördern: Preissenkungen für öffentliche Verkehrsmittel, Ausweitung des Busangebots und Förderung des Radverkehrs. Wie andere Modellstädte will Reutlingen den Preis für ein ÖPNV-Jahresticket auf 365 Euro reduzieren. Zurzeit kostet dieses 511,20 Euro. Das Ticket ist nicht im gesamten Verkehrsverbund gültig, sondern nur in Reutlingen und der unmittelbaren Umgebung. Zur Ausweitung des ÖPNV-Angebots sollen Mittel in das ambitionierte neue Stadtbusnetz fließen, das die Stadt bereits 2017 beschlossen hatte. Die Stadt will zehn neue Buslinien und 100 neue Haltestellen einrichten. Dazu soll eine zentrale Nahverkehrstrasse ausgewiesen werden, auf der künftig zwölf Buslinien in kurzen Abständen verkehren sollen.

Im Radverkehr will die Stadt die Lead-Cities-Mittel in den Bau zweier Radschnellwege und die Einrichtung einer Fahrradstraße investieren. Im Juni hat die Stadt einen „Masterplan Radverkehr“ vorgelegt. Dabei handelt es sich um ein Gesamtkonzept für den städtischen Radverkehr. Den Fokus hat die Stadt dabei auf die E-Mobilität gelegt. Die Stadt mit vielen Steigungen will „e-bike-city Reutlingen“ werden. Die Kreise und Städte im regionalen Verkehrsverbund planen eine Regionalstadtbahn nach dem Karls­ruher Modell: eine Kombination aus innerstädtischer Straßenbahn und S-Bahn. Wann diese tatsächlich kommt, steht noch in den Sternen.

„Die Maßnahmen sind gut, aber greifen zu kurz“, sagt Holger Bergmann, VCD-Aktiver und Grünen-Gemeinderat in Reutlingen.

Das sagt der VCD Reutlingen: „Das Lead-Cities-Programm ist grundsätzlich positiv, da Reutlingen zusätzliche Mittel für den nachhaltigen Verkehr bekommt. Die Maßnahmen wirken eher mittelfristig. Kurzfristig lassen sich die Luftschadstoffe nur reduzieren, wenn der Autoverkehr eingeschränkt wird.

Billigere ÖPNV-Tickets sind gut, aber das 365-Euro-Ticket greift zu kurz: Viele Pendlergemeinden im Umland liegen außerhalb der Zone, für die es gelten soll. Es ist eben kein Ticket nach Wiener Modell, sondern betrifft nur ein Verkehrsgebiet von etwa 150.000 Einwohnern.

Das Stadtbusnetz ist seit Jahren in Planung. Es ist ein Quantensprung für Reutlingen. Im Radverkehr liegt aber vieles im Argen. Beim ADFC-Klimatest schneidet Reutlingen im bundesweiten Vergleich sehr schlecht ab. Im Radverkehr ist es wie bei den Lead-Cities-Maßnahmen: Die Stadt entscheidet sich willkürlich für einzelne Maßnahmen, ohne diese demokratisch zu legitimieren.“

Text und Gesprächsprotokoll: Tim Albrecht 

4/2018