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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 4/2018

VCD-Experte im Interview zu Luftverschmutzung

„Die meisten sind Betroffene“

Michael Müller-Görnert, VCD-Experte für Verkehrspolitik und saubere Luft, erklärt im Interview, welche Maßnahmen für bessere Luft nötig wären und was der VCD bereits erreicht hat.

„Wir kämpfen auch in Brüssel für saubere Luft“, Michael Müller-Görnert, VCD.

fairkehr: Die EU hat Ende der 1990er Jahre Grenzwerte für Luftschadstoffe festgelegt. Sind die festgelegten Werte angemessen?
Müller-Görnert: Die Grenzwerte orientieren sich an den WHO-Empfehlungen, wobei diese teilweise noch niedriger liegen. Die EU-Grenzwerte sind also Mindeststandards. Allerdings waren die Abgasnormen für Autos und Lkw anfangs zu lasch. Außerdem gab es keine Kon­trolle, ob der reale Ausstoß der Fahrzeuge den Normen entsprach. Das war ein Versagen der EU, aber insbesondere der einzelnen Mitgliedsstaaten.

Ist der VCD auch auf EU-Ebene aktiv?
Ja, wir setzen uns auch in Brüssel für ambitionierte Grenzwerte ein. Im „Clean Air“-Projekt haben sich auf unsere Initiative neun europäische Umweltverbände zusammengeschlossen, um gemeinsam für saubere Luft in Europa zu kämpfen.

Die EU-Kommission macht mit Klagen Druck auf die Bundesregierung, die Grenzwerte einzuhalten. Warum bewegt sich trotzdem nichts?
Es ist ein unpopuläres Thema. Kein Politiker will an die heilige Kuh Auto ran, es könnte Wählerstimmen kosten. Das Bundesverwaltungsgericht hat grünes Licht für Diesel-Fahrverbote in Frankfurt gegeben und festgestellt, dass auch in Stuttgart Fahrverbote die einzige geeignete Maßnahme sind, die Grenzwerte zeitnah einzuhalten. Dass sich Ministerpräsidenten in Bayern und Nordrhein-Westfalen hinstellen und Fahrverbote ausschließen, zeigt ein zweifelhaftes Rechtsverständnis.

Kommt zu wenig Druck von der Straße?
Die meisten Leute sind ja Betroffene, und zwar in beiden Richtungen: Sie atmen die schlechte Luft ein, sind aber auch Autofahrer. Feinstaubpartikel und Stickoxide führen zu einer Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Allergien. Aber man riecht sie nicht und kann sie nicht sehen. Deshalb unterschätzen viele Menschen die Gefahren. Wir werden mit Protestaktionen Druck machen.

Der VCD war am „Nationalen Forum Diesel“ der Bundesregierung beteiligt. Was konnte der VCD dort bewegen?
Wir haben klargemacht, dass der effektivste Weg für saubere Luft kurzfristige Hardware-Nachrüstungen sind. Der VCD hat erreicht, dass es klare Bestimmungen für die Nachrüstung von Stadtbussen gibt, sodass diese jetzt auch kommen. Das sind die Ergebnisse aus der Gruppe zum nachhaltigen Stadtverkehr, in der wir mitgearbeitet haben. Dort ging es vor allem um öffentliche Verkehrsflotten. In der Arbeitsgruppe Pkw fehlt der Abschlussbericht. Hier müssen wir bei den Diesel-Pkw ansetzen, schließlich sind sie für 70 Prozent des Stickstoff­dioxid-Ausstoßes verantwortlich. Wir brauchen Hardware-Nachrüstungen für Diesel-Pkw. Bundeskanzlerin Merkel will sich Ende September dazu erklären.

Was bringen die Testversuche für Luftreinhaltungsmaßnahmen in den fünf „Lead Cities“?
Die Maßnahmen sind schön, bringen aber kaum etwas. Sie passen zum aktuellen Gebaren der Regierung: Für jeden Bereich wird eine Arbeitsgruppe oder eine Kommission eingerichtet. Da werden schlaue Sachen gesagt, was man eigentlich tun müsste, aber die Bundesregierung packt es nicht an. Dabei drängt die Zeit. Wie Armin Laschet in NRW zu sagen, dass wir ab 2022 oder 2024 saubere Luft haben würden, ist ein Schlag ins Gesicht der Bürger.

Der VCD fordert die Einführung der Blauen Plakette. Wie hilft diese weiter?
Wir haben ein Stickoxidproblem und keine Kennzeichnung dafür. Das bisherige System mit grüner, gelber und roter Plakette erfasst nur den Partikel­ausstoß. Dort haben wir kaum noch Pro­bleme, die Umweltzonen haben gewirkt. Deshalb ist es nur logisch, das System weiterzuentwickeln. Die neue Blaue Plakette, die der VCD vorschlägt,  soll besonders saubere Fahrzeuge kennzeichnen. In der Regel sind das Benziner ab
Euro 3, aber auch die neuen Diesel mit der Abgasnorm 6d temp. Die Plakette würde den Druck auf die Hersteller erhöhen, Nachrüstungen für Diesel anzubieten.

Interview: Tim Albrecht 

4/2018