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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 4/2018

Modellprojekt des Bundes

Fünf Städte für saubere Luft

Die Bundesregierung fördert in Modellstädten Maßnahmen für saubere Luft. An effektive Lösungen, wie Blaue Plakette und Hardware-Nachrüstungen für Diesel-Pkw, traut sie sich nicht ran.

Essen ist eine von fünf Modellstädten für sauber Luft, die das Bundeskanzleramt ausgewählt hat.

In Deutschlands Städten ist die Luft zu dreckig. Aktuelle Zahlen des Umweltbundesamtes (UBA) zeigen, dass sich daran auch 2017 nicht viel geändert hat. In München und Stuttgart ist die Atemluft mit fast doppelt so viel Stickstoffdioxid (NO2) belastet, wie die EU erlaubt. Die größte NO2-Quelle sind die Abgase von Diesel-Pkw. Ihre Emissionen machen Menschen krank. Sie lösen Asthma, Allergien und Diabetes aus. Die Bundesregierung strickt ihre Maßnahmenpakete für saubere Luft so, dass Autoindustrie und Diesel-Fahrern Unannehmlichkeiten erspart bleiben. Können Städter bald dennoch wieder sorgenfrei durchatmen?

Anfang 2018 drohte die EU, die Bundesrepublik zu verklagen, weil die NO2-Grenzwerte in vielen Städten überschritten werden. Fahrverbote für Diesel-Pkw rückten in greifbare Nähe. Die Regierung verfiel in Aktionismus. Eilig bestimmte das Kanzleramt Bonn, Essen, Herrenberg, Mannheim und Reutlingen als Modellstädte für saubere Luft, sogenannte „Lead Cities“. Sie sollten testweise einen kostenlosen ÖPNV anbieten. Die Regierung verfolgte damit zwei Ziele: Sie wollte einem EU-Vertragsverletzungsverfahren entgehen, das zu Fahrverboten führen kann. Die EU klagte dennoch. Zudem sollten die Modellstädte evaluieren, wie viele Menschen vom Auto auf Bus und Bahn umsteigen, wenn die Tickets kostenlos sind, und wie sich das auf die Luftqualität vor Ort auswirkt.

Doch die Bundesregierung hatte die Rechnung ohne die „Lead Cities“ gemacht: Diese lehnten den Vorstoß aus dem Kanzleramt ab. Denn der Bund wollte nur einen Teil der Kosten für den riesigen Feldversuch tragen. Das restliche Geld hätten die Städte selbst aufbringenxyc müssen. Zudem sahen sich die Kommunen nicht in der Lage, kurzfristig ausreichend neue Busse und Trams auf Straßen und Schienen zu bringen, um die zusätzlichen Fahrgäste zu transportieren.

Günstiger Bus und Bahn fahren

Der kostenlose ÖPNV in den „Lead Cities“ ist vom Tisch. Doch die Modellstädte haben den zuständigen Bundesministerien für Umwelt und für Verkehr Pakete mit anderen Maßnahmen vorgeschlagen. Hier stehen bei allen Städten günstige ÖPNV-Tickets und verdichtete Takte bei Bussen und Stadtbahnen im Mittelpunkt der Pläne. Doch die Modellstädte werden auch andere Ideen umsetzen. Am 14. August trafen sich Bundesumweltministerin Svenja Schulze und Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer mit den Bürgermeistern der Modellstädte. Dabei wählten sie aus, welche Maßnahmen der Bund fördert. Mannheim darf beispielsweise ein Konzept für den Lieferverkehr mit E-Lastenrädern in der Innenstadt umsetzen, Herrenberg will mit dynamischen Tempolimits auf digitalen Anzeigen Stop-and-go vermeiden.

Der Bund stellt insgesamt rund 130 Millionen Euro für die Umsetzung der Maßnahmen bereit und trägt bis zu 95 Prozent der Kosten. Dabei fördern die Ministerien nur Bemühungen, die bis 2020 messbare Wirkung zeigen. Langfristige Investitionen in Infrastruktur, etwa den Bau neuer Stadtbahntrassen, sind mit den Geldern nicht möglich.

Das UBA hat die Vorschläge der Modellstädte analysiert. „Ein 365-Euro-Jahresticket für den ÖPNV, wie es die Stadt Bonn plant, kann durchaus Wirkung entfalten. Es kann Menschen motivieren, vom Auto auf Bus und Bahn umzusteigen und so die Schadstoffbelastung der Stadtluft reduzieren. Die Maßnahme ist allerdings verhältnismäßig teuer, da die Einnahmen aus Ticketverkäufen sinken“, sagt Martin Schmied, Abteilungsleiter für Verkehr im UBA, der fairkehr.

Nachrüstung von Dieseln nötig

VCD-Verkehrsexperte Philipp Kosok kritisiert, dass Pendler keine günstigen Tickets bekommen: „Die Menschen, die in den Innenstädten unter Stickoxiden leiden, sind selten die Verursacher der schmutzigen Luft. Es sind die Pendler, die täglich 20, 30 oder 50 Kilometer zur Arbeit in das Stadtzentrum fahren, denen man Alternativen zur Fahrt mit dem eigenen Auto anbieten muss.“

UBA-Experte Schmied hält die Wirksamkeit der meisten eingereichten Maßnahmen der Modellstädte mit Blick auf NO2 für begrenzt: „Mehr als 70 Prozent der Stickstoffdioxidemissionen des Verkehrs stammen innerorts von Diesel-Pkw. Die Auswirkungen aller Maßnahmen, die nicht direkt bei den Dieselautos ansetzen, sind daher gering.“ Das UBA rät der Bundesregierung, die Hardware-Nachrüstung bei Dieselfahrzeugen durch die Hersteller durchzusetzen und den Weg für eine Umweltzone mit Blauer Plakette frei zu machen. Nur saubere Diesel, gekennzeichnet mit der Plakette, sollen in NO2-vergifteten Innenstädten fahren dürfen. Diese Maßnahmen kann das Lead-Cities-Programm nicht ersetzen.

Zum Vorbild taugen die Modellstädte vor allem für Kommunen, in denen die NO2-Grenz­werte nur leicht überschritten werden. Dort kann das Drehen an Stellschrauben ausreichen, um die Gesundheit der Einwohner zu schonen und Fahrverbote zu vermeiden. In Städten wie München oder Stuttgart hingegen wird es keine saubere Luft geben, solange der Diesel in Deutschland unter Artenschutz steht.

Benjamin Kühne

4/2018