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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 4/2018

Modellstadt Bonn

Bus und Bahn fahren für einen Euro

Als Modellstadt für saubere Luft bekommt Bonn fast 40 Millionen Euro vom Bund. Damit will die Stadt Bus- und Bahntickets billiger machen.

In der 328  000-Einwohner-Stadt am Rhein herrscht oft dicke Luft.

So siehts aus in Bonn: Die vielen Verkehrsadern durch Bonn machen die Stadt nicht nur zur lautesten in NRW: Seit 2010 die EU-Grenzwerte für Stickoxide (NOx) wirksam wurden, hat Bonn den zulässigen Jahresmittelwert jährlich überschritten. Gegen Feinstaub (PM10) ist Bonn aktiv geworden: Seit Juli 2014 dürfen nur noch Autos mit grüner Umweltplakette ins Stadtgebiet. In diesem Jahr wurde nach Daten des Umweltbundesamts der erlaubte PM10-Tagesmittelwert bisher an fünf Tagen überschritten.

Während der CO2-Ausstoß pro Bürgerin und Bürger zwischen 1990 und 2014 von 9,3 auf 7,2 Tonnen sank, steigen die Klimaemissionen im Verkehr weiter an: von 720  000 Tonnen im Jahr 1990 auf 900  000 Tonnen 2014.

Das unternimmt die Stadt: Mit den etwa 37,6 Millionen Lead-Cities­Euro vom Bund will Bonn ein 365-Euro-Jahresticket für etwa 17  000 Nutzer nach dem Vorbild des Wiener Modells einführen („ÖPNV für 1 Euro am Tag“). Stadtbahnen und -busse sollen häufiger fahren, mit besseren Takten vor allem am Abend und am Wochenende. Zusätzliche Regiobusse sollen den benachbarten Rhein-Sieg-Kreis voraussichtlich ab Sommer 2019 besser mit Bonn verbinden. Hier verhandelt die Stadt noch mit Kreis und Verkehrsverbund.

Weil die Bundesförderung nicht für mehr reicht, werden lediglich Neukunden ein 365-Euro-Ticket kaufen können. Wer bereits ein Abo hat, geht leer aus. Außerdem gilt das Ticket nur im Stadtgebiet. Abokunden in der 1,8-Millionen-Einwohner-Stadt Wien können in einem Umkreis von bis zu 100 Kilometern fahren. Übertragen auf die Region Bonn würde das nach VCD-Berechnungen bedeuten, dass Fahrten bis nach Düsseldorf drin sein müssten. Pendlern aus dem Umkreis versucht die Stadt entgegenzukommen, indem sie während des Lead-Cities-Projektzeitraums das Jobticket attraktiver macht. Gelegenheitsfahrgäste sollen von einem günstigeren Gruppentagestarif profitieren.

Wie es nach zwei Jahren mit 365-Euro-Ticket und besserer Taktung weitergeht, ist offen. Der Bund solle Bonn in die Lage versetzen, die Projekte weiterzuführen, fordert Helmut Wiesner, Dezernent für Planung, Umwelt und Verkehr: „In den Verhandlungen haben wir gesagt: Ihr könnt uns Kommunen nicht zumuten, dass wir nach dem Projektzeitraum sagen müssen: Das wars. Und dann Prügel dafür einstecken.“ Wiesner ist dennoch zuversichtlich, dass die Angebote wirken. Er vergleicht den Umstieg vom Auto in den ÖPNV mit einem Wechsel des Mobilfunkanbieters: Wenn man mit dem neuen zufrieden sei, denke man nach Ende der Laufzeit über eine Vertragsverlängerung nach.

Einen Teil der Lead-Cities-Gelder investiert die Pendlerstadt in betriebliches Mobilitätsmanagement. Ein dreiköpfiges Team wird Unternehmen und Mitarbeiter beraten und deren Mobilitätswünsche bei Stadt und Verkehrsbetrieben einbringen. Ziel: weniger Autofahrer und weniger Pendler zu Stoßzeiten.

60 Maßnahmen für sauberere Luft hatte die Stadt im ersten Schritt Mitte März vorgeschlagen. Nach Aufforderung des Bundes priorisierte sie diese und meldete zehn. Drei wählte der Bund Ende Juni aus. Der Stadt sei klar, dass die Maßnahmen eigentlich im Gesamtpaket notwendig seien, um langfristig zu wirken, sagt Planungsdezernent Wiesner. Einige Vorschläge will er mit Geld aus anderen Fördertöpfen voranbringen. So schrieb die Stadt im August Förderanträge für bis zu 35 Mobilstationen an Bus- und Bahnhaltestellen. Das Land NRW hatte im vergangenen Herbst Geld aus dem Projekt „Emissionsfreie Innenstadt“ in Aussicht gestellt. Die Mobilstationen sollen öffentliche Leihfahrräder, E-Lastenräder, Carsharing-Autos und E-Ladestationen bereitstellen.

„Bonn fehlt oft der Mut“, sagt Rainer Bohnet, Vorsitzender des VCD Bonn – Rhein-Sieg – Ahr.

Das sagt der VCD Bonn: „Das Wiener Modell ist eine gute Sache – aber so, wie Bonn es plant, gucke ich als Stammkunde in die Röhre. Und ich kann damit nicht über die Stadtgrenzen hinaus fahren. Deshalb wird das 365-Euro-Ticket nur marginal wirken. Unser ÖPNV müsste generell günstiger und schneller werden. Wichtig wäre, dass die Stadt klärt, was nach zwei Jahren mit den Lead-Cities-Projekten passiert. Die

38 Millionen Euro dürfen nicht wirkungslos verpuffen. Wenn Bonn die Projekte nicht finanzieren kann, muss sich der Bund etwas einfallen lassen. Ich hoffe, dass das Umweltministerium weiterdenkt, Klima und Atemluft müssen dauerhaft geschützt werden. Gut finden wir, dass sich Stadt und Rhein-Sieg-Kreis des betrieblichen Mobilitätsmanagements annehmen – da brennt es. Wegen großer Arbeitgeber wie Post, Telekom und Behörden kommen täglich mehr als 136  000 Pendler nach Bonn.

Der Stadt fehlen oft Mut und Kreativität. Die einzige Innovation, die sie im ersten Schritt als Lead-Cities-Projekt anmeldete, ist die Seilbahn (fairkehr 3/2017). Ebenfalls vorgeschlagene Radverkehrsprojekte wählte der Bund für Bonn nicht aus. Dabei wären sie günstig und schnell umsetzbar. Bonn traut sich oft nicht, Autoverkehr zugunsten des Radverkehrs einzuschränken. Wir warten auf das versprochene Netz von Fahrradstraßen in der Stadt. Dass Bonn endlich ein öffentliches Fahrradverleihsystem bekommt, begrüßen wir. Ich bin seit 30 Jahren verkehrspolitisch aktiv – in der Zeit wurde so viel geplant und kaum etwas umgesetzt.“

Text und Gesprächsprotoll: Kirsten Lange

4/2018