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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Service 4/2018

E-Roller-Sharing

Per Leihroller durch München

Elektro-Roller-Sharing ist ein neuer Baustein der städtischen Mobilität. fairkehr war in München auf Probefahrt.

Sind besonders bei jungen Leuten beliebt: Elektro-Roller des Sharing-Anbieters Emmy.

in besorgter Kollege hatte mich vor einer spontanen Probefahrt gewarnt – dabei ging alles ganz einfach: Helmbox mit der App öffnen, Helm aufsetzen, Schlüssel rausnehmen, auf den Roller setzen und abbocken, Schlüssel ins Schloss stecken und Schalter auf „On“ stellen. Zum Starten gleichzeitig Bremse ziehen und links den Schalter drücken. Ich drehe vorsichtig am Gasgriff und schon setzt sich der feuerrote Flitzer nahezu geräuschlos in Bewegung.

200 E-Roller des Sharing-Anbieters „Emmy“ sind seit April auf Münchens Straßen am Start, 400 sollen es werden – im nächsten Schritt könnten nochmal so viele dazukommen. Jeder Erwachsene mit Autoführerschein, der ein Smartphone besitzt und sich registriert hat, kann die Scooter auf einer interaktiven Karte finden und online ausleihen. Um die Flotte – es sind Nachbauten des DDR-Kultrollers Schwalbe mit E-Antrieb – zu finanzieren, wirbt der Münchener Finanzdienstleister Green City über ein Crowdinvestment 1,5 Millionen Euro ein. Ganz schön viele englische Begriffe im Zusammenhang mit der neuen Mobilitätsalternative, aber das Prinzip ist einfach und einleuchtend: „Bei der Finanzierung können nicht nur Münchener ab 250 Euro ihren persönlichen Beitrag leisten – für saubere Luft und mehr Lebensqualität in der Stadt“, sagt Jens Mühlhaus, Vorstand der Green City AG im fairkehr-Interview (auf Seite 32).

Ganz Unrecht hatte der Berliner Kollege mit seiner Warnung nicht. Mein Elektroroller, der den schönen Namen Michaela trägt, beschleunigt ansatzlos. Schon eine kleine Drehung am Griff lässt ihn nach vorn schießen. Ich drehe deshalb erst eine Runde auf dem Parkplatz hinter der Emmy-Werkstatt – probiere das Fahren und Anhalten, vor allem aber das Aufstellen, denn Michaela ist ganz schön schwer. „Die Akkus haben ein großes Gewicht“, erklärt Mabon Hein, der junge Standortleiter München, und übt mit mir, bis ich den Kniff raushabe und den Roller sicher auf dem Zweibeinständer aufbocken kann. „Es gibt im Internet für die Handhabung kleine Demo-Filme – damit sollte es eigentlich klappen“, sagt Hein, der neben vielen anderen Aufgaben den Rollerverleih am Bildschirm überwacht und natürlich nicht jedem eine extra Einweisung geben kann.

Die E-Roller sind Zweisitzer

Ich habe zur Probefahrt meine Tochter eingeladen, denn schließlich kann man auf dem Roller zu zweit fahren. Sie ist schon Emmy-Kundin und kennt sich als Studentin in ihrer Unistadt aus. Ein Navi haben die Roller nicht. Das ist ein Manko, denn gleichzeitig auf dem Handy nach dem Weg zu schauen ist riskant und wäre auch verboten. Dafür gibt es zwei Helme in der Gepäckbox, einen für einen großen, den anderen für einen kleineren Kopf. Wir ziehen die beigelegten Einweghauben über die Haare und arrangieren uns mit den beiden Helmgrößen.

Tanken mit Ökostrom

Los geht die Fahrt an der Uni vorbei, wir flitzen durch die prachtvolle Leopoldstraße und biegen in die schicke Maximilianstaße ein, wo wir an den arabischen Großfamilien vorbeirollen, die ihre Einkäufe bei Gucci und Co über die Bürgersteige schleppen. Vor der Brücke über die Isar steht ein alter, klassischer Motorroller neben uns an der Ampel. Sein Auspuff knattert und stinkt. Da fühlen wir uns gleich ein bisschen besser, denn unsere Elektro-Schwalbe wird mit 100 Prozent Ökostrom von Green City betankt.

Wind in den Haaren und Lachen im Gesicht: E-Rollerfahren macht Spaß.

Um das Nachladen der Akkus müssen sich Emmy-Kundinnen und -Kunden nicht kümmern. Den Service übernimmt das Emmy-Team unter der Leitung von Mabon Hein. Mehr als 20 Minijobber kümmern sich im Schichtdienst um die Flotte. Überwiegend junge Männer, der 28-jährige Standortleiter nennt sie „Swapper“, tauschen schwach gewordene Akkus vor Ort gegen frisch aufgeladene aus. „Pick-upper“ sammeln defekte Roller mit Lastern ein und bringen sie in die Werkstatt, wo sie von Mechanikern repariert werden. Ein ganz schöner Aufwand scheint mir das zu sein. „Zwei Unfallschäden haben wir etwa pro Monat“, berichtet Hein, nichts Großes bislang, meistens Blechschäden, dazwischen eine klemmende Gepäckbox, defekte Scheinwerfer oder Blinker. „Es kommt eben schon mal vor, dass ein Roller umkippt“, sagt Hein. Bin ich froh, dass wir das Aufbocken geübt haben!

Rollerfahren macht Spaß. Das Wetter passt und wir haben uns für unsere Spritztour die richtige Zeit ausgesucht. Gegen die Nachmittagssonne und umherfliegende Mücken hilft das getönte Visier am Helm. Der Berufsverkehr ist vorbei und am Tag nach Maria Himmelfahrt sind die meisten Münchener ohnehin in den Bergen oder am See. Die Straßen sind schön leer. Perfekte Rollerbedingungen.

Ich werde mutig und wähle eine stärkere Unterstützungsstufe, wie ich es vom Elektrofahrrad kenne. Wir sind so schnell wie die Autos. 45 Stundenkilometer fahren die E-Roller, das reicht, um im Verkehr gut mitzuschwimmen. „Wir fahren hier nicht auf einem Fahrrad“, ermahnt mich meine Tochter von hinten, als ich immer wieder am rechten Fahrbahnrand klebe. „Wir wollen nicht von Autos auf unserer Spur überholt werden“, sagt die Emmy-Expertin auf dem Sozius, „wir fahren schön mitten auf der Fahrbahn, das ist sicherer.“

Im Stau vor der nächsten Ampel wäre ich dann aber doch lieber Radfahrerin und führe auf dem Radweg rechts an der Autoschlange vorbei. Es wäre möglich, ist aber nicht erlaubt. Hier gilt die Straßenverkehrsordnung, die das Vorbei­drängeln – das in der Realität alle machen – bei Strafe untersagt.

Michaela fällt auf. Sie ist wie alle ihre Münchener Emmy-Geschwister in leuchtendem Rot lackiert. Als wir auf der Suche nach einem schönen Platz fürs Abendessen den Stadtteil Haidhausen ansteuern und dort ein bisschen durch die Straßen gleiten, schauen die Leute uns nach und drehen die Köpfe. Das ist ein bisschen so wie damals, als ich als Erste im Dorf ein knallgrünes Klapprad geschenkt bekam und die anderen aus meiner Klasse noch mit den Klapperkisten ihrer älteren Geschwister unterwegs waren.

Gespannt auf neue E-Mobilität

Wir halten an einem Lokal, um einen Blick auf die Speisekarte zu werfen. „Auf den Rollern sehe ich jetzt voll viele rumfahren“, ruft uns eine junge Frau zu, „habt ihr den gemietet? Wo muss man sich da anmelden?“ fragt sie und zeigt ihren Freundinnen den roten Roller, der ihre Aufmerksamkeit völlig in Anspruch nimmt. Auch auf der Terrasse des Restaurants, in dem wir schließlich landen, werden wir auf den Roller angesprochen. „Ich freue mich richtig auf die spannende Zeit, dass sich so viel tut bei der Elektromobilität“, sagt der Mittfünfziger am Tisch. Der passionierte Radfahrer hatte selbst schon versucht, sich beim Roller-Sharing anzumelden, war aber wegen seines alten, zerfledderten Führerscheins an der Verifizierung per App gescheitert.

Platzsparend und leise

17 000 Benutzer haben sich bislang bei Emmy in München registriert. Überwiegend sind sie männlich. „Vielleicht, weil Männer sich eher für Fahrzeuge und neue Technik interessieren“, vermutet Standortleiter Hein. Meine Tochter glaubt, dass es eher daran liegt, dass Frauen befürchten, mit dem schweren Teil umzukippen oder am Aufstellen zu scheitern. Klickt man auf die Emmy-Homepage, spricht das Unternehmen eindeutig eine sehr junge Klientel an und nicht die fairkehr-Redakteurin jenseits der 50. Ich hätte mir für Fahrten durch die Münchener Innenstadt vermutlich eher ein Fahrrad gemietet.

In der Stadt genauso schnell wie ein Porsche, aber einfach lässiger: E-Roller könnten Autos, aber auch dem öffentlichen Verkehr Konkurrenz machen.

Braucht es wirklich noch ein weiteres Verkehrsmittel in der Stadt? In München, Hamburg, Berlin und Düsseldorf sind Emmys auf der Straße, in Berlin zusätzlich der Anbieter Coup, der auch in Tübingen vertreten ist. In Stuttgart probieren die Stadtwerke mit den E-Rollern Stella das neue Mobilitätsangebot aus.

„Die E-Roller im Verleih sind ein weiterer Baustein für eine multimodale, umweltfreundliche, urbane Mobilität“, sagt Philipp Kosok, VCD-Referent für Verkehrspolitik, „sie sind platzsparend und leise.“ Auch Gerd Lottsiepen, verkehrspolitischer Sprecher des VCD, steht den Scootern positiv gegenüber. „Solange Menschen mit Verbrennungsmotoren fahren, ist jede Alternative dazu gut.“ Er war es, der mir geraten hatte, nicht ungeübt loszufahren. „Menschen, die noch nie oder lange nicht mehr Moped gefahren sind, sollten aus Gründen der Sicherheit vorher unbedingt eine Fahrstunde nehmen“, rät Lottsiepen.
Nach dem Essen fährt meine Tochter mit ihrem Fahrrad nach Hause. Ich nehme den Roller, den ich aus Bequemlichkeit nur geparkt, nicht ausgecheckt hatte. 19 Cent berechnet Emmy pro gefahrener Minute, 5 Cent fürs Parken.

15 Minuten Fahrtzeit kosten in etwa so viel wie ein Einzelfahrschein mit der U-Bahn, und das sei zudem noch „entspannter und direkter als mit den Öffis“, heißt es auf der Emmy-Seite.
 Philipp Kosok glaubt trotzdem nicht, dass die Roller dem öffentlichen Verkehr große Marktanteile wegnehmen. „Gerade für ÖPNV-Stammkunden und Fahrradfahrer sind solche Dienste eine gute Ergänzung ihres Hauptverkehrsmittels. Wenn es mal ganz spontan und schnell gehen soll oder in der Nacht keine Busse und Bahnen mehr fahren, kann man hier aufspringen und bleibt mobil, anstatt frustriert an der Haltestelle zu stehen“, sagt der VCD-Referent.

Zurück im Hotel frage ich mich, ob ich für meinen Leihroller einen guten Parkplatz gewählt habe – er steht auf dem Gehweg, nicht vor einem Schaufenster, selbstverständlich nicht vor einer Ausfahrt – und ist so abgestellt, dass Fußgänger und Rollstuhlfahrer bequem vorbeikommen. Als ich per App den Standort checken will, finde ich den Roller nicht mehr. Michaela ist schon wieder unterwegs.

Uta Linnert

4/2018