fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Editorial 1/2018

Einfach nur da sitzen

Foto: Marcus GlogerMichael Adler, Chefredakteur

„Wegzukommen ist uns heilig
Anzukommen ist egal
Immer unter Strom
Immer unterwegs und doch überall zu spät.”

Der Liedtext der Band Element of Crime stammt aus dem Jahr 1993 und ist doch brandaktuell. Schnelligkeit ist eine Tugend, wer langsam ist, hat schon verloren. So das Credo unserer Zeit.

Aber wir wollen immer schneller immer mehr Zeit sparen, mit der wir dann, wenn wir sie ausgezahlt bekommen, nichts anzufangen wissen.

Die Digitalisierung beschleunigt unser Leben, heißt es allenthalben. Wir sind es selbst. Auf unserer Grafikdoppelseite finden Sie höchst spannende Zahlen zum Thema: Zwischen 1994 und 2009 hat das Schritttempo in Städten um 10 Prozent zugenommen. Beethovens 3. Symphonie spielte der Meister selbst noch in einer gemütlichen Stunde. 2008 wurde die gleiche Musik in

42 Minuten runtergespielt. Wohl kaum Effekte der Digitalisierung. Wir fühlen uns dauerhaft gehetzt. Vielleicht ist es ja doch der Zwang in der kapitalistischen Welt, immer leistungs- und konsumbereit zu sein, wie Professor Stephan Rammler in unserem Interview sagt.

Was auffällt, ist, dass wir oft sinnlos Einzelstrecken beschleunigen, aber dabei das Ganze aus dem Auge verlieren. Beispielsweise beschleunigt die Bahn einzelne Strecken, wie zuletzt von München nach Berlin, und gibt dafür Milliarden aus. Aber der Deutschlandtakt, der die Systemgeschwindigkeit für alle erhöhen würde, wird nur halbherzig verfolgt.

Ein anderes Beispiel ist die Freiheit des Porschefahrers, zwischen zwei roten Ampeln mal kräftig Gas zu geben. Das befriedigt offenbar sein Ego, aber eben nur seins. Klug wäre eine reduzierte Höchstgeschwindigkeit für Einzelne, die zu einer höheren Systemgeschwindigkeit für alle führen würde. Unsere Städte und Dörfer würden für die Langsameren unter uns, die Fußgänger und Radfahrer, erheblich sicherer. Es wäre ruhiger und alle Menschen würden den Verkehr als weniger stressig empfinden.

Noch ein typisch deutsches Beispiel: Unser immer noch nicht erlassenes Tempolimit auf Autobahnen. Auf über 18 000 Kilometern in Deutschland darf man frei rasen. Durch die Jäger auf der linken Spur und die Gejagten auf den anderen Spuren entsteht eine große Anspannung, die man auf französischen Autobahnen nie so empfindet.

All diese Beschleunigungen haben nichts mit Digitalisierung zu tun, sondern entspringen bewussten politischen Entscheidungen beziehungsweise Nicht-Entscheidungen. Welch ein glückliches Land ist doch die Schweiz, die sich eine dritte Säule der nationalen Verkehrspolitik mit dem Titel „Langsamverkehr“ gönnt. Im aktuellen Koalitionspapier lese ich von derart innovativen Überlegungen leider nichts.

Und wenn Sie nach so viel Beschleunigung doch mal plötzlich Zeit haben sollten, dann empfehle ich, einer weisen jungen Frau aus dem Norden Europas zu folgen. „Und nach der ganzen Plutimikation, braucht man ja auch noch Zeit, einfach nur dazusitzen und vor sich hin zu schauen“, sagt Pippi Langstrumpf. Tun Sie das mal, Sie kommen auf ganz neue Gedanken.

Ein langsames Frühjahr wünscht Ihnen
Michael Adler

fairkehr 1/2018