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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 6/2017

Traum vom „grünen” Fliegen

Neue Technologien wie Power-to-Liquid wecken Hoffnungen auf einen CO2-neutralen Flugverkehr. Wie realistisch ist das?

Mehrere weiße Flugzeuge sind über Rampen an ein Terminal angedockt. Im Hintergrund ist das Meer zu sehen.
Der weltweite Flugverkehr wächst und wächst – ein Problem für das Klima.

Ein Passagierflugzeug wiegt 400 Tonnen. Das entspricht dem Gewicht von hundert Elefanten. Für einen Langstreckenflug müssen diese 10 000 Meter in die Höhe gehoben werden. Über einhunderttausend dieser Elefantenherden katapultieren wir täglich um den Globus, Tendenz steigend. In der Ära der Billigflieger haben wir das Gefühl dafür verloren, wie immens der hierfür benötigte Energieaufwand ist.

Ermöglicht wird der Kraftakt durch einen simplen, aber entscheidenden Umstand: Ein für den Antrieb wichtiges Element muss nicht mitgenommen werden. Die Turbinen saugen Luft an und liefern den für die Verbrennungsreaktion nötigen Sauerstoff. Wollte man ein Flugzeug mit Elektrobatterien betreiben, würde dieser Vorteil wegfallen. Die gesamte Energie müsste in ihnen gespeichert werden: „Die Batterien müssten sehr groß und schwer sein”, so Lars Mönch, Leiter des Fachgebiets Schadstoffminderung beim Umweltbundesamt. „Jedes zusätzliche Kilo führt aber wieder zu einem höheren Energieverbrauch.” Eine umfassende E-Lösung in der kommerziellen Luftfahrt halten Experten daher für unrealistisch.

Auch dem Solarflugzeug sind Grenzen gesetzt. Zwar gelang dem Prototyp Solar Impulse 2 im letzten Jahr unter großem Medienecho die Weltumrundung, aber eine Anwendung von Solarflugzeugen im Passagierflugbereich ist nicht in Sicht. Dafür sind diese zu klein, zu wenig belastbar und zu langsam. Der Abschied vom Verbrennungsmotor, der beim Auto greifbar scheint, liegt beim Flugzeug in weiter Ferne.

Das macht die Luftfahrt zum ver‑ kehrspolitischen Sorgenkind des Klimaschutzes. Nach Angaben des VCD ist der Verkehrssektor für rund ein Viertel des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Rechnet man alle indirekten Effekte mit, entfallen etwa fünf Prozent der globalen Treibhausgas-Emissionen auf das Fliegen. Hinzu kommt: Fluglärm belastet die Gesundheit vieler Menschen, die in Einflugschneisen großer Flughäfen leben. Kein Verkehrsmittel hat eine schlechtere Ökobilanz, und der Flugverkehr nimmt rasant zu. Aber die Flugzeugindustrie hat sich verpflichtet, ihre Emissionen bis 2050 zu halbieren. Wie soll das gehen?

Umgekehrte Verbrennung

Solar- und Elektrotechnik werden das Umweltproblem im Flugverkehr wohl nicht lösen. Aber das Fliegen mit fossilen Brennstoffen ist schlecht fürs Klima. Jetzt scheint sich ein dritter Weg zwischen diesen beiden ungangbaren Wegen abzuzeichnen: Was, wenn man erneuerbare Energien einsetzen könnte, um synthetische Kraftstoffe herzustellen? Diese Technologie wird als „Power-to-Liquid” (PtL) bezeichnet. Dahinter steckt ein aufwendiges chemisches Verfahren, mit dem man Wasserstoff und Kohlenstoff zu Kohlenwasserstoffen zusammenfügt. Diese sind auch bei fossilen Kraftstoffen die Energieträger.

Die Verfahren hierfür sind bekannt. Zunächst wird mithilfe von Strom aus Wasser Wasserstoff gewonnen (Elektrolyse). Kohlenstoff lässt sich aus dem Treibhausgas Kohlendioxid (CO2) isolieren. Dieses könnte man aus der Luft filtern. Hat man die beiden Komponenten vorliegen, kann die Synthese beginnen. Heraus kommt künstliches Rohöl, das zu Flugbenzin weiterverarbeitet werden kann.

Eine Infografik, die das Verfahren Power to Liquid erklärt, beim aus Strom flüssiger Kraftstoff hergestellt wird.
Power-to-Liquid dreht den Verbrennungsprozess um. Wasser und Kohlendioxid (CO2) werden in Kraftstoff „zurückverwandelt“.

Kurz: Bei der Herstellung von PtL wird der Verbrennungsprozess umgekehrt. Man beginnt mit den „Verbrennungsprodukten” Wasser und CO2 und wandelt diese durch Zugabe von Energie in Kraftstoffe „zurück” – eine sehr ambitionierte Technologie. Je mehr der für die Isolierung der Bestandteile benötigten Energie aus erneuerbaren Quellen stammt, desto besser die Ökobilanz des synthetischen Öls.

Beste der schlechten Lösungen

Das große Versprechen von PtL liegt jedoch in seiner CO2-Neutralität. Denn beim Verbrennen des Kraftstoffs würde nur so viel CO2 freigesetzt wie bei seiner Herstellung gebunden wurde. Ein weiterer Vorteil: Der PtL-Kraftstoff kann in bereits existierenden Flugzeugen vertankt oder als „Drop-in Fuel” herkömmlichem Kerosin beigemischt werden. Das heißt: Würde PtL heute in Massenproduktion gehen, könnte die Flugzeugindustrie morgen auf die CO2-neutralen Kraftstoffe umsteigen.

Doch für eine industrielle Produktion von PtL würden immense Mengen an erneuerbaren Energien benötigt, die in den meisten Ländern schlicht nicht zur Verfügung stehen. Dazu kommt die geringe Energieeffizienz von synthetischen Kraftstoffen. Von 100 Prozent Energieeinsatz bei der Produktion bleiben am Ende 13 Prozent übrig. Aus Sicht des VCD sind synthetische Kraftstoffe daher für Verkehrsträger wie das Auto, die direkt elektrifiziert werden können, keine sinnvolle Alternative. Warum sollte man Strom unter großen Energieverlusten zu Kraftstoffen umwandeln, wenn man das Auto direkt mit Elektrizität antreiben kann?

Auch im Flugverkehr stellt sich das Preisproblem: Nach Schätzungen des Umweltbundesamts wird PtL-Flugbenzin im Jahr 2050 noch doppelt so teuer sein wie Kerosin. Und das nur, wenn der Rohölpreis sich bis dahin verdoppelt. „PtL ist seit Jahrzehnten bekannt, es funktioniert. Wir haben hier nur das Kostenproblem”, resümiert Mönch. PtL wird nur konkurrenzfähig sein, wenn Kerosin teurer wird. Erste Schritte dazu wären aus Sicht des VCD die Einführung einer Kerosinsteuer oder die Einpreisung der Klimaschäden durch eine CO2-Steuer.

Doch selbst mit PtL wird das Fliegen nicht „grün”. Auch synthetische Kraftstoffe stoßen bei der Verbrennung Luftschadstoffe aus. Dazu kommt die Bildung von Kondensstreifen und Zirruswolken. „PtL löst diese Probleme nicht”, so Mönch. „Allenfalls können wir kleine Verbesserungen bei Stickoxiden erzielen. So lange wir kerosinähnliche Kraftstoffe einsetzen, bleiben die Effekte da.”

Trotz dieser Einwände sehen viele Experten in PtL die beste Chance, die Emissionen im Flugverkehr zu verringern.  Im Vorfeld der Klimakonferenz in Bonn richteten Vertreter von Forschungsinstituten und Luftfahrtverbänden einen Appell an die Teilnehmer, PtL stärker zu fördern. Laut einer Studie des Umweltbundesamts ist die Technologie bereits deutlich weiter entwickelt, als allgemein bekannt.

Auch aus Sicht des VCD könnte PtL im Flugverkehr die beste der schlechten Lösungen sein – aus Mangel an Alternativen. Letztendlich kann PtL nur einen kleinen Beitrag leisten. An einer Begrenzung des Flugverkehrs und der Verlagerung auf andere Transportmittel, vor allem im Kurz- und Mittelstreckenbereich, führt kein Weg vorbei. Dazu Lars Mönch: „Die Prioritäten müssen Vermeidung und Verlagerung sein. Die Nutzung von regenerativ produziertem PtL wird nicht ausreichen, um den Flugverkehr klimaschutzneutral zu gestalten.”  Auch beim Fluglärm erzielt man mit PtL keine Verbesserungen: Die Flugzeuge bleiben genau so laut wie heute. Den besten Beitrag zum Klimaschutz leistet immer noch jeder einzelne vermiedene Flug.

Tim Albrecht

fairkehr 5/2023