fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

Obere Wilhelmstraße 32 | 53225 Bonn | Telefon (0228) 9 85 85-85 | www.fairkehr-magazin.de

Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 4/2017

Bahnen ziehen mitten in Berlin

Der Verein „Flussbad Berlin“ verfolgt einen ehrgeizigen Plan: Das Wasser der Spree soll so sauber werden, dass man darin schwimmen kann. 

Spree, Flusschwimmen, Flussbad,
cc realities:united / 2012 Flussbad Berlin e.V.Leider Vision: Die angedachten Frei­t­reppen wollen die Denkmalschützer verhindern.
Axel SchmidtErkennungszeichen gelbe Badekappe: Mitglieder und Freunde des Vereins "Flussbad Berlin“ haben sich auf der Monbijoubrücke zum 3. Berliner Flussbad Pokal 2017 getroffen, auch wenn sie wegen Verschmutzung der Spree nicht ins Wasser konnten.

Und dann wurde es doch noch ein fröhliches Fest. Nach dem Jahrhundertregen Ende Juni war die Wasserqualität in der Spree so schlecht, dass der Verein „Flussbad Berlin“ seinen für den 3. Juli geplanten Schwimmwettbewerb absagen musste. Statt mit über 300 angemeldeten Teilnehmern den Flussbad Pokal 2017 auszutragen, hatte der Verein ersatzweise das Motto „Singen statt Schwimmen“ ausgegeben. Viele Freunde und Interessierte sind zum Startpunkt auf die Monbijoubrücke gekommen. Gegen Mittag bringt der Chor der Kulturen der Welt ein eigens für diesen Tag komponiertes Lied zur Aufführung. Nach ein paar Probedurchgängen unter der Leitung der Komponistin Barbara Morgenstern singen alle Besucher den Refrain swingend mit und schwärmen im Takt vom Plätschern im städtischen Nass und Bahnenziehen in der Mitte von Berlin.

Flussbad Berlin hat sich ein großes Ziel gesetzt: Auf einer Länge von 1,8 Kilometern möchte der Verein den kaum genutzten Spreekanal entlang der Museumsinsel bis zum historischen Hafen an der Fischerinsel ökologisch reinigen, zugänglich machen und zu einem neuen, öffentlichen Ort der Stadt entwickeln. Das Wasser dort soll so sauber sein, dass Berlinerinnen und Berliner und Gäste der Stadt darin schwimmen können.

Diese Idee der Architekten Jan und Tim Edler hat bereits 2012 den globalen Holcim Award für nachhaltiges Bauen gewonnen. Dieser Preis der Schweizer Holcim Foundation ist mit 50 000 Dollar einer der am höchsten dotierten Architekurauszeichnungen. Bund und Land Berlin fördern das Projekt im Programm „Nationale Projekte des Städtebaus“ mit insgesamt vier Millionen Euro. Bis Ende 2018 hat das Team der Flussbad-Geschäftsstelle Zeit, die Machbarkeit des Projektes unter Beweis zu stellen, Hindernisse aus dem Weg zu räumen und der Politik viele gute Gründe zu liefern, ein natürliches Flussbad vor historischer Kulisse zu realisieren.

Den Sprung in die Spree wagen

Schaut man von der Monbijoubrücke am Bodemuseum hinab, sieht die zukünftige Badestelle nicht sonderlich einladend aus. Es ist nicht der Schmutz, der verstört, denn der größte Dreck ist drei Tage nach den Regengüssen schon durch. Das Wasser kräuselt sich schwarz und fließt sehr tief unten, es ist eingezwängt zwischen hohen Kaimauern und der Rückfassade des klotzigen Museumsbaus gegenüber. Nach wenigen Metern verschwindet der Kanal unter den ersten Brücken. Über sie rattern alle paar Minuten die Stadtbahnen und der lange ICE fährt durch zum nahen Hauptbahnhof. „Gar nicht unheimlich und ein ganz tolles Erlebnis“, beschreibt Erik Schmidt-Wergifosse seine Erfahrung vom letztjährigen Probeschwimmen.

Der Geograf arbeitet ehrenamtlich im Verein mit und hat sich wie viele Mitstreiter zum Zeichen die quietschgelbe Vereinsbadekappe übergezogen. Den Neu-Berliner überzeugt vor allem, dass das Projekt wieder einen Bezug zum Fluss herstellt und ihm nicht, wie alte und neue Paläste, den Rücken zukehrt.

„Es wäre doch wunderbar, einfach so einen Sprung in die Spree zu wagen, ohne groß darüber nachdenken zu müssen, ob das Wasser gesundheitsgefährdend ist oder nicht“, sagt Kai Dolata, der seit 2015 Projektmanager von Flussbad Berlin ist. Das größte Problem des freien Schwimmens ist die Wasserqualität der Spree. Sie kommt relativ sauber in Berlin an, muss dann aber den Schmutz der Stadt aufnehmen. „Die Wasserbetriebe betreiben im Zentrum eine sogenannte Mischwasserkanalisation“, erklärt Architekt Dolata. „Bei jedem Starkregen laufen die Kanalrohre mit allen Abwässern ungeklärt in die Spree über“, sagt er. Das klingt unglaublich, aber tatsächlich fließt 20 bis 30 Mal im Jahr eine stinkende Brühe aus Waschwasser und Kloake mitten durch die Hauptstadt.

In anderen Städten sieht es besser aus. Die Baseler können im Rhein schwimmen, die Züricher in der Limmat, München hat die Isar renaturiert und am glasklaren Eisbach im Englischen Garten dulden die Behörden das erfrischende Eintauchen. In der dänischen Hauptstadt springen die Kopenhagener direkt vor der Oper ins Wasser, weil die Stadt das Meer in ihrem Hafenbecken sauber hält. „Auch hier in Berlin ist das möglich“, sagt Heiko Sieker. Der Professor für Urbane Hydrologie an der TU Berlin gibt als Flussbad-Mitglied an diesem Sonntag ebenfalls Auskunft. „Ich sehe kein Problem darin“, sagt er, „den Kanal so sauber zu bekommen, dass er zum Baden geeignet ist.“ Vor der 835 Meter langen Schwimmzone plant das Projekt einen 400 Meter langen ökologischen Wasserfilter aus bepflanztem Kies, durch den das Spreewasser strömt und gereinigt wird. Das östlichste Kanalstück an der Fischerinsel will der Verein in eine ökologische Regenerationszone mit einem Steg auf Wasserniveau umbauen.

Welterbe geht baden

Dort heute auf dem Landweg hinzukommen ist gar nicht so einfach. Baustellen versperren den Weg, Straßen müssen überquert und mächtige Gebäude mit dem Rad umfahren werden. In Höhe des Lustgartens, der Grünanlage vor dem Dom und dem ehemaligen Schlossplatz, öffnet sich die Szenerie. An dieser freieren Stelle des Kanals, den die Berliner Kupfergraben nennen, fällt die Vorstellung, ins Wasser zu steigen, viel leichter. Hier haben die Planer großzügige Freitreppen als Zugang zum Schwimmbereich angedacht. Allerdings steuern sie damit auf die nächsten Hürden zu: den Denkmalschutz und die UNESCO. Letztere droht mit der Aberkennung des Welterbestatus der Museumsinsel, sollten die Uferbereiche baulich verändert werden. Auch die Direktoren der Museen und der Leiter des Humboldt-Forums, das in das wieder­erbaute Stadtschloss einziehen wird, finden die Vorstellung gar nicht lustig, dass die Berlinerinnen und Berliner demnächst vor ihren ehrwürdigen Häusern Bahnen ziehen oder Mädchen im Bikini auf den Freitreppen herumspazieren.

„Unser Projekt ist keine Spinnerei für einige Wenige“, sagt dagegen die zweite Vorsitzende des Flussbad-Vereins, Charlotte Hopf. Die 39-Jährige war bis letztes Jahr leitende Architektin am Berliner Dom und damit direkte Anrainerin. In ihrer Rede erklärt sie, dass das Schwimmen nicht im Zentrum des Projektes stehe. „Es geht uns um die Stadt­entwicklung in der Berliner Mitte, um Offenheit, die wir sichtbar und für alle erlebbar machen wollen. Flussbad ist ein Projekt für die lebenswerte Stadt“, sagt die Architektin. Sie bejaht die Frage, ob man im Welterbe schwimmen darf, mit einem Verweis auf die Aufklärung, in deren Geist die Museumsinsel schließlich entstanden sei. „Im Vertrauen auf die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer, also die Zivilgesellschaft, lädt der öffentliche Raum dazu ein, Werte zu teilen: Nachhaltigkeit, Diversität, Gemeinschaft.“

Das Projekt Flussbad macht Fortschritte und fasziniert über die Grenzen  der Stadt hinaus. Mitglieder des Abgeordnetenhauses und des Bundestages quer durch alle Parteien sagen ihre Unterstützung zu. Brigitte Kunze, frühere VCD-Geschäftsführerin, betreut heute den Infotisch. „Das ist ein tolles Projekt, zu dem wir fast nur Zustimmung erhalten“, sagt die Wahl-Berlinerin, die schon seit einigen Jahren im Verein aktiv ist. „Die Mitte gehört doch auch uns und nicht nur den Touristen. Das Wasser gehört zu Berlin und den Berlinern. Wir machen den Fluss sauber und holen die Natur zurück in die Stadt“, sagt sie. Und wie zur Bestätigung brechen ein paar Sonnenstrahlen durch die graue Wolkendecke und verleihen dem Wasser einen Glanz, der es schon viel heller aussehen lässt.

Uta Linnert

Wem gehört die Spree

Mehr lesen über das Stadtentwicklungsprogramm „Flussbad Berlin“, Visionen, Veranstaltungen und Termine: www.flussbad-berlin.de
Einfach vorbeigehen: Direkt am Ufer des Spreekanals, auf dem Gelände der Hochschule ESMT, hat der Verein den Flussbad Garten eingerichtet – als Plattform für Bildung, Experiment und Wissenschaft, als Ort zum Verweilen unter Lindenbäumen. Schautafeln informieren über Ziele und Fortschritt des Projektes.

fairkehr 5/2023