fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

Obere Wilhelmstraße 32 | 53225 Bonn | Telefon (0228) 9 85 85-85 | www.fairkehr-magazin.de

Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

VCD aktiv 3/2017

Interview: „Verkehrs- und Siedlungsplanung wieder zusammendenken“

Im Interview spricht Thomas J. Mager über seine Ziele als VCD-Vorstand und darüber, wie man die Mobiltät für Landbewohner ohne eigenes Auto verbessern kann.

Foto: Markus BachmannThomas J. Mager ist Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Schwarzwald-Baar, Inhaber der Beratungsfirma tjm-consulting und des Kölner Stadt- und Verkehrs-Verlags. Im VCD-Vorstand ist er für die Themen ÖPNV und multimodale Konzepte zuständig.
Foto: Tobias Vollmer/MWVLWThomas J. Mager hält regelmäßig Vorträge zu Mobilität, unter anderem als Dozent an den Hochschulen Luzern und Furtwangen.

Sie sind bereits seit 1989 VCD-Mitglied. Was hat Sie 2016 dazu bewogen, für den Vorstand zu kandidieren?
Als Vorstand im VCD möchte ich Verkehrspolitik gestalten, die sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert statt an den Interessen der Autoindustrie. In Deutschland wird derzeit keine Verkehrspolitik gemacht. Das Ressort von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt betreibt Wirtschaftspolitik.

Was wollen Sie während Ihrer Amtszeit im VCD-Vorstand erreichen?
Der CO2-Ausstoß des Verkehrs in Deutschland ist seit Jahren konstant hoch, auch weil der Staat das Autofahren subventioniert. Ich setze mich für das Ende klimaschädlicher Subventionen wie der Pendlerpauschale oder der steuerlichen Privilegierung von Dienstwagen ein. Die Bahncard 100 muss dem Dienstwagen gleichgestellt sein. Momentan sehen die Unternehmen die Bahncard nicht als Alternative zum Dienstwagen an. Selbst als ich für die Deutsche Bahn gearbeitet habe, hat man mir absurderweise ein Auto statt einer Bahncard 100 angeboten. Daneben ist die Reform der Stellplatzverordnungen überfällig. Noch muss in vielen Bundesländern für jede gebaute Wohnung ein Parkplatz geschaffen werden. Deutschland braucht endlich einen Masterplan Mobilität, der Mindeststandards einer ökologisch-sozialen Verkehrswende für Stadt und Land verbindlich festschreibt.

Welche Ziele verfolgen Sie verbandsintern?
Der VCD lebt maßgeblich von den Aktiven vor Ort. Ich will die Mitmach- und Wertschätzungskultur im VCD stärken. Die VCD-Familie hat auch einen geselligen Aspekt – das können gemeinsame Radtouren oder auch mal ein Grillabend sein. Zudem will ich die Gliederungen untereinander besser vernetzen.

Als Geschäftsführer des Verkehrsverbundes Schwarzwald-Baar vermarkten Sie ÖPNV. Wie kann man den ländlichen Raum besser anbinden und den Bewohnern ein Leben ohne Auto ermöglichen?
Ein Stundentakt mit Abfahrtzeiten, die man sich merken kann, ist das absolute Minimum. Der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg hat mit dem Plusbus-Konzept ein intelligentes System umgesetzt: Ortschaften entlang der Hauptkorridore zwischen Ober- und Mittelzentren sind im Stundentakt mit Bussen verbunden.

Und was ist mit den Dörfern abseits der Hauptstraßen?
Kleinere Ortsteile kann man mit Kleinbussen oder Anrufsammeltaxis erschließen. Das Anrufen ist keine große Hürde. Heute hat fast jeder ein Handy, und wer eine Pizza bestellen kann, kann auch ein Sammeltaxi rufen. Mit dem Angebot von sicheren, wettergeschützten Fahrradabstellanlagen an den Haltestellen kann man Fahrgäste motivieren, mit dem Fahrrad oder dem Pedelec zur Haltestelle zu fahren.

Immer mehr Menschen ziehen in die Städte. Kann ein besseres Mobilitätsangebot die Landflucht eindämmen?
Ja. Dazu ist es wichtig, Verkehrs- und Siedlungsplanung wieder zusammenzudenken. Kleine, günstig gelegene Orte mit Potenzial müssen wir stärken. Dort müssen die Einwohner Dinge des täglichen Bedarfs kaufen können und grundlegende Dienstleistungen angeboten bekommen. Das kann ein Dorfladen sein, der Lebensmittel und Zeitungen verkauft und gleichzeitig Poststelle ist. Dort kann auch der Arzt einmal in der Woche Sprechstunde halten. Der Kombibus kann den Dorfladen mit Waren beliefern und die Post mitnehmen. Wir müssen weg von dem Gedanken, dass der ÖPNV seine Aufgabe erfüllt hat, wenn die Schüler in die Schule und die Oma zum Arzt fahren können. Wer den ÖPNV nach solchen Kriterien plant, zwingt die Menschen zum Autofahren.

Lohnen sich Investitionen in den ländlichen ÖPNV vor dem Hintergrund des ­demografischen Wandels? In den Städten könnte man mit dem gleichen Geld viel mehr Menschen erreichen.
Natürlich kann man auf dem Land sinnvoll investieren. Wir dürfen die Menschen ohne Auto im ländlichen Raum nicht verkehrspolitisch abschreiben. Das wäre eine gesellschaftspolitische Bankrotterklärung.

Wie stellen Sie sich den Verkehr auf dem Land im Jahr 2050 vor?
2050 verfüge ich im ländlichen Raum über ein dichtes Angebot von vertakteten, automatisierten, elektrischen Kleinbussen, die mich auf Anforderung oder fahrplanmäßig zu meinem lokalen Ziel oder zum nächsten Bahnhof bringen. Dort habe ich direkten Anschluss. Zum ÖPNV gehören auch engmaschige Netze von E-Car- und Bikesharing-Stationen für die erste oder letzte Meile. Fahrkarten gibt es nicht mehr, weil die Kosten für Bahn und Bus sowie ergänzende Bike- und Carsharing-Systeme nach ökologischen und sozialen Kriterien steuer- oder umlagefinanziert sind. Private Autos fahren natürlich schon seit mehr als zehn Jahren elektrisch und werden mit lokal erzeugtem Ökostrom geladen.

Interview: Benjamin Kühne

Die Gesichter des VCD

fairkehr gibt dem VCD ein Gesicht: Auch 2017 sprechen wir in jeder Ausgabe mit einem Mitglied des VCD-Bundesvorstandes. Vier Frauen und drei Männer engagieren sich dort derzeit ehrenamtlich für umweltfreundliche Mobilität. Sie gestalten die Ausrichtung des VCD und repräsentieren diesen durch Lobbyarbeit gegenüber der Politik.

fairkehr 5/2023