fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 3/2017

Abwarten und Tee trinken hilft nicht

Was macht mehr Spaß: sich mit Karte, Kompass und GPS in der Wildnis zu orientieren – oder ohne große Vorbereitung auf gut ausgeschilderten, komfortablen Wegen zu gehen? Was fairkehr-Autorin Valeska Zepp auf unbeschilderten Wegen in Schottland erlebt hat, lesen Sie hier. Kollegin Regine Gwinner plädiert für Wege, auf denen sich niemand verirren kann [hier geht es zu Regines Text].

Foto: Valeska ZeppSchottland, Isle of Skye: Nichts verstellt Wanderern die Aussicht – weder Schilder noch Absperrungen – es sei denn, die Wolken fallen vom Himmel.

Wenig Aufwand und Planung. Das war bisher mein Credo fürs Wandern. Traumpfad in der Eifel oder Rheinsteig-Etappe aussuchen und loslaufen in der Gewissheit, dass alle 50 Meter ein Schild den Weg weist und die Route mich abwechslungsreich auf  schmalen Pfaden zu schönen Aussichten bringt. Nach gern auch anstrengenden, aber gut kalkulierbaren vier bis fünf Stunden freue ich mich auf kalte Getränke, Kaffee und Kuchen in einem wanderfreundlichen Gasthof.

Ich war bislang ganz bei Rainer Brämer, der mit seinem Deutschen Wanderinstitut erforscht, wie Menschen die Natur erleben wollen und wie Touren beschaffen sein sollten. Mit seinen Erkentnissen hat der Soziologe Deutschlands beliebteste Etappen- und Rundwanderwege entwickelt – für Wanderer wie mich, die es einfach und gut haben wollen.

Wichtig: Kompass oder GPS

Seit der Schottlandreise mit meinem Freund im letzten Jahr habe ich Sehnsucht nach etwas anderem: nach wilder Landschaft und launischen Wanderungen, die den Orientierungssinn fordern. In den Highlands ist Wandern ohne Karte und Kompass oder GPS so leichtsinnig wie Klettern an hohen Wänden ohne Seil. Selten gibt es vorgefertigte Wanderwege, kaum Schilder oder Markierungen.

Trotz Warnungen im Reiseführer wollten wir nicht recht glauben, dass man sich selbst mit Karte ruckzuck verirrt. Dann haben wir es erlebt: Es sollte nur ein kurzer Ausflug sein, am ersten Tag auf der Isle of Skye. Keine zwei Stunden den Berg hinauf zu einer berühmten, fürs Kino verfilmten Aussicht.

Der Aufstieg ohne Wegweiser war leicht, wir konnten die Trampelpfade gut ausmachen. Die Sicht über Glens und Lochs bis zum Meer ist wirklich umwerfend. Noch umwerfender war der Nebel. Die Wolken fallen auf Skye plötzlich vom Himmel. Die Sicht ist dann wie ausgeknipst. Wir ließen uns auf der Stelle ins Gras plumpsen, um den Nebel auszusitzen mit Tee und Keksen.

Vielleicht entscheiden sich die Schotten gegen die Beschilderung, weil selbst Wegweiser in solch einer dicken Suppe nichts nützen. Oder sie finden ihre Landschaft einfach schöner ohne.

Auf der Zugreise in die Highlands blieb viel Zeit zum Lesen und Recherchieren. Wir entdeckten die geniale Internetseite der schottischen Wanderinitiative Walkhighlands. Dort finden Anfänger und Erfahrene Tourenvorschläge in ganz Schottland  – auch für die so gut wie unmarkierten Highlands – inklusive GPS-Tracks zum Herunterladen. Wir hatten alle Touren für den Nordosten der Isle of Skye in eine Offlinekarte aufs Smartphone gespeichert.

Das war unsere Rettung. Abwarten und Tee trinken half nämlich nichts, der Nebel wurde immer dichter. Also navigierten wir per GPS-Signal durch die milchige Luft und versuchten, unseren zittrigen Punkt auf dem Display des Smartphones auf die rot eingezeichnete Linie in der Karte zu bringen. Für den Abstieg brauchten wir ewig, aber wir fanden zurück. Als uns die Wolken schließlich ausspuckten und wieder Land in Sicht war, spürten wir Erleichterung, Stolz und eine große Prise Übermut – ein Gefühl, das sich auf fast allen Wanderungen in Schottland irgendwann einstellte.

Valeska Zepp

fairkehr 5/2023