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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 3/2017

Ich bin dann mal im Wald

Wildes Zelten ist in Deutschland meistens verboten. Immer mehr Naturlagerplätze lösen das Problem – beispielsweise in der Eifel.

Foto: Kirsten LangeErst einmal Kaffee! Nach der kalten Nacht in der Eifel wärmen die Sonne und das beste Heißgetränk der Welt.

Der Morgen ist da und lässt uns die Nacht schnell vergessen. Die Sonne wärmt unser mit Tau durchnässtes Ultraleicht-Trekkingzelt – und hoffentlich auch bald uns. Wir haben gelernt: Die Nächte in der Eifel können Anfang Mai noch empfindlich kalt sein. Obwohl wir Socken, Skiunterwäsche und Fleecejacke trugen und unsere wintertauglichen Schlafsäcke bis zur Nase hochzogen, haben wir die ganze Nacht gefroren. Die Füße: Eisklumpen. Und kein zweites Paar dicke Socken im Rucksack. Vermeidbarer Fehler. Weil wir das Campen und die Natur lieben, haben wir einen Naturlagerplatz mitten im Wald gebucht.

Hierzulande ist das Zelten in der freien Natur meistens verboten. In Finnland, Norwegen, Schweden, in Schottland und der Schweiz existiert ein „Jedermannsrecht“, nach dem sich alle Menschen fast überall in der Natur bewegen und für ein bis maximal drei Nächte das Zelt an einem Ort ihrer Wahl aufschlagen dürfen. Doch wer in Deutschland abseits der Campingplätze mit ihren Wohnmobilen und Dauergästen sein Zelt aufschlagen möchte, sollte sich mit der Rechtslage des Bundeslandes auseinandersetzen. Grundsätzlich gilt zwar: Übernachten ist dort erlaubt, wo es nicht ausdrücklich untersagt ist. Doch dieser Verbote gibt es viele: Sie gelten für Biotope, Natur-, Wild- und Wasserschutzgebiete. Baden-Württemberg, Niedersachsen, Sachsen und das Saarland haben striktere Regelungen als andere Länder. Und wer das Bedürfnis verspürt, im Wald zu schlafen, sollte sich eine schriftliche Genehmigung des Besitzers organisieren.

Tisch, Bank, Toilette mit Herz

Naturliebhaber können sich also freuen, dass 2009 der Naturpark Pfälzerwald erstmals das Übernachten im Schutzgebiet offiziell erlaubte und sieben Trekkingplätze errichtete, die er wegen der großen Nachfrage 2013 um fünf weitere ergänzte. Der Naturpark Hohes Venn-Eifel  zog vergangenes Jahr nach: Auf vier Naturlagerplätzen abseits der Ortschaften und der Hauptwege können Wanderer auf einer Holzplattform ihr Zelt aufschlagen, an einem komfortablen Tisch mit Bank Nudeln mit Pesto kochen und auf einer Komposttoilette mit Herzchentür ihre Geschäfte verrichten. Auf die Plattform passen zwei Zelte. Wer unter sich bleiben möchte, bucht den gesamten Platz für 20 Euro.

Foto: Matthias BergAuf dem Weg zum Nachtlager schlängelt sich die Urft neben dem Eifelsteig.

So wie wir. Unser Lagerplatz trägt den Namen „Ich bin mal kurz weg“ – und der Name ist Programm. Dieser Platz ist der perfekte Ort für unser kleines Draußen-Abenteuer nach Feierabend, unser Microadventure am Freitagabend ohne lange Wanderung. Vom Bahnhof in Nettersheim spazieren wir etwas mehr als vier Kilometer auf dem Eifelsteig durch das Tal der Urft. Das Flüsschen plätschert neben uns. Der Weg führt durch den Archäologischen Landschaftspark. Hier wurden 2009 Teile einer römischen Siedlung entdeckt und nach und nach ausgegraben: Wohnhäuser und öffentliche Bauten, ein Heiligtum, eine Befestigungsanlage, eine alte Straße. Mein Begleiter hat die GPS-Daten des Lagerplatzes, die mit der Buchungsbestätigung per Mail geschickt wurden, ins Mobiltelefon eingegeben. Ich schaue lieber auf die liebevoll handgefertigte Wegbeschreibung auf Papier mit Fotos und Hinweisen wie „Geht den Weg hinauf, bis links ein Baumstumpf zu sehen ist“. Ohne diese genauen Daten wäre das Nachtlager nicht zu finden. Wir biegen vom Eifelsteig ab, kraxeln einen Hang hoch – und sehen die Komposttoilette, aus der ein schwarzer Schornstein ragt. Hier sind wir also richtig. Ein neugieriger Blick hinter die Herzchentür: Neben dem Plumpsklo mit Kunststoffsitz steht ein großer Sack mit Rindenmulch. Nach dem Klogang einfach eine Schaufel Mulch hinterherwerfen und man riecht nichts außer Holz und Erde.

Von unserer Plattform blicken wir über die Bahnstrecke und das Urfttal. Wir hören den Fluss murmeln. Und finden bald heraus, dass die Züge Richtung Köln und die Richtung Trier sich auf dem Streckenabschnitt vor unserem Zeltplatz begegnen. Ab 23 Uhr fahren sie nicht mehr. Gut für die Nachtruhe. Allerdings hören wir, als alle weiteren Geräusche der Zivilisation verstummt und die Vögel schlafen gegangen sind,  Lastwagen über die etwa zwei bis drei Kilometer entfernte Landstraße rollen – bis im Morgengrauen das hundertstimmige Konzert der Vögel wieder beginnt.

Mit dem Straßenlärm hatten wir wohl Pech, ausnahmsweise stand der Wind ungünstig, erzählt Dominik Hosters,  Geschäftsführer des Naturparks Hohes Venn-Eifel und Initiator der Naturlagerplätze. Hosters, der seine Geografie-Diplomarbeit über das Projekt schrieb und der sogar die detaillierten Wegbeschreibungen selbst erstellt, ist vom Erfolg der Plattformen fast überrumpelt worden. In der ersten Saison wurden die Plätze im Schnitt mehr als jeden zweiten Tag gebucht. Hosters plant weitere Standorte – ehrenamtliche Helferinnen und Helfer sind willkommen.  

Wildes Campen im Trend

Die Morgensonne hat uns aufgetaut. Wir kochen zum zweiten Mal Kaffee, schauen ins Grüne, zählen die Zugbegegnungen und beobachten Wanderer, Radfahrer und Reiter auf den Wegen unterhalb. Hier oben entdeckt uns niemand: Sehen und Nicht-gesehen-Werden de luxe. Bis um 12 Uhr müssen wir unser Bretterbett im Wald geräumt haben, ab 13 Uhr dürfen die nächsten anreisen. Wir lösen die vielen Schnüre, mit denen wir unser Zelt an den Ösen auf der Plattform festgebunden haben. Ausreichend Zeltschnur im Gepäck ist ein Muss. Noch wichtiger: Wasser zum Trinken, Kochen und Waschen. Dominik Hosters empfiehlt vier bis fünf Liter pro Person und Nacht – lieber ein paar Liter zu viel, gerade im Sommer. Wir haben zusammen etwas mehr als drei Liter dabei und kommen damit knapp hin. Es ist allerdings auch noch nicht so heiß und wir wandern nicht weit. Ebenfalls in den Rucksack gehört eine Tüte für jeglichen Müll. Denn das Prinzip Naturlagerplatz funktioniert nur, solange alle Wanderer ein paar Spielregeln einhalten.

Foto: Matthias BergAuf dem Weg zum Nachtlager schlängelt sich die Urft neben dem Eifelsteig.

Eine der wichtigsten Regeln lautet: Hinterlasse keine Spuren. Naturpark-Geschäftsführer Hosters hat mit den Gemeinden, in deren Wäldern die Plattformen stehen, Nutzungsvereinbarungen getroffen. Die Standorte hat er in Absprache mit Naturschützern, Jägern und Forstwirten gewählt, um Konflikte von Anfang an zu vermeiden. Bislang mit Erfolg: Probleme mit Vandalismus oder Beschwerden über Lärm gibt es nicht.

Im Gegenteil: Das Projekt wurde im November als offizielles Projekt der UN-Dekade Biologische Vielfalt ausgezeichnet. Die Lagerplätze seien ein geeignetes Instrument zur Konfliktvermeidung, hieß es in der Begründung. Trekkingsportler dürften nun endlich legal ihr Zelt in der Natur aufschlagen und so die Landschaft auf eine ganz besondere Art und Weise erleben. Die zielgruppenorientierte Besucherlenkung schütze die ökologisch sensiblen Räume.

Bei so viel Zustimmung zu Schlafplätzen in freier Natur erlauben nun auch der Naturpark und der Nationalpark Schwarzwald  in sechs Trekking-Camps das wilde Nächtigen. Der bayerische Naturpark Spessart bietet zwei Plätze für jeweils bis zu fünf Zelte, im Hunsrück am Soonwaldsteig warten drei Trekkingcamps mit Raum für bis zu sechs Zelte, inklusive einer Jurte, auf Besucher.

Mit der Mülltüte am Rucksack  wandern wir in einem etwa acht Kilometer langen Rundweg zurück zum Bahnhof Nettersheim. Die Nacht im Wald hat die Gedanken an die Arbeitswoche weggeblasen. Das nächste Mal buchen wir mindestens zwei Nächte in der Wildnis – und haben Wollsocken im Rucksack.

Kirsten Lange

So funktioniert das Eifel-Trekking

Auf der Internetseite den verfügbaren Naturlagerplatz auswählen und online oder telefonisch buchen. Bezahlt wird im Voraus: pro Nacht und Zelt 10 Euro. Nutzen können Wanderer die Plätze von April bis Oktober. Unbedingt mitnehmen: ausreichend Wasser, Zeltschnur und die Buchungsbestätigung. Möglicherweise kommt ein Platzpate vorbei, der sie sehen möchte. Mit Hilfe des Online-Wanderplans „Eifelpfadfinder“ lassen sich Touren zwischen den Plätzen organisieren.
trekking-eifel.de

Auch im Pfälzerwald, im Schwarzwald, im Hunsrück und im Spessart finden Wanderer Lagerplätze.
trekking-pfalz.de, trekking-bayern.de, trekking-soonwald.de, naturparkschwarzwald.de/aktiv_unterwegs/trekking

fairkehr 5/2023