Titel 2/2017
Radfahren in der Diaspora
Von wegen im Saarland fährt niemand Rad: Dialogika zeigt, wie man allen Statistiken zum Trotz fahrradfreundliches Unternehmen wird.
Hätten Sie gedacht, dass IT-Menschen besonders gern Fahrrad fahren? Eine hohe Affinität jedenfalls schreibt ihnen Jan Messerschmidt zu, einer der drei Geschäftsführer der mittelständischen IT-Firma Dialogika in Saarbrücken, selbst promovierter Informatiker und leidenschaftlicher Radfahrer.
Zehn Prozent seiner rund hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommen durchschnittlich mit dem Rad zur Arbeit. An guten Tagen sogar mehr als zwanzig Prozent. Gemessen am Bundesdurchschnitt, ist das nichts Besonderes. Es gibt in Deutschland Firmen mit weit höherer Radquote.
Aber das Saarland ist Autoland und weder bekannt für seine Fahrradkultur noch für einen hohen Anteil ökologisch motivierter Bürgerinnen und Bürger. Bei der aktuellen Wahl schafften es die Grünen nicht einmal in den Landtag.
Nur zwei Prozent der Saarländer nutzen das Rad für ihre Arbeits- und Alltagswege. Da macht die Landeshauptstadt Saarbrücken keine Ausnahme. Sie lädt auch nicht ein zum Radfahren: Die Stadt ist hügelig mit teils sehr steilen Straßen. Die wenigen Radstreifen, die durch die Innenstadt führen, brechen immer wieder unvermittelt ab, Autofahrer verhalten sich rücksichtslos gegenüber Radfahrern. Von einem funktionierenden Radverkehr sieht und spürt man auf der Straße so gut wie nichts.
Wie kommt es also, dass in dieser fahrradfeindlichen Umgebung die Mitarbeitenden der Dialogika anders ticken als der Rest der Saarländer? Selbst wenn es stimmt, dass IT-ler besonders radaffin sind, reicht das allein nicht als Erklärung aus.
Vor Ort liefert der Unternehmenssitz auf den ersten Blick ebenfalls keinen Hinweis auf besonderen Bezug zum Fahrrad. Das alte Schachtgebäude aus Bergbauzeiten sieht mit seinen roten Backsteinen und den grünen Fenstern hübsch und freundlich aus. Davor ein großer Parkplatz, etwa halb gefüllt mit Autos. Rechts und links des Eingangs stehen zwar Fahrradständer – aber leer.
Hier schloss Elisabeth Zscherpel ihr Fahrrad an, als sie 2013 zum Bewerbungsgespräch kam. Anders als bei anderen Firmen schaute sie bei Dialogika niemand schief an, als sie sich mit Radhelm unterm Arm vorstellte. Letzte Frage des Chefs – natürlich nicht einstellungsverhindernd: „Können Sie ein Rad am Fahrrad wechseln? Ihre Antwort: „Kann ich, aber es dauert zu lang.“ Heute erzählt sie, dass es bei Reparaturen am Rad immer einen in der Firma gibt, der mit Rat und Tat hilft. Das nötige Werkzeug – auch ganz spezielles wie ein Zentrierständer – steht in der firmeneigenen Fahrradwerkstatt für alle bereit. Genau wie ein Regencape, das man sich ausleihen kann.
Werkstatt, Dusche, Radbeauftragte
Die Werkstatt befindet sich in der Tiefgarage und dort parken auch die Fahrräder. Heute, am ersten sonnig-warmen Frühlingstag, sind es so viele, dass es schwierig wird mit dem Ausparken. Unter den Rädern sind ganz normale Straßenräder, schicke Rennräder, Trekking-bikes, Pedelecs, das Firmentandem und ein von oben bis unten vollgematschtes Mountainbike – da fährt offensichtlich jemand offroad zur Arbeit.
Ist ja auch kein Problem dank Firmendusche, die auf Wunsch der Mitarbeiter installiert wurde und deren Wasser mit der Abwärme der Firmenserver erhitzt wird. Ein Mitarbeiter hat sogar ein kleines Programm geschrieben, mit dem sich die Kollegen virtuell in die Duschwarteschlange einreihen können und so wissen, wann die Dusche frei ist.
Dass die IT-ler von Dialogika Feuer und Flamme fürs Fahrrad sind, zeigt auch die seit zwanzig Jahren von wechselnden Mitarbeiterteams geplante zweitägige Firmenradtour, genannt DiaRad. Die Chefs spendieren dafür Essen und Getränke.
Und nicht zu vergessen: Der Chef kommt selbst mit dem Rad zur Arbeit und fährt zu den allermeisten Kundenterminen mit Bahn und Faltrad. Die Vorbildfunktion findet Jan Messerschmidt wichtig – anders würde es seiner Meinung nach nicht funktionieren, viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufs Rad zu bringen. Seine Erfahrung: Wenn Geschäftsführer und leitende Mitarbeiter bei Wind und Wetter das Rad nutzen, dann spricht für niemanden etwas dagegen und es entsteht eine Fahrradkultur im Betrieb – selbst im Saarland, wo das Radfahren keine Rolle spielt. Den Nutzen, den seine Firma dadurch hat, beschreibt Messerschmidt so: „Radfahren hält fit, ist gesund und wirkt ausgleichend. Unsere Mitarbeiter sind zufrieden und motiviert, wir haben eine sehr geringe Fluktuation und sehen einen Vorteil bei der Mitarbeitergewinnung. Außerdem verbessert es unsere Umweltbilanz.“
Wettbewerbe zur Motivation
Weitere Möglichkeiten, eine Unternehmensradkultur aufzubauen, zu pflegen und wertzuschätzen, sind Wettbewerbe, Mitmachaktionen oder die Zertifizierung „Fahrradfreundlicher Betrieb“, die der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) durchführt.
Messerschmidt hat Dialogika nicht nur zertifizieren lassen, sondern seine Firma hat auch zweimal den ersten und einmal den zweiten Preis beim B.A.U.M.-Wettbewerb für den fahrradfreundlichsten Betrieb Deutschlands gewonnen. Sein Unternehmen hat auch eine Fahrradbeauftragte und die Mitarbeiter haben jahrelang Fahrradkilometer gesammelt für die Aktion „Mit dem Rad zur Arbeit“ von ADFC und der AOK.
Mittlerweile organisiert die Fahrradbeauftragte Judith Engelkamp jedes Jahr eine eigene Aktion „Mit dem Rad zur Dialogika“. Die gefahrenen Radkilometer der Kollegen werden in Exceltabellen gesammelt und ausgewertet. Judith Engelkamp, selbst begeisterte Radfahrerin, informiert alte und neue Kollegen zum Start in die Radsaison über die Aktion und motiviert mitzumachen, wenn die Anmeldungen erst mal nur tröpfeln. Gut ein Drittel der Belegschaft macht jedes Jahr mit und sammelt fünf Monate lang Fahrradkilometer. 2016 kamen so allein in diesem Zeitraum 17500 Kilometer zusammen – eine Einsparung von 2,8 Tonnen Kohlendioxid.
Die sympathische Firma aus Saarbrücken hat nicht nur einen fünffach höheren Radverkehrsanteil als in der Region üblich, sondern auch einen für die IT-Branche ungewöhnlich hohen Frauenanteil von 30 Prozent. Die Geschäftsführung scheint vieles richtig zu machen. Die Menschen wirken gelassen, entspannt und zufrieden. Ein guter Ort zum Arbeiten – aber programmieren muss man können.
Valeska Zepp