fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 2/2017

Innovativ pendeln

Radverleihsysteme einbinden, Radpendler elektrisieren: neue Projekte in Städten und Kreisen

„Ein Rad für alle Fälle“
Wer in einem Dorf 15 Kilometer und mehr von der nächsten Stadt entfernt wohnt und auf dem Weg zur Arbeit diverse Anhöhen überqueren muss, fährt selten mit dem Fahrrad. Der Rhein-Sieg-Kreis hat ein Modellprojekt gestartet, mit dem er dem Radpendeln über lange, hügelige Distanzen den Schrecken nehmen will. Das Projekt „Ein Rad für alle Fälle“, gefördert vom Bundesverkehrsministerium mit Mitteln aus dem Nationalen Radverkehrsplan, bringt dieses und nächstes Jahr jeweils mindestens 50 Pendler aufs Pedelec: Wer erfährt, wie angenehm es ist, mit eingebautem Rückenwind zur Arbeit zu radeln, verzichtet künftig vielleicht aufs Auto. Interessierte können mindestens einen und maximal drei Monate lang für fünf Euro pro Woche testen, ob E-Bikes eine Alternative zum Auto sind. Anfang März starteten die ersten acht Bewerberinnen und Bewerber. Der Rhein-Sieg-Kreis schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: „Wir hoffen, dass wir ein realistisches Bild darüber bekommen, ob E-Bikes wirklich dazu beitragen, dass die Menschen auch auf dem Land gern mit dem Rad zur Arbeit fahren“, sagt Projektleiter Sven Habedank aus dem Referat Wirtschaftsförderung und Strategische Kreisentwicklung. Außerdem wird dank „Ein Rad für alle Fälle“ das Leihradsystem im Rhein-Sieg-Kreis besser genutzt: Die Testerinnen und Tester sind montags bis freitags mit den Leihpedelecs unterwegs – am Wochenende stehen die E-Bikes wie gehabt Touristen zur Verfügung. Es gibt insgesamt sechs Verleihstationen in den Orten Much, Lohmar, Ruppichteroth und Neunkirchen-Seelscheid. Nur aus diesen vier Kommunen konnten sich die Pedelec-Tester bewerben. Für Pendler, die mit dem E-Bike zum Bahnhof fahren wollen, ließ der Kreis sichere Abstellboxen an den Stationen errichten. Damit der Kreis den Erfolg des Projekts überprüfen kann, sollen die Testfahrer an einer Vorher-nachher-Befragung teilnehmen und ein Wegeprotokoll führen. Sven Habedank freut sich über das Interesse an dem Projekt. Die 50 Testplätze für 2017 seien schnell vergeben gewesen – und er habe Anfragen von Kreisen bekommen, die sich vorstellen können, Ähnliches zu starten. „Da haben wir wohl zur richtigen Zeit das richtige Thema angesprochen“, so Habedank.

www.rhein-sieg-kreis.de/ebikependeln

Berliner pendeln mit Rückenwind
Auch die Berliner Senatsverwaltung ließ ihre Bürgerinnen und Bürger E-Bikes auf dem Weg zur Arbeit testen. An dem Projekt „EBikePendeln“ nahmen 2014 und 2015 insgesamt mehr als 320 Menschen teil. Zehn Wochen durften sie die Pedelecs kostenfrei im Alltag nutzen. Die sozialwissenschaftliche Begleitforschung ergab: Pedelecs können den Autopendlerverkehr teilweise ersetzen. Vor Beginn der Pedelec-Testphase legten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer noch 60 Prozent aller Arbeitswege mit dem Auto zurück, während des Testzeitraums war es nur noch ein Viertel. Dafür setzten sich die Tester in der Zeit für mehr als 60 Prozent aller Arbeitswege aufs E-Bike. Die Nutzer freuten sich darüber, dass sie immer einen Parkplatz fanden und weniger im Stau standen. Das Projekt ergab aber auch: Die Tester akzeptierten das Pedelec-Pendeln vor allem dann, wenn sie ihr E-Bike zuhause, am Bahnhof und bei der Arbeit sicher abstellen konnten und auf komfortablen Wegen und guten Routennetzen unterwegs waren.

www.stadtentwicklung.berlin.de

Mit dem Leihfahrrad zur Arbeit
Pendler auf Leihräder zu bekommen, ist ein Ziel des Unternehmens Nextbike, einem Anbieter von Fahrradverleihsystemen weltweit. Nextbike gewann im vergangenen Jahr den Auftrag, in Berlin ein öffentliches Verleihsystem aufzubauen – gegen die Deutsche Bahn mit ihrem Callabike-Angebot. Das Ziel sind 5500 Räder an 700 Stationen, auch in Außenbezirken. Mit dieser vielversprechenden Zahl in der Tasche wirbt Nextbike in Berlin um Unternehmen, die ihre betriebliche Mobilität ökologischer gestalten wollen. Mit den Leihfahrrädern könnten Pendler den ersten und letzten Kilometer zur und von der Haltestelle zurücklegen, in der Mittagspause mobil sein und Dienstfahrten erledigen. Der Berliner Standortleiter Justin Roth bietet Unternehmen unter anderem ein Startangebot an, das sie an ihre Mitarbeiter kommunizieren sollen: Wer sich erstmalig mit seiner Firmen-Mailadresse anmelde, bekomme ein Kontingent an Freifahrten. Vorstellbar seien darüber hinaus verschiedene Modelle, so Roth: Entweder zahle der Arbeitgeber einen Pauschaltarif für die Nextbike-Nutzung seiner Angestellten – und finanziere möglicherweise sogar den Bau einer Leihradstation auf dem Firmengelände – oder jeder Mitarbeiter melde sich einzeln an und erhalte ebenfalls Sonderkonditionen. „Leihfahrräder in die betriebliche Mobilität zu integrieren, ist ein völlig neues Feld“, sagt Roth. Doch viele Unternehmen seien aufgeschlossen – zumal sich damit Kosten sparen ließen.

Kirsten Lange

fairkehr 5/2023