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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 6/2016

Günstig unterwegs sein

Illustration: Macrovector/shutterstock.com

Wer in Dresden in die S-Bahn steigt, zahlt für eine einfache Fahrt im Stadtgebiet 2,30 Euro. In Nürnberg kostet das 3 Euro. Für Monatsabos müssen Fahrgäste im Gesamtgebiet des Verkehrsverbundes Rhein-Sieg zurzeit fast 290 Euro ausgeben – im Gesamtnetz der Verkehrsbetriebe Berlin-Brandenburg 200 Euro. Warum diese Preisunterschiede? Viele Faktoren bestimmen den Ticketpreis. Die Infrastruktur: Manche Städte leisten sich ein teures U-Bahn-System, wie Stuttgart oder München. Die Auslastung: In Ballungsräumen wie Berlin sorgen die vielen Fahrgäste dafür, dass die Tickets bezahlbar bleiben. Die Zuschüsse: Städte und Landkreise investieren unterschiedlich viel Geld in ihren ÖSPV, den öffentlichen Straßenpersonenverkehr. Kommunen haben nicht die Pflicht, ihre Bürger aus Eigenmitteln mit bezahlbarem Nahverkehr zu versorgen. Sie dürfen frei entscheiden, mit wie hohen kommunalen Zuschüssen sie Busse, Straßen- und U-Bahnen finanzieren.

Wien macht vor, wie erfolgreiche ÖPNV-Förderung funktioniert. Etwa 60 Prozent des laufenden Betriebs erwirtschaftet das Verkehrsunternehmen Wiener Linien selbst, den Rest steuert die Stadt bei. 2012 beschloss die rot-grüne Stadtregierung, das Jahresticket auf 365 Euro zu verbilligen. So zahlen die Wiener einen Euro pro Tag für Bus und Bahn, in Schaltjahren sogar weniger. Das Ergebnis: 2014 verkauften die Wiener Linien 650000 Jahreskarten, mehr als 931 Millionen Menschen nutzten die Öffis, und der ÖPNV erreichte einen Anteil am Gesamtverkehr von 39 Prozent – der damit doppelt so hoch war wie der in Hamburg.

Erste Landkreise in Deutschland ziehen nach. „Wir sanieren unsere Schulen und sorgen aktuell in einem niedersächsischen Vorzeigeprojekt für flächendeckendes schnelles Glasfaser-Internet bis fast in den letzten Winkel. Da machen wir doch beim ÖPNV nicht Schluss!“, erklärt Landrat Tjark Bartels den Beschluss des Kreises Hameln-Pyrmont für eine neue Tarifstruktur. Ab 2017 wird es nur noch zwei Preisstufen geben: den Nahtarif von 2 Euro fürs jeweilige Gemeindegebiet und einen Ferntarif von 3 Euro für den gesamten Kreis. Die Monatskarte verbilligt sich von 110 auf 35 Euro. Die Verantwortlichen rechnen damit, dass dadurch ein Viertel mehr Fahrgäste in die Busse steigt. Etwa die Hälfte der Einnahmeausfälle bei der Verkehrsgesellschaft werde der Kreis auffangen müssen – mit ungefähr zwei Millionen Euro.

Der ÖPNV-Experte des VCD, Michael Ziesak, findet ein solches Engagement für mehr und besseren Nahverkehr „fantastisch“ – weist aber auch darauf hin, dass gerade Städte und Kreise mit ihren oft leeren Kassen neue Finanzierungsinstrumente benötigten. Der VCD spricht sich schon länger für einen sogenannten ÖV-Beitrag aus. „Nicht nur die direkten Nutzer, also die Fahrgäste, zahlen, sondern auch Nutznießer des ÖPNV“, so Ziesak. „Personengruppen und Unternehmen, die indirekt vom Bus- und Bahnangebot profitieren.“ Also Arbeitgeber, Hauseigentümer, Hotelbesitzer, Großveranstalter oder Einzelhändler. In einer Studie hat der VCD untersuchen lassen, wie ein solcher zweckgebundener, zusätzlicher ÖV-Beitrag das Bus- und Bahnfahren attraktiver machen kann.

Kirsten Lange

Finanzierungsstudie des VCD zum Download: www.vcd.org/nahverkehr-finanzierung.html

fairkehr 5/2023