fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

Obere Wilhelmstraße 32 | 53225 Bonn | Telefon (0228) 9 85 85-85 | www.fairkehr-magazin.de

Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 6/2016

Kein Klimaschutz an Bord

Die UN-Luftfahrtorganisation und ihre Mitgliedstaaten wollen ab 2021 neue CO2-Emissionen des Luftverkehrs mit Geld ausgleichen. Mit Klimaschutz hat das wenig zu tun.

Foto: Warchi/istockphoto.comÜber ein Klimaschutzabkommen für den Luftverkehr wurde in Montreal verhandelt. Dort sitzen die UN-Luftfahrtorganisation ICAO und der Branchenverband IATA.

Dieses beispiellose Übereinkommen eröffnet ein neues Kapitel in der internationalen Luftfahrt, in der Fragen der Nachhaltigkeit endlich in die Entscheidungsfindung einfließen“, erklärte Violeta Bulc, EU-Kommissarin für Verkehr, Anfang Oktober zum Abkommen von Montreal. In der kanadischen Metropole hatten sich die UN-Luftfahrtorganisation (ICAO) und ihre 191 Mitgliedstaaten darauf verständigt, die steigenden CO2-Emissionen des internationalen Flugverkehrs ab 2021 zu kompensieren. Das Abkommen, kurz CORSIA, ist die erste globale Vereinbarung, die den Ausstoß von Treibhausgasen im internationalen Luftverkehr regeln soll.

Die Fluggesellschaften sollen ab 2021 die Emissionen kompensieren, die über dem Niveau von 2020 liegen. Dazu müssen sie entweder Klimaschutzprojekte finanzieren, wofür sie CO2-Gutschriften bekommen, oder Emissionsrechte kaufen. Senken oder wenigstens deckeln müssen sie ihren CO2-Ausstoß aber nicht. Die ICAO geht davon aus, dass die Emissionen im Jahr 2035 um bis zu 600 Millionen Tonnen über dem Niveau von 2020 liegen werden. Das entspricht in etwa den gemeinsamen aktuellen CO2-Emissionen von Frankreich und Spanien aus allen Quellen.

Die Flugbranche zeigte sich mit der Vereinbarung zufrieden: Mit dem CORSIA-Übereinkommen sei nach Jahren der Vorbereitung eine effektive Lösung geschaffen worden, mit der die Airlines ihren CO2-Fußabdruck managen können, erklärte Alexandre de Juniac, Generaldirektor des Branchenverbandes IATA.

Zunächst beteiligen sich 65 Länder freiwillig an dem Abkommen, die zusammen für 86 Prozent des weltweiten Flugverkehrs verantwortlich sind. Darunter die EU-Staaten, die USA, China und die Golfstaaten. Ab 2027 gilt das Abkommen verpflichtend für alle 191 Mitgliedstaaten der ICAO. Alle drei Jahre will die ICAO die Wirkung von CORSIA überprüfen. Dann besteht auch die Möglichkeit, das Abkommen nachzubessern.

Bill Hemmings, Luftfahrtdirektor von Transport and Environment (T&E), dem europäischen Dachverband der Umwelt- und Verkehrsverbände, kritisiert das Abkommen: Die Behauptung der Airlines, dass Fliegen jetzt grün werde, sei ein Mythos. Fliegen sei der schnellste Weg, den Planeten zu braten. „Dieser Deal wird die Nachfrage nach Flugbenzin nicht um einen Tropfen reduzieren“, so Hemmings. Stattdessen zielten die Kompensationszahlungen darauf ab, dass die Emissionen in anderen Bereichen eingespart werden.

Kein Anreiz für weniger CO2

Welche Projekte die Fluggesellschaften finanzieren sollen, um ihre Emissionen auszugleichen, ist noch nicht geregelt. Die ICAO gibt auf ihrer Internetseite aber bereits den Hinweis, dass die Airlines sich vor allem durch UN-zertifizierte Projekte in Entwicklungsländern CO2-Gutschriften erkaufen können: den Bau eines Wasserkraftwerks in Indien, den Austausch von Kohleherden gegen Solarkocher oder die Aufforstung und den Schutz von Wäldern, die natürliche CO2-Speicher sind.

Sonderlich teuer wird CORSIA für die Fluggesellschaften nicht. Die ICAO geht davon aus, dass die Airlines im Jahr 2035 maximal 24 Milliarden US-Dollar an Ausgleichszahlungen leisten müssen. Das entspräche gerade mal 1,4 Prozent ihres Umsatzes. Dementsprechend gering ist der Anreiz für die Branche, ihre Emissionen zu reduzieren. Zumal die Fluggesellschaften die Kosten an die Kunden weiterreichen können. Bei einem 400 Euro teuren Ticket für einen Flug von Frankfurt nach New York wären das gerade mal 5,60 Euro. Vom Fliegen hält das sicherlich niemanden ab.

CORSIA hat einen Designfehler

Die EU kann mit CORSIA nicht zufrieden sein. Als Vorreiterin bei der Regulierung der Flugverkehrsemissionen bezieht sie den CO2-Ausstoß der Branche bereits seit 2012 in ihr Emissionshandelssystem (EU-ETS) ein. Im EU-ETS dürfen Industrieanlagen eine gewisse Menge CO2 emittieren. Ein Unternehmen, dessen Anlagen mehr CO2 ausstoßen als erlaubt, muss Emissionszertifikate von einem Unternehmen kaufen, das sein CO2-Budget nicht ausschöpft. So entsteht ein Anreiz, die Emissionen zu senken. Ursprünglich sollten alle Flüge, die in der EU starten oder enden, in das System einbezogen werden. Auf internationalen Druck hin hat die EU das System mit der Stop-the-Clock-Entscheidung bis zum 31. Dezember 2016 auf innereuropäische Flüge begrenzt.

Eines der Hauptprobleme von EU-ETS und CORSIA: Die Fluggesellschaften müssen nur ihre CO2-Emissionen kompensieren. Der Flugverkehr ist für etwa zwei Prozent aller CO2-Emissionen weltweit verantwortlich. Der Anteil des Luftverkehrs an der Erderwärmung liegt aber bei über fünf Prozent. In zehn Kilometern Flughöhe bilden die Abgase Kondensstreifen und Zirren. Diese Wolken reflektieren die von der Erde abgestrahlte Wärme zurück auf den Planeten und heizen das Klima zusätzlich auf. Weder der europäische Emissionshandel noch CORSIA berücksichtigen diesen Faktor. Dennoch ist der EU-Emissionshandel deutlich ambitionierter als CORSIA. EU-ETS umfasst den gesamten CO2-Ausstoß des Flugverkehrs in der EU und soll diesen senken. CORSIA hat hingegen einen grundlegenden Designfehler: Die Emissionen sollen auf hohem Niveau gedeckelt werden.

Das Europaparlament reagierte noch während der Verhandlungen von Montreal mit einer Resolution. Die Abgeordneten drückten ihre „tiefe Enttäuschung“ über den ICAO-Entwurf aus. In dem Text erinnern sie an den Grund für die bis Ende 2016 gültige Einschränkung von EU-ETS: Die EU wollte der ICAO Zeit geben, um Maßnahmen zur Verringerung der Emissionen zu erlassen. Weiter heißt es: Änderungen der bisherigen Gesetzgebung seien nur möglich, wenn die Globale Marktbasierte Klimaschutzmaßnahme ehrgeizig sei. Laut Peter Liese, Europa-Abgeordneter der CDU, sollen innereuropäische Flüge auf jeden Fall weiter in den EU-Emissionshandel einbezogen bleiben.

„Auch wenn es nach über einem Jahrzehnt der Untätigkeit endlich einen Beschluss auf ICAO-Ebene gab, erfüllt die jetzige Einigung in keiner Weise das selbst gesteckte Ziel der Branche, ab 2020 klimaneutral zu wachsen“, sagt VCD-Referent Michael Müller-Görnert.

Der VCD fordert, dass die EU interkontinentale Flüge mit Start oder Landung in Europa wieder in das EU-ETS einbezieht. Und zwar mit allen Effekten, die zur Klimaerwärmung führen. Hält das EU-Parlament an seiner Resolution fest, läuft die bisherige Stop-the-Clock-Entscheidung aus und der erste Teil der VCD-Forderung wäre erfüllt. Allerdings kann die EU-Kommission die ICAO-Vereinbarung, an der sie selbst mitgewirkt hat, nicht einfach ignorieren. Daher muss sie jetzt eine Lösung vorschlagen, die das Parlament mittragen kann. Kommt es zu keiner Einigung, droht eine neue Stop-the-Clock-Entscheidung. Den Klimaschutz im internationalen Luftverkehr würde die EU dann verschieben – genau wie die ICAO.

Benjamin Kühne

fairkehr 5/2023