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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

VCD aktiv 5/2016

„Meine Freizeit ist das Ehrenamt”

Rechtsanwalt, Sozialunternehmer und ehemaliger Lokalpolitiker: Seine Erfahrung bringt Andreas Hagenkötter seit 2014 in den VCD-Bundesvorstand ein – um die Verkehrswende voranzutreiben.

Foto: Markus BachmannAndreas Hagenkötter lebt mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern in Lübeck. Der 55-Jährige ist selbstständiger Fachanwalt für Straf- und Steuerrecht.
Foto: privatAndreas Hagenkötter hat sein Auto abgeschafft und sich ein Faltrad zugelegt. Nebenbei beweist er: Auch mit 1,92 Metern ist man dafür nicht zu lang.

fairkehr: Sie sind bei der Marine Kapitän zur See der Reserve. Interessiert Sie Schifffahrt auch verkehrspolitisch?

Andreas Hagenkötter: Eher nicht – außer dass ich mich über diese völlig überflüssigen Kreuzfahrten ärgere, die die Anbieter den Gästen als umweltfreundlich verkaufen wollen, weil sie den Müll trennen.

Ihre verkehrspolitischen Interessen sind Flugverkehr, Bahn und multimodale Mobilitätskonzepte. Wofür haben Sie sich konkret eingesetzt?

Ich finde die Vernetzung der unterschiedlichen Verkehrsmittel interessant und habe mich mit der Bahncard 100 befasst. Als Unternehmer hatte ich bis vor kurzem einen Geschäftswagen mit der Ein-Prozent-Regelung. Ich durfte damit privat fahren, so viel ich wollte, und musste trotzdem nur ein Prozent des Listenpreises als geldwerten Vorteil versteuern. Wir haben in Gesprächen über die Bahn und mit dem Finanzministerium versucht, diese Regelung auf die Bahncard 100 zu übertragen. Leider vergeblich. Ich bin sicher, dass dann wesentlich mehr Geschäftsleute eine Bahncard 100 hätten und diese auch privat nutzen würden. Das würde reichlich Autokilometer einsparen. Die Zeit scheint noch nicht reif dafür.

Wie sieht für Sie die Stadt von morgen aus?

Wenn nur ein Teil von dem Realität wird, was Zukunftsforscher Stephan Rammler in seinem Buch „Schubumkehr“ beschreibt, wäre schon viel gewonnen. In der Stadt von morgen verzichten wir auf jeden Fall auf das eigene Auto, Fußgänger und Radfahrer erobern sich die Flächen zurück. Wesentliche Grundlage dafür wird sein, wie wir das Thema „Autonomes Fahren“ angehen. Folgen wir der Industriepolitik der deutschen Autohersteller, wird das Auto ein Individualverkehrsmittel bleiben und der Verkehr sogar noch zunehmen. Setzen sich autonome Carsharing-Flotten mit Google-Autos durch, wovon ich ausgehe, wird sich der Autobesitz von Privathaushalten auf einen Bruchteil reduzieren. Übrigens auch auf dem Lande.

Wie sind Sie privat mobil?

Nachdem wir von der Kleinstadt Ratzeburg nach Lübeck umgezogen sind, haben wir unser Auto verkauft und nutzen Rad, ÖPNV, Bahn oder Carsharing. Fliegen versuchen wir zu vermeiden. Wir haben uns letztes Jahr sogar auf das Abenteuer eingelassen, mit der Familie per Bahn von Ratzeburg bis nach Barcelona zu fahren. Eine tolle Reise, aber mit einer vierköpfigen Familie ein ganz schön teures Vergnügen. Ich bedauere sehr, dass die Nachtzüge im wahrsten Sinne des Wortes einschlafen. Diese Entwicklung ist total falsch.

Sie engagieren sich unternehmerisch, sozial und politisch – betreiben neben Ihrer Anwaltskanzlei eine Montessori-Grundschule und zwei Kindergärten, sind Mitglied in einem Anwaltsverein und saßen zehn Jahre in der Ratzeburger Stadtvertretung. Warum ist Ihnen gesellschaftliches Engagement so wichtig?

Da ich nicht allein zum Familieneinkommen beitragen muss, habe ich die Freiheit, auch andere Dinge tun zu können. Mich nur um Job und Geld zu kümmern, ist mir zu langweilig. Die Leitung der Montessori-Grundschule und der beiden Kindergärten mache ich aber längst nicht mehr ehrenamtlich. Dafür bekomme ich ein Gehalt. Wir betreuen mit 23 fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern 128 Kinder – das kann man nicht nebenbei machen.

Wie schaffen Sie es, diesen vielfältigen Verpflichtungen gerecht zu werden?

Wir leben ohne Fernseher – das schafft zeitlich viel Luft. Ein Vorteil ist auch, dass ich mein Büro im eigenen Haus habe. Das spart Wege und macht mich sehr flexibel. Außerdem kann ich gut delegieren.

Bleibt Ihnen noch Freizeit und Zeit für Ihre Familie?

Als Freiberufler und Unternehmer unterscheidet man nicht so genau zwischen Job und Feierabend. Irgendwie hat man immer ein Thema im Kopf, was auch mit dem Job zu tun hat. Da meine Frau und ich beide von zu Hause arbeiten, sind wir trotz der Arbeit sehr nah an unseren Kindern dran, weil wir einfach immer da sind. Und meine Freizeit ist das Ehrenamt. Das finde ich erfüllender, als mit Kollegen auf dem Golfplatz über das eigene Handicap zu pubertieren.

Vor zwei Jahren sind Sie neu in den VCD-Bundesvorstand gewählt worden. Neben vielen bekannten Gesichtern waren Sie ein bisschen der Außenseiter. Wie sind Sie aufgenommen worden?

Sehr aufgeschlossen und durchweg positiv.

Was hat Sie dazu bewegt, sich im VCD zu engagieren?

Ich bin seit 28 Jahren Mitglied im VCD und wollte meine Erfahrung als Ehrenamtlicher einbringen.

Wie fällt Ihre Bilanz nach zwei Jahren im VCD-Vorstand aus?

Durchwachsen. Ich habe viele engagierte und interessante Leute kennenlernen dürfen. Auf der anderen Seite gehen mir die Entscheidungsprozesse beim VCD viel zu langsam voran. Als Unternehmer tickt man da anders und macht einfach.

Im November stehen wieder Vorstandswahlen beim VCD an. Werden Sie kandidieren?

Nein.

Warum nicht?

Durch unseren Umzug nach Lübeck hat sich eine neue Herausforderung ergeben, der ich mehr Zeit widmen muss. Außerdem stehen für mich der zeitliche Aufwand für das Vorstandsamt und dem, was man verkehrspolitisch auf Bundesebene tatsächlich erreicht, in keinem gesunden Verhältnis zueinander.

Interview: Benjamin Kühne

fairkehr 5/2023