fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

VCD aktiv 3/2016

„Mehr Platz für Menschen”

Ingrid Ahrens engagiert sich seit 2014 im Bundesvorstand des VCDs. Sie setzt sich für lebenswerte Städte ein, dem VCD-Schwerpunkt der nächsten anderthalb Jahre.

Foto: Markus BachmannAuf langen Strecken nimmt Ingrid Ahrens die Bahn, in Hamburg und Umgebung Fahrrad, Pedelec oder den ÖPNV. Die Konsequenz: Ihr Interesse gilt Bahn- und Fahrradpolitik.

Frau Ahrens, Sie waren für ein Jahr die einzige Frau im VCD-Bundesvorstand. Auch unter den Aktiven sind Männer deutlich in der Überzahl. Woran liegt das?

Das hat mich immer sehr verwundert. Frauen sind ebenso Verkehrsteilnehmer wie Männer und damit genauso von den Problemen betroffen, die der Verkehr mit sich bringt. Eltern mit kleinen Kindern haben es besonders schwer: Mit dem Kinderwagen kommen sie kaum über die Straße und die Kleinen haben die Nase in den Abgasen. Vielleicht empfinden viele Frauen das Thema als zu technisch. Ich kann nur alle Frauen ermutigen: Verkehr ist sehr spannend und es lohnt, sich damit zu beschäftigen. Es gilt viel zu bewegen und zu verändern.

Was tut der VCD, um für Frauen attraktiver zu werden?

Im Netzwerk „FrauenStärken” tauschen sich Frauen aus dem Haupt- und Ehrenamt des VCD aus. Ziel ist, dass die Sichtweise der Frauen im Verband gleichberechtigt wahrgenommen wird.

Was hat Sie dazu bewogen, sich im VCD zu engagieren?

1990 bin ich nach Hamburg umgezogen. Damals war ich schon VCD-Mitglied. Mich hat das Ausmaß des Autoverkehrs in der Stadt schockiert. Unter den Abgasen, dem Lärm, darunter, dass ich als Fahrradfahrerin keinen Platz habe, litt meine Lebensqualität. Unter dem rot-grünen Senat hat sich Hamburg jetzt zum Ziel gesetzt, fahrradfreundlich zu werden. Ich hoffe, dass Politik und Verwaltung die Lebensqualität in der Stadt verbessern können. Die Belastung durch Abgase und Lärm ist gesundheitsschädlich und auch eine Frage sozialer Gerechtigkeit. Oft wohnen die Menschen an den Hauptstraßen, die sich selbst kein Auto leisten können. Wohlhabendere Menschen, die keinen Schritt zu Fuß gehen, wohnen irgendwo im Grünen. Auch Fluglärm ist in Hamburg ein Thema.

Hört man dort, wo Sie wohnen, Fluglärm?

Ich habe viele Jahre in einem Teil von Niendorf gewohnt, in dem man stark vom Fluglärm betroffen ist. Das gilt für viele Hamburger Stadtteile. Inzwischen wohne ich in einer ruhigeren Gegend.

Sie waren lange im Vorstand des VCD Nord aktiv. Was waren Ihre Aufgaben?

Der Landesverband hat sich viele Jahre für die Stadtbahn engagiert, die leider nicht realisiert wurde. Wir haben uns auch für die ganze Bandbreite der Fahrradthemen starkgemacht. Ich habe die Pressearbeit mitgestaltet und den VCD in Diskussionen vertreten.

Seit 2014 sind Sie im VCD-Bundesvorstand. Was wollen Sie erreichen?

Bisher werden Verkehr und Klima in Deutschland völlig losgelöst voneinander diskutiert. Doch ohne eine Verkehrswende wird Deutschland seine Klimaschutzziele nicht erreichen. Der VCD muss diesen Zusammenhang öffentlich stärker darstellen, das will ich voranbringen. Wenn uns das gelingt, wird der VCD auch von einer breiteren Öffentlichkeit als Umweltverband wahrgenommen. Die Diskussion über den Einfluss von Verkehr auf die Umwelt ist aktuell stark auf den Autoabgas-Skandal verengt. Es reicht aber nicht, die Abgase zu reduzieren. Wir müssen Verkehr vermeiden.

Wird der VCD in der Öffentlichkeit zu wenig als Umweltverband und zu sehr als Verkehrsclub wahrgenommen?

Der VCD wird vor allem als ökologisch orientierter Fachverband wahrgenommen. Wir haben ein sehr seriöses Image, und das ist auch gut so. Um mehr Menschen für unsere Themen zu begeistern, müssen wir auch mal plakativ sein, wie der BUND oder Greenpeace. Beispielsweise beim Autoabgas-Skandal: Die meisten Menschen wollen nicht jedes Detail von irgendwelchen Partikelfiltern erklärt bekommen. Es geht ihnen eher um die grundsätzlichen Fragestellungen.

Im VCD-Vorstand sind Sie ehrenamtlich tätig. Was machen Sie beruflich?

Ich arbeite bei einer Krankenkasse im internen Gesundheitsmanagement. Dabei geht es, neben vielen anderen Dingen, darum, die Menschen zu mehr Bewegung zu motivieren. Wer zu Fuß zur Arbeit geht oder mit dem Fahrrad einkaufen fährt, tut etwas für seine Gesundheit. Wenn man sich allerdings durch Auto-Abgase fortbewegen muss, ist das nicht besonders attraktiv. Da gibt es durchaus Schnittmengen zu den „Lebenswerten Städten“ – dem VCD-Schwerpunkt für die Jahre 2016 und 2017.

Wie sieht eine lebenswerte Stadt aus?

Es gibt mehr Platz für Menschen und weniger Platz für Autos. Die Einwohner legen einen Großteil ihrer Wege zur Arbeit oder zum Einkaufen mit öffentlichen Verkehrsmitteln wie der Stadtbahn, dem Fahrrad oder zu Fuß zurück. Wohngebiete, Innenstädte und Gewerbegebiete sind mit Rad- und Fußwegen gut verknüpft. Ein ganz wichtiger Aspekt ist die Aufenthaltsqualität. Ich muss mich draußen wohlfühlen, Lust haben, abends durch die Straßen zu bummeln, die wieder zum Begegnungsort werden. Es gibt draußen mehr Platz für Kinder zum Spielen und für Veranstaltungen wie Open-Air-Kinos oder Museumsnächte. Das Auto spielt eine geringere Rolle als heute. Wir haben derzeit die Situation, dass ganz viel Raum mit Autos vollgestellt ist. Dieser Platz sollte für Bänke, Parks oder Wohnungen genutzt werden.

Was kann der VCD dazu beitragen, dass unsere Städte lebenswerter werden?

Der VCD zeigt mit seinen Projekten Alternativen zum Ist-Zustand. In diese Richtung wollen wir weitergehen. Mit dem Projekt „Lasten auf die Räder!“ hat der VCD gezeigt, dass man Lieferverkehr deutlich reduzieren kann, wenn man kleinere Lieferungen auf das Lastenrad oder das Elektrolastenrad verlagert. Das Projekt „Mehr Platz fürs Rad!“ sammelt Beispiele für gute Fahrradinfrastruktur, macht sie einer breiten Öffentlichkeit bekannt und empfiehlt sie zur Nachahmung. Ein weiteres gutes Projekt ist „Zu Fuß zur Schule“, das sich dafür einsetzt, dass Eltern ihre Kinder nicht mit dem Auto zur Schule chauffieren.

Thema der aktuellen fairkehr ist Tourismus in Deutschland. Wo machen Sie am liebsten Urlaub?

Ich liebe die mecklenburgische Ostseeküste. Das Badeörtchen Graal-Müritz ist mir besonders ans Herz gewachsen. Es ist richtig urwüchsig, die Strände sind breit und der Sand ist schön fein.

Im Herbst wird ein neuer Bundesvorstand gewählt. Treten Sie wieder an?

Ja, ich möchte noch einmal kandidieren, um an der Umsetzung der Verkehrswende mitzuwirken.

Interview: Benjamin Kühne

fairkehr 5/2023