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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 3/2016

„Man reist ja nicht, um sich nachhaltig zu verhalten”

Wie nachhaltige Angebote kommuniziert werden müssen, sodass Urlauber sie auch buchen, erklärt Bente Grimm vom Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa.

Foto: Studioline KielBente Grimm ist Projektleiterin im Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT) in Kiel und für touristische Mobilität zuständig. Das NIT betreut im Auftrag der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen (FUR) die jährliche Reiseanalyse.

fairkehr: Das Urlaubsverhalten der Deutschen ist seit Jahren stabil: Je ein Drittel macht Ferien in Deutschland, am Mittelmeer und in anderen Weltregionen. 40 Prozent der Urlauber nutzen heute das Flugzeug. Wie hoch ist das Umlenkpotenzial in Richtung Nachhaltigkeit?

Bente Grimm: Das ist schwer einschätzbar. Diejenigen, die bereit sind, aufs Flugzeug zu verzichten, nutzen es auch heute nicht. Andere möchten zwar prinzipiell nachhaltig reisen, haben aber ein hohes Interesse an fremden, auch exotischen Ländern und können sich solche Fernreisen auch leisten. Die Chance, sie von der Flugreise wegzubekommen, ist aus meiner Sicht – leider – sehr gering. Potenziale gibt es aber bei der nachhaltigeren Gestaltung des Aufenthalts und bei Kompensationszahlungen, etwa bei atmosfair.

Was bringt Leute neu dazu, Urlaub in der Nähe zu machen?

Viele weitgereiste Leute kennen die eigene Umgebung wenig. Beim Zweit- oder Dritturlaub kann man sie für Nahreisen gewinnen, wenn das Angebot nicht nur gleich gut, sondern besser ist als anderswo und etwas bietet, was es sonst nicht gibt. Dann können Anbieter noch herausstellen, dass weniger Anfahrtszeit den Urlaub verlängert.

Mangelt es an Informationen oder Angeboten in puncto Nachhaltigkeitstourismus?

Man reist ja nicht, um sich nachhaltig zu verhalten, sondern um eine schöne Zeit zu haben, etwas zu erleben, zu entspannen. Das Angebot sollte leicht zu finden sein, zu den Urlaubswünschen des jeweiligen Reisenden passen und auf den ersten Blick als nachhaltiges Angebot erkennbar sein. Wichtig ist auch, dass die Kosten in einem attraktiven Verhältnis zum Nutzen stehen. Ist der Preis höher als bei einem Standardurlaub, erwartet der Kunde zu Recht auch einen Zusatznutzen, beispielsweise einen Beitrag zum Erhalt der Natur, ein gutes Gefühl und Gewissen oder auch einen höheren Erlebniswert.

Schreckt der Hinweis auf Nachhaltigkeit auch Leute ab?  

Wenn ein Anbieter die Probleme in den Vordergrund stellt, bestimmt. Wenn er aber etwas Besonderes bietet – Einblicke in die regionale Kultur, man kann bei der Herstellung von etwas Typischem zuschauen oder mitmachen, es gibt leckere Speisen direkt vom Hersteller – kann das  mit dem guten Gefühl verbunden sein, etwas Richtiges zu tun. Dann wirkt Nachhaltigkeit attraktiv.

74 Prozent der Deutschlandurlauber reisen mit dem Auto an. Halten Sie diesen Anteil für reduzierbar?  

Grundsätzlich ja, aber man muss differenzieren. Am einfachsten ist es bei Leuten, die allein oder zu zweit reisen, in Städten leben und bei Jüngeren. Familien sind bei der Anreise sehr schwer zum Autoverzicht zu bewegen, selbst wenn die Bahnverbindungen topp sind – einfach weil Familien unglaublich viel Gepäck mitnehmen und hohe Ansprüche an Flexibilität haben. Vor Ort kann man mit einem attraktiven Angebot aber auch Familien für den Umstieg gewinnen.

Wie sieht so ein attraktives Angebot aus?

Neben guten Bahnverbindungen sollte jeder Anbieter die Informationen gleich mitliefern, wie man vom Bahnhof zur Unterkunft kommt und vor Ort unterwegs sein kann. Immerhin haben Touristiker und Verkehrsunternehmen inzwischen gemerkt, dass sie voneinander profitieren können. Die sehr erfolgreiche Konus-Gästekarte – mit der man den öffentlichen Personennahverkehr im Schwarzwald kostenlos nutzen kann – hat das vorgemacht, andere Regionen ziehen jetzt nach.  

Interview: Annette Jensen

fairkehr 5/2023