fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

Obere Wilhelmstraße 32 | 53225 Bonn | Telefon (0228) 9 85 85-85 | www.fairkehr-magazin.de

Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 3/2016

Deutschlandurlaub im Aufwind

Im nachhaltigen Tourismus schlummert ein großes wirtschaftliches Potenzial. Doch das Bundeswirtschaftsministerium ist blind für die Chancen.

Foto: Oliver Malms/istockphoto.comDie Deutsche Tourismuszentrale (DTZ) fragt jedes Jahr nach den beliebtesten Reise- und Ausflugszielen in Deutschland. Gleich sieben Berliner Sehenswürdigkeiten haben es 2015 auf die Top-100-Liste geschafft: Brandenburger Tor (Platz 5), Berliner Mauer (8), Reichstag (17), Museumsinsel (36), Fernsehturm am Alexanderplatz (48), Zoologischer Garten (55) und Berliner Dom (63).
Foto: Europa-ParkDen Europa-Park in Rust wählten die Deutschen 2015 zum beliebtesten Ausflugsziel im eigenen Land. Umso besser, dass der Vergnügungspark beim Nachhaltigkeitscheck des Landes Baden-Württemberg seine Umweltverträglichkeit prüfen ließ.

Mit einem Esel durch eine weite, menschenleere Landschaft ziehen, abends in einer einfachen Unterkunft ankommen, gemeinsam mit den Herbergsleuten das Essen zubereiten und den Tag unter der Milchstraße ausklingen lassen – dafür muss man nicht in die Anden reisen. Auch die Uckermark bietet solche Erlebnisse. Vor ein paar Jahren hat die Region im nördlichen Brandenburg, wo pro Quadratkilometer nur 39 Menschen leben, ihre Strukturschwäche als Stärke entdeckt. Engagierte Leute und Betriebe bauten mit Unterstützung der Hochschule in Eberswalde ihren Landstrich zu einer nachhaltigen Tourismusregion um. Dabei geht es nicht nur darum, die Aktivitäten der Gäste in naturverträgliche Bahnen zu lenken. Vielmehr versteht die Uckermark den Ansatz umfassend: Kleinteilige Wirtschaftskreisläufe sorgen dafür, dass möglichst wenig antransportiert werden muss und viele Menschen vor Ort ein Auskommen finden.

Etwa 40 Unternehmen sind inzwischen zertifiziert – vom Kanuverleih über Hotels bis zum Gutshof, der Apfelwein produziert und Ferienwohnungen vermietet. Zu den Kriterien gehörten ebenso eine energie- und papiersparende Büroorganisation wie die Frage, ob hier Lebensmittel aus der Umgebung auf den Tisch kommen. Ein Shuttlebus wurde eingerichtet, der nicht nur die touristischen Hauptorte verbindet, sondern auch Rad- und Wanderwege leicht erreichbar macht; im Sommer zieht er einen Fahrradanhänger hinter sich her. Im Stundentakt kommen Züge aus Berlin an. Umgerechnet auf den Ferientag verursachen die Urlauber hier 33,6 Kilo Treibhausgase. Wer dagegen zwei Wochen nach Bali fliegt, ist allein durch die Anreise für täglich 570 Kilo CO2 verantwortlich.

Im vergangenen Jahr wurden offiziell 930000 Übernachtungen in der Uckermark registriert; binnen 15 Jahren hat der Tourismus hier um etwa ein Drittel zugelegt – nicht zuletzt, weil die Destination den Bundeswettbewerb Nachhaltige Tourismusregionen 2012/2013 und damit eine Werbekampagne gewonnen hatte. Dass der Erfolg zerstörerisch wirkt und demnächst Bettenburgen entstehen, ist trotzdem ausgeschlossen. „Wir sind da in einer bequemen Position, weil zwei Drittel der Region Naturschutzgebiete sind“, erklärt Anet Hoppe, Geschäftsführerin von Tourismus Marketing Uckermark. Während einige Seen und Flussläufe von nur 25 Besuchern am Tag betreten werden dürfen, sind manche Schutzzonen für Urlauber Tabu.

Doch nicht nur in der Uckermark, sondern auch sonst boomt der Tourismus in Deutschland. Die indirekten Effekte eingerechnet – also beispielsweise Einkäufe am Urlaubsort – macht das Geschäft mit den Ferien inzwischen fast

10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Über zwölf Prozent der Jobs hängen direkt oder indirekt davon ab. „Damit liegt der Beitrag des Wirtschaftsfaktors Tourismus an der Bruttowertschöpfung über derjenigen der Automobilindustrie“, bilanziert Andreas Kagermeier, Professor für Freizeit- und Tourismusgeografie an der Uni Trier.

Galt Deutschland früher als teures Reiseland, so haben sich die Hotelpreise inzwischen leicht unter dem EU-Durchschnitt eingependelt. Anders als auf internationaler Ebene, wo Konzerne wie TUI dominieren, ist die Branche im Inland kleinteilig und vielfältig strukturiert. Vor allem in ländlichen Regionen sind inhabergeführte Beherbergungsbetriebe noch immer typisch.

Ländliche Regionen stärken

In alledem steckt eine große Chance: Deutschland könnte Vorreiter in Sachen nachhaltig reisen werden. Die Vielseitigkeit der Landschaften und Städte ist eine gute Voraussetzung für unterschiedlichste Angebote – von Wellnessurlaub bis zum Kulturtrip, vom Badeferien bis zur Streckenwanderung, von der Kur bis zum Segeltörn. Ginge das einher mit einer gezielten Förderung regionaler Wirtschaftskreisläufe, wäre das vorbildlich für eine Tourismusbranche, von der noch unsere Kinder und Enkel profitiert. Schließlich bedeutet eine dezentrale Versorgung nicht nur Ressourcenschutz und wenig Verkehr. Auch sichere Arbeitsplätze in abseits gelegenen Regionen könnten so entstehen. Bisher gibt es solche Ansätze nur punktuell. Von 100 Euro, die ein Feriengast ausgibt, bleiben durchschnittlich nur 36 in der Region, hat die bündnisgrüne Fraktion ausgerechnet.

Sicher sind nicht alle Orte für Tourismus geeignet, aber erstaunlich viele. Das Gebiet zwischen Castrop-Rauxel und Oberhausen hätte früher gewiss niemand als Urlaubsziel im Blick gehabt – doch jetzt heißt es dort: Das Abenteuer ruft! Gruppen können im Emschertal Kanutouren oder einen „Sunset-Firewalk zum Haldengipfel“ buchen, wodurch einige ehemalige Bergleute ein neues Auskommen gefunden haben. Auch andere Regionen entwickeln spezielle Angebote: die Eifel Führungen in Gebärdensprache sowie rollstuhl- und kinderwagengerechte Wege in die Natur.

Das Bundeswirtschaftsministerium, das auf Bundesebene für den Bereich Tourismus zuständig ist, tut allerdings wenig dafür, solche Konzepte zu fördern und bekannt zu machen. Der nach wie vor geltende „17. Tourismuspolitische Bericht“ widmet dem Aspekt Nachhaltigkeit eine mickrige halbe Seite. Engagierter ist das Umweltministerium, das einen Wettbewerb für vorbildliche Regionen veranstaltet und einen praxisnahen Leitfaden herausgegeben hat. Wer in Baden-Württemberg Urlaub machen will, kann sich auf der Internetseite Grüner Süden über nachhaltige Pauschalangebote, Hotels und Campingplätze informieren, und die Seite www.naturtrip.org bietet Freizeittipps für Ausflüge ohne Auto. Das alles aber bleibt Stückwerk.

Energieeffizienz fördern

Die meisten denken bei umweltfreundlichem Tourismus an Radler und Wanderer. Auch das Marktsegment von Urlaubern, die sich ganz bewusst für Qualität, Regionalität und Umweltfreundlichkeit entscheiden, ist ein Nischenprodukt: Gerade einmal drei Prozent der Bevölkerung kennen das Siegel für umwelt- und klimafreundliche Reisen Viabono. Viel wichtiger ist es deshalb, Nachhaltigkeit möglichst in alle Angebote zu integrieren – und zwar so, dass Desinteressierte gar nichts davon mitbekommen. Schließlich ist die Angst weit verbreitet, dass Nachhaltigkeit mit höheren Kosten einhergeht. Dabei stimmt das in vielen Fällen nicht: Ein Hotel, das weniger Strom und Heizwärme verbraucht, hat auch einen betriebswirtschaftlichen Vorteil, wie das Steigenberger Hotel in Berlin belegt. Durch ökologische Umbaumaßnahmen spart die Edelherberge 163000 Euro Kosten pro Jahr.

Unterkünfte sind für 28 Prozent der klimaschädigenden Emissionen im Deutschlandtourismus verantwortlich. Weil die Kapitaldecke vieler Beherbergungsunternehmen überaus dünn ist, haben sie aber keine Chance, einen Bankkredit für Umbaumaßnahmen zu ergattern. Ohne zielgerichtete staatliche Förderinstrumente wird es hier mit einer energetischen Sanierung deshalb nicht vorangehen. „Die Branche ist sehr heterogen – und entsprechend fällt es ihr schwer, gemeinsame Interessen effektiv in den politischen Prozess einzubringen“, sagt Wolfgang Strasdas, Professor für nachhaltigen Tourismus in Eberswalde. So gibt es bisher nur einzelne regionale Initiativen und Leuchtturmprojekte.

Die ostfriesische Insel Juist hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 klimaneutral zu sein. „Wir haben ja schon heute mit vermehrten Sturmfluten zu kämpfen, und es besteht die Gefahr, dass die Insel geteilt wird“, begründet Thomas Vodde von der Kurverwaltung sein Engagement. Er hat dafür gesorgt, dass 110 Vermieter eine kostenlose Energieberatung bekommen: Bewegungsmelder, LED-Lampen, Warmwasserbereitung auf dem Dach, Dämmung oder ein Blockheizkraftwerk im Keller – für jedes Haus wurde errechnet, wie sich mit den geringsten Investitionen die größten Effekte erreichen lassen. Die Urlauber können im Katalog sofort sehen, wer mitmacht. Zwei Drittel der Stammgäste sind bereit, für Klimaschutzmaßnahmen auf ihrer Insel bis zu einem Euro pro Tag mehr auszugeben. Inzwischen hat das Wirtschaftsministerium in Kiel eine Seminarreihe für Menschen aus der Tourismusbranche gestartet, die sich kostenlos zu Lotsen für Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien ausbilden lassen wollen.

Ohne Auto anreisen

Den Löwenanteil der klimaschädlichen Gase im deutschen Tourismus verursacht freilich die Anreise: Etwa zwei Drittel sind darauf zurückzuführen; in der Schweiz mit ihrem hervorragenden Bahnsystem sind es lediglich 47 Prozent. Dem will Juist nacheifern. „Wenn Sie mit Ihrem Auto nach Juist reisen, endet Ihre Reise mit dem Pkw in Norddeich, da Juist autofrei ist“, verkündet die Internetseite der Kurverwaltung. Der bewachte Parkplatz am Festland schlägt täglich mit fünf bis sechs Euro zu Buche, während die Inselverwaltung Sonderangebote mit der Bahn ausgehandelt hat. Auch ein Gepäcktransport von Haus zu Haus ist buchbar. Immerhin etwa 30 Prozent der Feriengäste auf der ostfriesischen Insel nutzen den Zug – deutschlandweit liegt die Quote lediglich bei elf Prozent.

Thomas Vodde ist stolz, dass auf Juist nur zwei Ärzte, die Feuerwehr und das Rote Kreuz normale Autos besitzen, darüber hinaus gibt es zwei Elektrowagen für die Paketverteilung. Alles andere – Möbel, Menschen, Bierkästen – transportieren Pferdefuhrwerke.

Tourismus nachhaltig zu gestalten ist ein Zukunftsthema. Warum das nicht in Deutschland zum Markenzeichen ausbauen? Bei den erneuerbaren Energien ist das auch gelungen. Inzwischen gibt es dazu einen Baedeker-Reiseführer mit 190 Reisezielen, viele internationale Touristen kommen nach Freiburg, um sich über Solarenergie zu informieren, und in Morbach im Hunsrück haben sich schon Leute aus 113 Ländern die dortige Energielandschaft angeschaut. Warum sollten sich internationale Tourismusexperten nicht auch für die regionalen Wirtschaftskreisläufe in der Uckermark interessieren? Doch leider fehlt es dem Bundeswirtschaftsministerium am politischen Willen, einen nachhaltigen Tourismus in Deutschland voranzubringen. Lieber beschäftigt man sich damit, wie die Autoindustrie vor hohen Abgasgrenzwerten zu schützen ist. Das aber ist weder nachhaltig noch zukunftsfähig.

Annette Jensen

fairkehr 5/2023