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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Service 3/2016

„Yes we can” des Radverkehrs

fairkehr erklärt, warum Transportfahrrädern die Zukunft gehört, und stellt Neuigkeiten vor.

Foto: Riese und MüllerIn Berlin gehören sie bereits zum normalen Straßenbild: Transportfahrräder – zum Beispiel um mit den Kindern ins Grüne zu fahren.
Foto: Butchers & BicyclesLiegt gut in der Kurve. Der neuste Schrei beim Lastenrad: Dreirad mit Neigetechnik
Foto: Yuba BikesAuf zum Gipfel: Mit diesem Longtail-Lastenrad mit elektrischer Unterstützung sind steile Berge und der Transport schwerer Dinge gut zu schaffen.
 

Vorab drei Gründe, warum Lastenfahrräder volle Aufmerksamkeit verdienen. Erstens: Sie sind für private und gewerbliche Transporte auf kurzen Strecken extrem praktisch. Zum Beispiel im Familienalltag: Bis zu vier Kinder aus der Kita abholen, danach zum Supermarkt, ein Laufrad und das Buddelspielzeug immer dabei. Alles kein Problem mit einem ausreichend großen Lastenrad. Wie im Anhänger sind die Kinder bei Bedarf durch ein Verdeck vor Wind und Wetter geschützt. Sie sitzen aber höher und mit freiem Blick nach vorn. Eltern haben die Kinder im Blick und können mit ihnen kommunizieren.

Zweitens: Lastenräder haben eine starke Symbolwirkung. Sie stellen diejenigen in Frage, die unter Verkehrswende vor allem die Elektrifizierung des Autos verstehen. Lastenräder sind das bildliche „Yes we can“ des Radverkehrs. Viele Modelle unterstreichen diese Botschaft mit ansprechendem Design und machen ästhetisch Lust auf die Verkehrswende.

Drittens: Lastenräder könnten enorm viel Autoverkehr in Städten ersetzen. Nach einer Studie des EU-geförderten Cyclelogistics-Projekts könnten 51 Prozent aller Kfz-Fahrten, bei denen Güter in Städten transportiert werden, auf Fahrräder beziehungsweise Lastenräder verlagert werden. Allein 40 Prozent dieser ersetzbaren Fahrten sind private Einkäufe, die wie geschaffen sind für den Transport mit Lastenrädern. So weit die Theorie. Aber was tut sich für Verbraucher auf dem Lastenradmarkt?

Geteiltes Rad ist günstiges Rad

Es muss nicht immer ein eigenes Lastenrad sein. Sharing-Angebote sind eine gute Alternative für alle, die nur gelegentlichen Transportbedarf oder keinen ausreichenden Stellplatz haben. Mit „Kasimir – Dein Lastenrad“ war 2013 in Köln die Idee der Lastenräder als Gemeingut geboren. Ein freies Lastenrad ist online buchbar und tageweise an teils wechselnden Stationen wie Cafés oder Stadtteilzentren kostenlos ausleihbar. Diese Idee traf einen Nerv. Kasimir wurde lokaler Medienliebling und fand bundesweit Nachahmer. Freie Lastenrad-Initiativen gibt es inzwischen in über 30 Städten. Zuletzt startete im April der Verleih von „Fienchen, dem freien Wuppertaler Lastenrad“ und „ELA, Essens freiem Lastenrad“. Der größte Anbieter ist „Hannah! Lastenräder für Hannover“ mit insgesamt acht freien Lastenfahrrädern.

In Konstanz und Norderstedt sollen diesen Sommer erstmalig in Deutschland vollautomatisierte Verleihsysteme für Lastenräder getestet werden. Jeweils 25 Exemplare sollen an Stationen im öffentlichen Raum gegen eine Nutzungsgebühr zu leihen sein. Dahinter steckt die Transportrad-Initiative Nachhaltiger Kommunen (TINK), die vom Bundesverkehrsministerium gefördert wird. Längst beschäftigen sich auch Anbieter klassischer Fahrradverleihsysteme mit Lastenrädern, und von der Landespolitik in Hamburg und Baden-Württemberg gibt es bereits entsprechende Absichtserklärungen zur Integration von Lastenrädern in klassische Fahrradverleihsysteme.

Zweirad versus Dreirad

Zwei oder drei Räder? Das ist die wohl wichtigste Grundsatzentscheidung beim Kauf eines Lastenrads. Zweirädrige sogenannte Longjohns sind schmaler und schneller. Dreirädrige Modelle haben mehr Stauraum, sind kürzer und im Stehen sowie bei normaler Fahrweise kippsicher. Beide Grundtypen sind anfangs gewöhnungsbedürftig, aber nach kurzer Zeit für die meisten Radfahrer einfach und sicher zu beherrschen.
Die Unterscheidung in zwei- und dreirädrige Lastenräder verliert durch einen neuen Modelltyp an Relevanz. Die noch jungen Hersteller Veleon aus Berlin und Butchers & Bicycles haben dreirädrige Lastenräder mit ausgefeilter Neigetechnik entwickelt. Mit diesen Dreirädern kann man sich fast wie mit einem Zweirad in die Kurve legen und ist dabei deutlich schneller unterwegs als mit einem klassischen Dreirad. Wie leicht oder schwer sich das Rad neigt, kann individuell eingestellt werden.

Bisher vor allem in den USA verbreitet ist das sogenannte Longtail-Lastenrad, wie es die US-Hersteller Xtracycle und Yuba anbieten. Longtails haben einen nach hinten verlängerten Radstand. Das ermöglicht einen sehr langen, stabilen Gepäckträger. Der kann seitlich und nach oben kräftig beladen werden. Alternativ finden zwei Kindersitze hintereinander Platz. Der Gepäckträger kann auch als Bank für zwei größere Kinder genutzt werden. Hier sitzen die Kinder zwar wieder hinten und damit nicht im Blickfeld, aber das Fahrgefühl ist dem auf einem normalen Rad sehr ähnlich.

Elektrische Unterstützung

Kaum ein anderes Fahrrad gewinnt durch den Pedelec-Antrieb so an Attraktivität wie das Lastenrad. Die elektrische Tretunterstützung macht den Lastentransport auch bei Steigungen und auf längeren Strecken zum Spaß. Manche neuen Modelle kommen sogar ausschließlich als E-Variante auf den Markt. Die meisten Modelle gibt es mit und ohne E-Antrieb. Erste Lastenrad-Modelle wie das Load von Riese & Müller oder das Rapid der Radkutsche werden auch als S-Pedelec ausgeliefert. Hier wirkt die elektrische Tretunterstützung nicht nur bis 25, sondern bis zu 45 km/h und hat deutlich mehr Kraft am Berg. So wird das Lastenrad auch im ländlichen Raum, wo der nächste Supermarkt durchaus mal zehn Kilometer entfernt liegt, zu einer realistischen Transportalternative im Alltag.

Die Pedelec-Testinstitution ExtraEnergy hat im April in einem Sondertest zwölf E-Lastenräder auf Herz und Nieren geprüft. Die Ergebnisse werden im August veröffentlicht und geben einen qualifizierten Marktüberblick.

Die Platzfrage

Lastenräder brauchen zwar deutlich weniger Platz als ein Auto, aber mehr als ein normales Fahrrad. Das ist nicht nur für die Stellplatzfrage zuhause relevant, sondern auch, wenn das Lastenrad in Bahn oder Auto mitreisen soll. Einige Longjohn-Modelle sind dehalb hinter der Ladefläche teilbar. Auch ein faltbares Longtail-Lastenrad gibt es: das neue Modell Node des US-Faltradherstellers Tern.

Manche Modelle bestehen aus teilbaren Modulen. So kann das Hinterteil beim französischen Douze mit unterschiedlich langen Ladeflächen vorn genutzt werden. Das ist von Vorteil, wenn sich im Laufe der Jahre der Transportbedarf im Alltag ändert – zum Beispiel, weil die Kinder anfangen, selbst Rad zu fahren. Das brandneue Cargo von Hercules bietet eine weitere Innovation: Das abtrennbare Vorderteil funktioniert als eigenständiger Handwagen, der am Lenker durch den Supermarkt geschoben werden kann.

Kleinkind an Bord

Familien mit Kindern sind mit Abstand die wichtigsten privaten Nutzer von Lastenrädern. Allerdings warten viele Eltern mit dem Kindertransport per Lastenrad, bis die Kleinen selbständig aufrecht auf der eingebauten Sitzbank Platz nehmen können. Das muss nicht sein. Einige Lastenrad-Hersteller wie Bakfiets und Urban Arrow bieten gefederte Halterungen für Auto-Babyschalen an. Eine tiefe Positionierung in der Transportbox sorgt im Extremfall für einen Überrollschutz. So können auch Kleinkinder im Lastenrad transportiert werden – bei Blickkontakt mit dem fahrenden Elternteil.

Radeln ohne Altersgrenze

Lastenräder erleben dank der Kopenhagener Initiative Cykling Uden Alder – auf Deutsch: Radeln ohne Alter – eine Renaissance auch als Seniorenrikscha. Die Initiative bietet bewegungseingeschränkten Senioren gemeinsame Ausflüge an. Motto: „Das Recht auf Wind im Haar“. Zum Einsatz kommen meist elektrisch unterstützte Christiania-Bikes. In kurzer Zeit hat sich die Idee in Dänemark verbreitet. Im November 2015 gab es landesweit bereits 400 Seniorenrikschas im Dienste von Cykling Uden Alter. Auch international entstehen in immer mehr Ländern lokale Ableger. In Deutschland gibt es in Berlin eine Initiative, die bereits zwei Seniorenrikschas im Einsatz hat. Es werden weitere Seniorenresidenzen und freiwillige Piloten gesucht, um das Angebot auszuweiten.

Arne Behrensen

Das Lastenrad-Blog unseres Autors und Fahrrad-experten Arne Behrensen:
cargobike.jetzt

VCD-Infos und -Service zum Lastenrad:
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fairkehr 5/2023