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Politik 3/2016

Sie schützen Motoren statt Menschen

Autohersteller umgehen mit „Thermofenstern” die Abgasreinigung in ihren Fahrzeugen – angeblich, um den Motor zu schützen. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt schaut nur zu.

Foto: OpelDer Umwelt zuliebe sollten Fahrer eines Opel Zafira 1,6 CDTI auf einen Trip in die Berge verzichten: Bei unter 17 Grad – also kühler Höhenluft – regelt die Abgasreinigung runter.

Ende April stellte Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt den Bericht seiner Untersuchungskommission vor, die wegen der Manipulationsvorwürfe gegen VW im September 2015 beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) eingerichtet wurde. Die Kommission sollte überprüfen, ob weitere Hersteller mit unerlaubten Abschalteinrichtungen die Abgasreinigung ihrer Autos bei Fahrten auf der Straße herunterregeln. Die Kontrolleure testeten 56 Fahrzeuge.

Das Ergebnis war erschütternd. Im Schnitt überschritten die überprüften Autos auf der Straße den Stickoxid-Grenzwert um das Fünffache, der Renault Kadjar gar um Faktor 18. Aber für Dobrindt und seine Kontrolleure war das akzeptabel. Denn im Normtest auf dem Rollenprüfstand hielten die Fahrzeuge den Grenzwert für das gesundheitsschädliche Abgas ein. Eine Abschalteinrichtung, die einsetzt, wenn ein Auto nicht auf dem Rollenprüfstand ist, wurde nicht gefunden. Damit war VW erwischt worden, und nur das ist unbestritten illegal. Andere Hersteller sprach die Kommission vom Manipulationsvorwurf frei. Dobrindt handelte mit Audi, Daimler, Opel, Porsche und VW einen freiwilligen Rückruf von 630.000 Pkw aus.

Der Skandal sollte kleingeredet werden. Um den Motor oder andere Bauteile vor Schäden zu schützen, müsse die Abgasreinigung bei bestimmten Außentemperaturen heruntergefahren werden, so die Hersteller. Und das sei legal. Plötzlich war das „Thermofenster“ in aller Munde. Die EU-Vorschriften für die Abgasgrenzwerte sind nicht eindeutig: Abschalteinrichtungen sind verboten, die Abgasreinigung muss im normalen Betrieb einwandfrei funktionieren. Aber unter nicht genau definierten Extrembedingungen sind Ausnahmen erlaubt.

„Legal, illegal, scheißegal”

Zunächst fand das niederländische Forschungsinstituts TNO heraus, dass beim Mercedes C 220 CDI schon bei Temperaturen von knapp unter zehn Grad Celsius, also bei der mitteleuropäischen Durchschnittstemperatur, die Stickoxid-Minderung aussetzte. Schließlich machten sich die Deutsche Umwelthilfe, Axel Friedrich, Ex-Abteilungsleiter beim Umweltbundesamt, der Spiegel und die ARD auf die Suche nach Abschalteinrichtungen. Besonders intensiv prüften die Tester den Opel Zafira 1,6 CDTI. Der war schon der Dobrindt-Kommission aufgefallen, weil er auf dem Prüfstand bei einer um zehn Grad höheren Temperatur 6,5-fach erhöhte Stickoxid-Werte hatte. Trotzdem erhielt er einen Freispruch mangels nachgewiesener Betrugsabsicht. Das Ergebnis des unabhängigen Tests: Die Software des Zafira fährt die Stickoxid-Reinigung oft herunter, beispielsweise wenn die Außentemperatur unter 17 Grad oder über 33 Grad Celsius beträgt oder wenn die Drehzahl höher steigt als 2.400 U/min. Also bei über 70 Prozent der Fahrleistung eines durchschnittlichen Mitteleuropäers.

„Legal, illegal, scheißegal“ – kaum jemand hat den Spontispruch so konsequent umgesetzt wie die Autoindustrie. Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages soll jetzt die Verantwortung der Regierung und der Hersteller für den Betrug am Kunden und die Gefahr für die Gesundheit aller Menschen aufklären und Vorschläge zur Lösung des Abgasskandals entwickeln. Der VCD fordert eine Reform des Messverfahrens – die Abgaswerte müssen unter realen Bedingungen auf der Straße überprüft werden. Dem KBA muss die Regierung die Nachkontrolle der Emissionswerte entziehen. Die Käuferinnen und Käufer brauchen das Recht auf Sammelklagen, damit sie sich gegen die Manipulation von Abgas- und Verbrauchswerten wehren können.

Gerd Lottsiepen
Der Autor ist verkehrspolitischer Sprecher des VCD-Bundesverbandes.

fairkehr 5/2023