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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 2/2016

Schluss mit bügelfrei

Deutschlands Radfahrer ketten ihre Fahrräder an Laternenpfähle, Zäune oder Bäume. Eine Alternative haben sie oft nicht. Deutschland braucht mehr Parkplätze für Fahrräder.

Foto: Marcus Gloger
Foto: Marcus GlogerIn der Radstation in Bonn geben Pendler morgens ihre Räder ab und steigen in den Zug. Ums Parken und bei Bedarf auch Reparieren kümmern sich die jungen Mitarbeiter.

Ein gutes Argument für das Radfahren: Man spart sich die Parkplatzsuche. Viele Menschen würden diese Aussage unterschreiben, sie entbehrt aber nicht einer gewissen Ironie. Denn würde man wirklich nach einer sicheren Abstellanlage suchen, statt wild zu parken, könnte das lange dauern. Gute Abstellmöglichkeiten für Fahrräder sind in Deutschland Mangelware. Dabei können sie dazu beitragen, dass mehr Menschen auf das klima- und umweltfreundliche Verkehrsmittel setzen und sich hochwertige, sichere Räder leisten. Einige Städte machen vor, wie systematisch Parkraum für Fahrräder geschaffen wird.

„In den alten, dicht bebauten Wohnvierteln in Deutschlands Innenstädten gibt es kaum Fahrradabstellplätze“, sagt Frank Jülich, Leiter des Verkehrsplanungsamtes der Stadt Nürnberg. „Das ist historisch bedingt. Als die Quartiere angelegt wurden, konnten die Planer weder die hohe Zahl der Fahrräder noch die hohe Zahl der Autos absehen, die wir heute haben. Eine Verpflichtung zum Bau von Abstellplätzen gab es noch nicht.“ Jülichs Mitarbeiter haben Anfang 2015 in einem knapp zwei Quadratkilometer großen Areal in der Nürnberger Nordstadt alle Fahrradabstellplätze und die Zahl der Räder erfasst. Die 320 Fahrradständer waren zu fast 100 Prozent ausgelastet, für 700 Räder gab es keine öffentlichen Stellplätze.

Das Thema Fahrradparken wird bei der Radverkehrsförderung in Deutschland oft unterschätzt. Wie wichtig den Menschen gute Abstellplätze für ihre Räder sind, belegt die repräsentative Umfrage „Fahrrad-Monitor Deutschland 2015“ der Sinus Markt- und Sozialforschung GmbH. Auf die Frage „In welchen Bereichen könnte die Politik Ihrer Meinung nach mehr für den Radverkehr tun?“ nannten 47 Prozent der Befragten „Sichere Abstellanlagen schaffen“ und   31 Prozent „Mehr Abstellanlagen bauen“. Damit ist das Fahrradparken neben dem Wunsch nach mehr Radwegen das zweite große Thema für Radfahrerinnen und Radfahrer.

„Menschen fahren häufiger mit dem Rad, wenn es direkt vor der Haustür steht und sie es nicht erst aus dem Keller oder vom Hinterhof holen müssen“, sagt Frank Jülich. Positive Nebenwirkung: „Wenn die Leute vom Auto aufs Fahrrad umsteigen, sinkt die Belastung der Anwohner durch Lärm und Abgas.“ Daher ist es Jülich wichtig, das Missverhältnis zwischen vorhandenen Rädern und fehlendem Parkraum zu beseitigen. Die Stadt Nürnberg stellt derzeit in der Nordstadt an 155 Standorten 500 Bügelständer für zusätzliche 1000 Fahrräder auf. Das Projekt ist Teil der Radverkehrskampagne „Nürnberg steigt auf“. Im Februar wurde es mit dem Deutschen Fahrradpreis in der Kategorie Infrastruktur ausgezeichnet.

Wild parken schafft Konflikte

Von einem besseren Parkangebot profitieren nicht nur die Radfahrer. Wenn abgestellte Räder wild auf schmalen Bürgersteigen enden, wird es für Fußgänger eng. Zwischen dem Rad und parkenden Autos bleibt wenig Raum. Wer einen Kinderwagen schiebt oder im Rollstuhl sitzt, muss das Hindernis umkurven. Für Menschen mit einer Sehbehinderung kann das Rad zur Stolperfalle werden.

„Wenn die Kommunen eine ausreichende Zahl sicherer Fahrradabstellanlagen aufstellen, sinkt die Zahl der ungünstig abgestellten Räder“, sagt Sabine Stanelle, Leiterin des VCD-Projektes „Mehr Platz fürs Rad!“. Mit dem Projekt macht der VCD auf gelungene Radverkehrsinfrastruktur wie Fahrradstraßen und -parkhäuser aufmerksam. Auf dem Internetportal fahrradfoerderung.vcd.org sind die guten Beispiele samt Hintergrundinformationen abrufbar. Auf Veranstaltungen fürs Fachpublikum wie den Verkehrswissenschaftlichen Tagen in Dresden oder der Publikumsmesse VELOBerlin sucht das VCD-Team das Gespräch mit Verkehrsplanern und -politikern sowie mit Radfahrerinnen und Radfahrern. Ziel ist es, gute Beispiele bekannt zu machen und Kommunen zum Nachahmen anzuregen.

Gut platziert

Wie gut eine Fahrradabstellanlage ist, hängt auch davon ab, wo sie steht. Radfahrer parken lieber wild, statt ein paar hundert Meter zum nächsten Fahrradständer zu laufen. An Bahnhöfen oder Supermärkten sind Abstellanlagen möglichst nah an den Eingängen optimal. In Wohngebieten mit kleinen Geschäften – wie der Nürnberger Nordstadt – müssen die Fahrradständer gut verteilt sein. Bei der Standortwahl für die neuen Bügelständer konnten die Nürnberger im Internet ihre Wünsche äußern. Sie machten 105 Vorschläge, von denen 53 umgesetzt werden sollen. Seine eigenen Vorschläge hatte das Verkehrsplanungamt vorher auf einer Karte im Web veröffentlicht. Die vorbildliche Bürgerbeteiligung war laut Jury einer der Gründe dafür, dass das Projekt den Deutschen Fahrradpreis erhielt.

In Nürnbergs Nordstadt ist es eng. Nischen für die neuen Fahrradständer haben die Nürnberger trotzdem gefunden: Sie ersetzen Poller, die verhindern, dass Autos auf dem Bürgersteig parken, durch die Bügelständer. Wo die Bürgersteige über fünf Meter breit sind, errichtet die Stadt die Abstellmöglichkeiten auf den Gehwegen. Wenn es keine Alternative gibt, baut sie die Fahrradständer im Straßenraum auf Autoparkplätzen.

„Wenn Fahrradfahrer mit Fußgängern um Platz konkurrieren, ist das nicht im Sinne einer nachhaltigen Mobilität“, sagt Sabine Stanelle vom VCD. Sie plädiert dafür, dass Pkw-Parkplätze umgewandelt werden und der zusätzliche Platz für den Radverkehr nicht auf Kosten der Fußgänger geht. Gute Beispiele hierfür gibt es unter anderem in Berlin, Bremen und Leipzig.

Diebstahlsicher parken

Neben der richtigen Platzierung ist  das Maß an Diebstahlschutz entscheidend, das eine Fahrradparkanlage bietet. In Deutschland wurden laut Bundeskriminalamt 2014 rund 340000 Fahrräder gestohlen. Neben billigen Schlössern sind es auch fehlende oder unsichere Abstellanlagen, die es Dieben einfach machen. Lehnt ein Fahrrad abgeschlossen an einer Hauswand, kann der Dieb es problemlos auf einen Transporter laden. Bei den weitverbreiteten Vorderradhaltern, auch als Speichenkiller verspottet, kann der Rahmen nicht angeschlossen werden. Dann trennen Diebe mit wenigen Handgriffen das Vorderrad vom Rahmen und nehmen den Rest des Fahrrads mit.

Viele Radfahrer ketten ihr Fahrrad daher lieber mit dem Rahmen an den nächsten Baum oder an ein Geländer. Da steht es sicherer – auch wenn es andere Verkehrsteilnehmer behindert.

An die Bügelständer, wie Nürnberg sie aufstellt, kann man den Rahmen und das Vorder- oder Hinterrad des Fahrrads anschließen. „Wer sein Fahrrad sicher abstellen kann, ist eher bereit, Geld in ein neues, verkehrssicheres Fahrrad zu investieren“, sagt Frank Jülich.

Oder in ein Pedelec: Mit deren rasant steigenden Absatzzahlen wächst auch der Bedarf an besonders sicheren Abstellanlagen wie Fahrradboxen oder Parkhäusern. Ein Pedelec oder E-Bike kostet oft mehr als 2000 Euro – ein Wertgegenstand, den man ungern ungeschützt auf der Straße stehen lässt.

Was (Bau-)Recht ist

Höchste Zeit, dass auch das Fahrradparken übers Baurecht geregelt wird. In den Bauordnungen der Bundesländer ist längst festgeschrieben, wie viele Autoparkplätze beim Bau von Wohnungen, öffentlichen Gebäuden, Veranstaltungsstätten, Schulen oder Einkaufszentren geschaffen werden müssen. Baden-Württemberg hat nun auch die Zahl der Fahrradstellplätze in die Landesbauordnung integriert. Seit März 2015 schreibt das Land für jede neue Wohnung zwei wettergeschützte und leicht zugängliche Fahrradabstellplätze vor. Bei öffentlichen Gebäuden gilt jetzt: Wer Abstellanlagen für vier Fahrräder anlegt, muss einen Autoparkplatz weniger bauen. „Die Landesbauordnung von Baden-Württemberg ist ein Schritt in die richtige Richtung. Andere Bundesländer können sich daran ein Beispiel nehmen und den Bau von mehr Fahrradabstellanlagen anregen“, sagt VCD-Projektleiterin Sabine Stanelle. Viele Kommunen und Städte schreiben in ihren Stellplatzsatzungen Fahrradparkplätze vor. Damit sorgen sie dafür, dass zumindest bei künftigen Bauvorhaben auch die Bedürfnisse von Radfahrerinnen und Radfahrern berücksichtigt werden.

Der Vorteil, wenn Fahrradstellplätze schon in der Planungsphase berücksichtigt werden: Es können nicht nur funktionale, sondern auch elegante, in das Gebäude integrierte Lösungen entstehen. Im Berliner Stadtteil Lichtenberg haben die Architekten Paul Wichert und Lars Göhring 2015 zwei Fahrradlofts gebaut. „Wir haben uns beim Entwurf der Gebäude von den Fahrrädern auf den Balkonen der Berliner Mietshäuser inspirieren lassen“, sagt Architekt Lars Göhring. „Die haben oft keinen Ort zum Fahrradabstellen. Die Mieter tragen ihre Räder die Treppe hoch, durch die Wohnung und stellen sie auf die Balkone.“

Parken am Bahnhof

Die Fahrradlofts haben je zwei Balkone: einen zur Straße hin und einen mit Blick auf den Garten im Innenhof. Die überwiegend überdachten straßenseitigen Balkone sind nicht nur als Erholungsorte gedacht, sondern auch, um Fahrräder oder Kinderwagen abzustellen. Im Eingangsbereich der Häuser gibt es Aufzüge, mit denen die Bewohner zu den Fahrradbalkonen gelangen. Von dort kommen sie direkt in ihr Domizil. In den energieeffizienten Mehrfamilienhäusern gibt es insgesamt 42 Wohnungen. Beim Deutschen Fahrradpreis 2016 erhielt das Projekt im Februar den dritten Platz  in der Kategorie Infrastruktur, knapp hinter der Nürnberger Bügel-Initiative.

Ein weiteres Projekt zum Thema Fahrradparken hatte die Jury des Fahrradpreises bereits im Jahr 2015 überzeugt: Das „Radhaus“ am Offenburger Bahnhof. Das fünfstöckige Gebäude fasst bis zu 120 Fahrräder. Im Erdgeschoss gibt es Aufzüge, die man mit einer Parkkarte öffnet. Hinter den Türen befinden sich Fahrradboxen. Die Box fährt mit dem geparkten Rad im Aufzug nach oben und wird automatisch verstaut. Ein Parkplatz kostet 60 Euro pro Jahr. Derzeit sind etwa 100 Plätze vermietet. Die Kosten für den Bau des „Radhauses“ betrugen etwa 330000 Euro.

Neben Parkhäusern sind Fahrradstationen eine weitere Möglichkeit, Stellplätze in Bahnhofsnähe zu schaffen. Die Radstation „moBiel“ in Bielefeld ist in eine alte Expressguthalle am Hauptbahnhof eingezogen. Die Halle sollte Anfang der Neunzigerjahre abgerissen werden. Heute bietet sie 300 Fahrradstellplätze für Kurz- und Langzeitparker. Per Chipkarte können Radfahrer rund um die Uhr ein- und ausschecken. Das Parken kostet 70 Cent pro Tag. In der Station kann man auch Schließfächer und Fahrräder mieten oder das eigene Rad reparieren lassen.

Eine Untersuchung des Innovationszentrums InnoZ hat ergeben, dass rund um Berlins Bahnhöfe, S- und U-Bahnhaltestellen ein Drittel aller Fahrräder wild geparkt werden. Bundesweit sind mit den Fahrradabstellplätzen an Bahnhöfen laut Fahrrad-Monitor nur 21 Prozent der Befragten zufrieden. Fahrradstationen und -parkhäuser sorgen nicht nur für mehr Ordnung im Bahnhofsumfeld. Als Schnittstelle zwischen öffentlichem Verkehr und Radverkehr sind sie für Pendler ein überzeugendes Argument, das Auto endgültig zuhause zu lassen.

Sicher, wettergeschützt, gut zugänglich: Den meisten Fahrradfahrern liegt viel daran, ihr Fahrrad gut aufgehoben zu wissen. Wenn sie dennoch wild parken, lehrt  das, dass es an guten Stellplätzen mangelt. Die Erfahrung zeigt: Wo Kommunen, Arbeitgeber, Einzelhändler oder Wohnbaugesellschaften genügend adäquate Abstellanlagen schaffen, sinkt die Zahl der Wildparker und die Zahl der Radfahrer steigt. Dass Platzmangel keine Ausrede ist, zeigen die Stadt Nürnberg, die jede Nische für einen Fahrradständer nutzt, und die Stadt Offenburg, die ihr „Radhaus“ einfach in die Höhe gebaut hat. Wo ein Wille ist, entstehen auch neue Fahrradabstellplätze.

Benjamin Kühne

Mehr Infos und gute Beispiele: fahrradfoerderung.vcd.org

fairkehr 5/2023