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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 2/2016

Genervt am Berg

Wenn eine Frau bei der Wandertour in eine ambitionierte Männergruppe gerät, kann das anstrengend werden.

Foto: Mostviertel Tourismus/weinfranz.atWer nicht die ganz großen alpinen Herausforderungen sucht, ist im Mostviertel in Niederösterreich richtig. Die Region ist ein Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit und Mitglied bei den Österreichischen Wanderdörfern.

Lauter durchtrainierte Männer in den besten Jahren: Als Franziska bei der Begrüßung den Blick über die Runde ihrer Mitwanderer schweifen lässt, ist sie durchaus angetan. Sie ist Single und nicht abgeneigt, auf dieser Wandertour den einen oder anderen interessanten Mann kennenzulernen. Die Statistik spricht für sie: Sie wird die nächsten fünf Tage als einzige Frau mit acht Männern unterwegs sein. Eine Wanderung ist der perfekte Charaktertest – auch wenn das nicht ihre Hauptmotivation für die Anmeldung zu dieser Tour war. Sorgen, dass sie nicht mithalten kann, hat sie keine. Als Sportlehrerin ist sie gut trainiert, und Wandererfahrung hat sie in anderen Urlauben bereits gesammelt.

„Als die Gruppe inklusive Bergführer beim ersten längeren Anstieg geschlossen davonzog, habe ich mich gewundert“, sagt Franziska. „Aber ich bin davon ausgegangen, dass ich in meinem Tempo gehen kann und die anderen dann auch wieder auf mich warten.“ Es wartet aber nur der Bergführer – um ihr zu sagen, dass sie in diesem Tempo das Tagesziel nicht erreicht. „Das war der Punkt, an dem ich richtig in Stress gekommen bin“, erinnert sich die 38-Jährige.

Sie muss ihre ganze Kraft aufbringen, um es vor Einbruch der Dunkelheit zur Hütte zu schaffen. Als sie ankommt, sitzt die Männergruppe schon geduscht beim Bier. „Es war nicht so, dass sie mich ignoriert hätten oder direkt unfreundlich zu mir waren“, sagt Franziska. „Aber es war klar, dass ich das Leistungsniveau gefährde und der Rest der Gruppe eher noch einen Gipfel mehr stürmen, als für mich die Tour verkürzen würde.“

Kampfgeist statt Teamgeist

Erschöpft schaufelt Franziska das Abendessen in sich hinein, um sich dann mit schmerzenden Muskeln im Bettenlager zwischen schnarchenden Männern von einer Seite auf die andere zu drehen.

Der nächste Tag wird für die Singlefrau zur Willensprobe. Statt fünf Stunden Gehzeit, wie im Programm angekündigt, werden es sieben. Die meisten davon geht es bergauf. Der Rucksack drückt, die Waden schmerzen. „Ich kenne das von den letzten Kilometern beim Marathon“, sagt die Läuferin. „Alles tut weh. Ich weiß, dass ich es ins Ziel schaffe. Aber: Mit Spaß hat das nichts mehr zu tun.“ Und mit dem Urlaub, auf den sie sich gefreut hatte, auch nicht.

Was Franziska erst später auf Nachfrage vom Reiseveranstalter erfährt: Der Bergführer hat dem Gruppendruck nachgegeben und seine Wegewahl dem hohen Leistungsniveau der Männer angepasst – auf ihre Kosten.

Zum Ende der Woche nach Tausenden Höhenmetern und hinreichend Gipfelfotos werden die Männer entspannter. „Ich hätte sie über die nächste Kante schubsen können, als sie dann anfingen, demonstrativ rücksichtsvoll zu sein“, sagt Franziska. Da waren ihre Begleiter beim Charaktertest schon alle durchgefallen.

Wanderreisen bucht sie immer noch. Aber sie achtet genau darauf, wie die Reisen beschrieben sind, und lässt sich vom Veranstalter das Männer-Frauen-Verhältnis der Gruppe durchgeben. Der Vorteil: Das Wandern macht deutlich mehr Spaß. Der Nachteil: „Ich lerne dabei vor allem Paare kennen.“

Regine Gwinner

fairkehr 5/2023