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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 6/2015

VW in der Sackgasse

Die Autoindustrie braucht neue Koordinaten – die Politik muss diese vorgeben.

Foto: Markus BachmannHeiko Balsmeyer ist Projektkoordinator des EU-Verbändeprojektes „Clean Air“ unter der Leitung des VCD.

Von einem VW-Abgasskandal zu sprechen, ist eine ver-
kürzende Darstellung und eine Verharmlosung. Der Skandal ist das Desaster eines ganzen Industriezweigs. Die Auto-
mobilindustrie setzt seit Jahren allein auf wirtschaftlichen Erfolg und übernimmt offensichtlich wenig gesellschaftliche Verantwortung. Ihr Enga-
gement für den Klima- und Umweltschutz ist nur vor-
getäuscht. Formal hält man sich an gesetzliche Vorgaben, in Wirklichkeit nimmt man den vorzeitigen Tod von Menschen durch Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Kauf – die Folge der übermäßigen Belastung mit Schadstoffen. Und die Käufer der Autos werden mit falschen Angaben über den Verbrauch betrogen.

Die Automobilindustrie steht nach dem Abgasskandal am Scheideweg: Entweder sie versucht, die gesellschaftlichen und ökologischen Notwendigkeiten der Gegenwart weiter zu ignorieren und bezahlt dafür mit Krisen und Skandalen. Oder die Vernunft hält Einzug. Dann muss sie sich ernsthaft den ökologischen Herausforderungen stellen.

Öffentlichkeit, Umweltverbände und Politik sollten jetzt gemeinsam die strukturellen Probleme unter die Lupe nehmen: die Verflech-
tungen zwischen Automobilindustrie, Politik und Verwaltung sowie das Versagen relevanter Institutionen, insbesondere des für die Prüfung der Fahrzeuge zuständigen Kraftfahrt-Bundesamtes. Grundsätzlich muss mehr Transparenz geschaffen werden. Die Ergebnisse aller Überprüfungen müssen veröffentlicht werden – einschließlich der Ergebnisse der Nachmessungen bei Autos auf der Straße.

Das Navigationssystem der Autoindustrie selbst braucht die richtigen Koordinaten, um den Weg aus der Sackgasse zu finden, oder anders gesagt: Die Politik muss die passenden Rahmenbedingungen vorgeben. Die Schadstoffwerte der Autos müssen von einer unabhängigen Behörde im realen Fahrbetrieb auf der Straße gemessen werden. Sämtliche Ergebnisse sollten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wird festgestellt, dass Autos Schadstoffgrenzwerte überschreiten, muss der Staat dies mit empfindlichen Strafen für die Hersteller ahnden.

Diese müssen verpflichtet werden, die Fahrzeuge schnell und auf eigene Kosten in einen zulassungskonformen Zustand zu bringen – und wenn sie das nicht können, Ersatz zur Verfügung stellen. Auf europäischer Ebene muss zudem das Typprüfverfahren geändert werden, bei dem getestet wird, ob ein Auto alle Spezifikationen, Normen oder Richtlinien einhält. Es muss klare Grenzwerte geben, die die Fahrzeuge auch auf der Straße einhalten. Die Bundesregierung muss auf die Einführung dieser Regelungen drängen. Nicht zuletzt ist ein kompletter Kulturwandel in der Autoindustrie erforderlich. Sie muss sich selbst an die Spitze des Fortschritts stellen, um einen Beitrag zu Gesundheits- und Klimaschutz zu leisten.

Heiko Balsymeyer

fairkehr 5/2023