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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

VCD aktiv 5/2015

Von Bergen, Bahnen und Bibern

Die Ammergauer Alpen sind neues „Fahrtziel Natur” der Deutschen Bahn. Bisher kommen die meisten Touristen noch mit Autos oder Reisebussen.

Foto: Gemeinde Oberammergau/Deutsche Bahn AGDas Naturschutzgebiet Ammergauer Alpen ist seit Jahresbeginn neu in der Kooperation Fahrtziel Natur. Im Verbund mit VCD, BUND, NABU, Deutscher Bahn und 21 weiteren Nationalparken, Naturparken und Biosphärenreservaten möchten sich die Ammergauer Alpen stärker für die Förderung eines umweltgerechten Tourismus einsetzen.

Kühe grasen auf sattgrünen Weiden. Sanft steigen diese an bis hinauf zu den dunklen Nadelwäldern. Aus ihnen ragen die kahlen, steinigen Alpengipfel in den Himmel. Hier im Tal fließt das Flüsschen Ammer, das der oberbayerischen Landschaft ihren Namen gibt. Über einem wilden Seitenarm der Ammer liegt ein durchgenagter Baumstamm: Ein Biber hat ganze Arbeit geleistet. Wir Wanderer bekommen die scheuen Tiere heute leider nicht zu Gesicht. „Die Ammergauer Alpen sind für mich die schönste Gegend Deutschlands“, sagt Christian Loth, Geschäftsführer der Tourismusgesellschaft „Ammergauer Alpen“.

Was wie ein Marketingslogan klingt, wirkt aus dem Mund des gebürtigen Niedersachsen durchaus glaubhaft. Auch unseren Augen bieten die Ammergauer Alpen ein idyllisches Panorama. Doch die Ohren werden nicht im gleichen Maß verwöhnt. Durch das Tal donnert eine Bundesstraße. Autos sind das dominierende Verkehrsmittel der Einheimischen und Touristen in der Region. Tourismusmanager Loth und Arno Nunn, erster Bürgermeister von Oberammergau, wollen das ändern. Ihr Ziele: den Charakter des Tourismus verändern, weniger Straßenverkehr und vor allem Erhalt der Natur.

Wir sind als Vertreterinnen und Vertreter der Umweltverbände zusammen mit der Deutschen Bahn (DB) nach Oberammergau gereist, um mit Loth und Nunn deren Pläne zu diskutieren. Seit diesem Jahr sind die Ammergauer Alpen „Fahrtziel Natur“. Mit diesem Programm, unterstützt die DB in Zusammenarbeit mit dem VCD und den Umweltverbänden BUND und NABU Nationalparke, Naturparke und Biosphärenreservate beim Ausbau nachhaltiger Mobilität und beim Marketing. Dabei sind die Rollen klar verteilt: Die DB bewirbt die Anreise mit ihren Zügen in die Region, die Umweltverbände beraten die Verantwortlichen der Naturgebiete, wie sie die Mobilität vor Ort nachhaltig verbessern können. Voraussetzung dafür, Fahrtziel Natur zu werden, ist die Anbindung an das Deutsche-Bahn-Netz und ein ÖPNV-Angebot, das am Urlaubsort das eigene Auto möglichst überflüssig macht.

„Als wir mit der Ammergauer Alpen GmbH ins Gespräch kamen, haben wir festgestellt, dass die Region die Aufnahmebedingungen bereits weitgehend erfüllte“, sagt Dr. Kathrin Bürglen, Projektleiterin von Fahrtziel Natur. Vor Ort können Besucher mit der Elektronischen Gästekarte und der „Königskarte“ Linienbusse kostenlos nutzen. Beide Karten erhalten sie bei den teilnehmenden Hotels. Die Busse fahren in der Woche die Tourismusmagneten wie die barocke Benediktinerabtei Kloster Ettal oder das Schloss Linderhof im Stundentakt an. Aber ausgerechnet am Wochenende, wenn besonders viele Ausflügler unterwegs sind, fährt der Bus nur vier mal täglich. Das ist viel zu selten.

Mobilitätsangebot verbessern

„Mit dem aktuellen ÖPNV-Angebot wird es schwierig, mehrere Sehenswürdigkeiten an einem Tag zu besichtigen oder noch eine Wanderung zu unternehmen. Nur wenn vor Ort die Mobilität ohne eigenes Auto gewährleistet ist, werden vermehrt Gäste mit der Bahn anreisen“, sagt Michael Ziesak, VCD-Bundesvorsitzender, während einer abendlichen Diskussionsrunde. Bei einer Wanderung entlang der Ammer nach Ettal und einem anschließenden Busausflug zum Schloss Linderhof hatten sich die Expertinnen und Experten der Umweltverbände zuvor ihr eigenes Bild von Tourismus und Mobilitätsangebot vor Ort gemacht.

Foto: Uwe Miethe/Deutsche Bahn AGBahnfahren auf landschaftlich wunderschöner Strecke: Ein Triebwagen der Baureihe ET 426 fährt von Oberammergau nach Murnau auf der Ammergaubahn.

„Wir wollen die Ammergauer Alpen zum Naturpark weiterentwickeln, um die Kulturlandschaft aus Wiesen, Wäldern und Bergen mit ihrer großen Vielfalt an Tieren und Pflanzen zu erhalten“, sagt der junge, motivierte Tourismusbeauftragte Loth. „Durch die Ernennung zum Fahrtziel-Natur-Gebiet erhoffen wir uns, dass mehr Menschen mit der Bahn anreisen statt mit dem Auto. Zukünftig sollen unsere ÖV-Gästekarten möglichst auch in den Nahverkehrszügen der Region gültig sein“, sagt er.

Die Ammergauer Alpen sind gut mit dem Zug erreichbar. Am Wochenende fahren Bahnreisende beispielsweise von Frankfurt aus in knapp fünfeinhalb Stunden nach Oberammergau. Vom 90 Kilometer entfernten München sind Ausflügler in weniger als zwei Stunden in dem kleinen Ort, der für seine Lüftlmalerei an den Fassaden der Häuser, für Holzschnitzerei und seine Passionsspiele bekannt ist. Die Bahnstrecke ist landschaftlich besonders reizvoll: Sobald der Zug die Vororte Münchens hinter sich lässt, können Reisende den Ausblick auf den Starnberger See und bei gutem Wetter sogar das Panorama der Zugspitze genießen. Die Bahnstrecke ist übrigens nicht nur schön, sondern auch historisch bedeutsam. Der Streckenabschnitt zwischen Murnau und Oberammergau war Anfang des 20. Jahrhunderts eine der ersten elektrifizierten Eisenbahnstrecken in Deutschland und wurde mit Strom aus Wasserkraft betrieben. Bereits 1910 konnten die Besucher der Passionsspiele klimaverträglich anreisen.

Rund um das Schloss Linderhof werden die Herausforderungen des Tourismus sichtbar: Das Lieblingsschloss des „Märchenkönigs“ Ludwig II. von Bayern lockt jährlich 500000 Besucher an. Große Reisebusse parken dicht an dicht vor den Toren des Schlossparks und spucken Touristen aus. Buspauschalreisen bündeln zwar den Verkehr und schonen das Klima, die lokalen Gastwirte und Hoteliers sind aber weniger zufrieden: Sie profitieren so gut wie nicht von diesen Gästen, denn deren Geld fließt überwiegend in die Taschen auswärtiger Busunternehmer. Busreisende konsumieren Kultur, übernachten aber nicht. Oft haben sie nicht mal Zeit, um in einem der hübschen Gasthäuser einzukehren, bevor sie zur nächsten Sehenswürdigkeit weiterfahren.

Um die Mobilität vor Ort nachhaltig zu verbessern, wollen die Ammergauer auch die Einheimischen mit einbeziehen und ein Carsharing-System aufbauen. In jedem der kleinen Orte des Tals soll mindestens ein Auto am Rathaus platziert werden. „Wenn wir es schaffen, dass die Einheimischen auf ihren Zweitwagen verzichten, wäre das schon ein großer Erfolg“, sagt Loth. Damit das „Fahrtziel Natur – Ammergauer Alpen“ mehr wird, als eine Marketingkooperation, müssen die Ammergauer bald ihre Pläne in die Tat umsetzen und dafür sorgen, dass die Linienbusse am Wochenende regelmäßig fahren. Dann könnte im Revier der Biber wieder mehr Ruhe einkehren.    

Benjamin Kühne

Alle Infos: www.fahrtziel-natur.de

fairkehr 5/2023