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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 5/2015

Wein in vollen Zügen genießen

Weinlese an der Ahr: Das Tal ist ausgebucht, alle drei Kilometer findet sich ein Weinstand am Wanderweg und die Besucher der Weinfeste feiern in der Bahn einfach weiter.

Foto: Kirsten LangeBlick übers Ahrtal: Im September und Oktober werden die Weintrauben geerntet und die Dörfer sind voller Gäste.

Das Glück ist oftmals mit den Na-iven. In diesem Fall mit uns. Wir dachten tatsächlich, dass wir Anfang Oktober ein Hotelzimmer im Ahrtal bekommen, wenn wir zwei Wochen vorher anfangen zu suchen. Zur Weinlese. Wenn im ganzen Tal die Feste steigen.

Mehr als 30 Mails und etwa zehn Telefonate später haben wir Glück. In einem Hotel in Bad Neuenahr hat just vor meinem Anruf ein Gast sein Einzelzimmer storniert. Mit Beistellbett wird es zum Doppelzimmer.

So klappt der Wochenendausflug von Bonn an die Ahr doch noch. Die gut getaktete Ahrtalbahn von Bonn nach Ahrbrück bringt Rheinländerinnen und Rheinländer in einer halben Stunde ins Rotweinanbaugebiet in der Eifel. Dort lässt sich selbst während der Weinlese auf einsamen, weil weniger bekannten und anspruchsvolleren Wegen durch Wälder und über Hügel wandern.

Doch wer möglichst trubelig und weinreich unterwegs sein möchte, wählt den beliebten Rotweinwanderweg, der auf 35 Kilometern durch Weinbergterrassen von Bad Bodendorf über Bad Neuenahr/Ahrweiler nach Ahrbrück führt. Ein Online-Führer warnt: „Besonders zur Zeit der Weinlese ist es in den Orten und auch auf dem Wanderweg teilweise unerträglich voll. Deswegen sollte man den Rotweinwanderweg lieber außerhalb der Saison genießen.“ Das nächste Mal vielleicht, jetzt wollen wir uns das weinselige Treiben geben. Zusammen mit Tausenden anderen Touristen an diesem sonnigen „Tag der Deutschen Einheit“-Wochenende. Auch das ist Kultur.

Foto: Kirsten Lange

Für den Rotweinwanderweg braucht es wenig Kondition, einen halbwegs vollen Geldbeutel und Trinkfestigkeit. Alle zwei bis drei Kilometer kommen die Wanderer an einer Einkehrmöglichkeit vorbei: einer Straußwirtschaft oder einem provisorischen Weinstand. Winzer, die keine Gaststätte am Weg betreiben, packen ihren Transporter voll mit Wein- und Federweißerflaschen, Bierbankgarnituren – oder Strohballen – und einem Pavillonzelt. Sie fahren an einen Aussichtspunkt in den Weinbergen und schenken direkt an die wandernden Weinfans aus. Das sind an diesem Wochenende Rentnergruppen, Großfamilien, Freundeskreise und Junggesell/-innen-Abschiede. Letzteren versuchen wir auf schmalen Wegabschnitten zu entkommen. Wer nicht zu viel bechert, dem bleibt ein Blick für die, die weder wandern noch konsumieren: die Arbeiterinnen und Arbeiter in den Weinstöcken. In der Mittagshitze pflücken sie die violetten Trauben und schütten sie postkistenweise in riesige Bottiche, die Trecker und Geländewagen auf Anhängern ins Tal transportieren.

Foto: Kirsten LangeWährend die einen in der prallen Sonne Trauben pflücken und in Postkisten sammeln, genießen die anderen das fertige Produkt im Weingut Kloster Marienthal am Wanderweg.

Aus den Orten schallt Musik nach oben, die Weinfeste sind im Gange. Unser Ziel: Mayschoß. „1000 Einwohner, 160 Winzerfamilien, davon 40 noch hauptberuflich, bearbeiten zirka eine Million Rebstöcke. Älteste Winzergenossenschaft Deutschlands, langjährige Durchschnittsernte 750000 Liter Wein“, steht auf einer bereits leicht verwitterten Infotafel. Etwa einen Dreiviertelliter davon trinken wir an diesem Abend in der kleinen Gemeinde 35 Kilometer südwestlich von Bonn. Der Bahnhof in Mayschoß ist voll mit Weinfestgästen, die in bereits gut besetzte Züge steigen. Die Stimmung an Bord: ausgelassen. Die Getränkewahl: dem Anlass angemessen. Statt Bierdosen und billigen Sekt in Plastikbechern packen die Reisegruppen gute Weine aus der Region und Gläser aus. Das hat Stil, das ist eine andere Kultur, wenige Halte von zu Hause entfernt. Reisen bildet auch die naivsten Weinlese-Neulinge. Wir kommen wieder ins Ahrtal. Schön ist es dort, sowohl außerhalb als auch während der Lese.        

Kirsten Lange

www.rotweinwanderweg.de

fairkehr 5/2023