fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 4/2015

Zurück auf die Straße

Kinder sollen selbstständige Menschen und verantwortungs-bewusste Verkehrsteilnehmer werden – das klappt nur, wenn die Gesellschaft sie ernst nimmt und ihnen mehr Platz gibt.

Kindergeburtstag im Wohnblock neben an. Der Lärmpegel ist beachtlich. Unmöglich festzustellen, ob auf der großen Wiese hinterm Haus 4, 7 oder 25 Kinder feiern. Sie reden durcheinander, feuern sich an, jubeln, lachen, weinen, streiten, machen alle Arten von sinnlosen Geräuschen und haben dabei, wie es scheint, einen Riesenspaß.

Wer sagt, die Kinder von heute hätten kein Interesse mehr daran, draußen zu spielen, lügt. Die Wahrheit ist: Kinder haben kaum noch Orte, an denen sie spielen und ihre Energie ungebremst ausleben können. In den dicht bebauten Städten fehlt es an Platz. In den großzügiger angelegten Wohngebieten fehlt es an Verständnis.

Böse zugespitzt könnte man sagen: Auf der Prioritätenliste der Deutschen stehen freie Fahrt und der Parkplatz vor der eigenen Haustür ganz oben. Danach kommen Ruhe, Ordnung und Pflichterfüllung. Und wenn dann noch ein bisschen Gestaltungs-freiraum bleibt, kommen die Kinder dran.

Autos müssen weichen

Kein Wunder, dass sie sich dann längst in ihre Zimmer zurückgezogen haben, mit Kopfhörern über den Ohren und mobilem Endgerät in der Hand. Abenteuer und Action kommen online ins Haus – ohne Lärm und ohne Konflikt mit den Erwachsenen. Die Folgen sind bekannt: soziale und motorische Störungen, Aufmerksamkeitsdefizit, Übergewicht, Gesundheitsprobleme etc.

Pädagogen, Politiker, Sozialwissenschaftler, Krankenkassenvertreter, Stammtischpsychologen und nicht zuletzt die Eltern selbst bedauern diesen Zustand. Sie beklagen die antriebs- und interessenlose Generation, die da heranwächst, und machen die neuen Medien dafür verantwortlich.

Was sie dabei gerne übersehen: Neben der (altersgemäßen) Antriebslosigkeit vieler Kinder und Jugendlichen und neben der (unbestrittenen) Verführungskraft der neuen Medien gibt es starke gesellschaftliche Kräfte, die dafür sorgen, dass alles so ist, wie es ist, – und am besten auch so bleibt. Denn was müsste passieren, damit Kinder wieder mehr Platz im Ortsbild bekommen, unbehindert draußen spielen und ihre täglichen Wege ohne Begleitung der Eltern zurücklegen können? Ganz einfach: Das Auto müsste weichen – oder zumindest gründlich eingeschränkt werden. Denn Autos und Kinder passen einfach nicht zusammen.

Knappe Flächen so umzuverteilen, dass Kinder mehr und Autos weniger Platz haben – das geht nicht ohne Konflikt. Es braucht mutige Politikerinnen und Politiker, die diese längst fällige Rückeroberung des öffentlichen Raums durchsetzen – auch wenn es Konflikte und heftigen Gegenwind gibt. Und es braucht Eltern, die die politische Dimension ihres Mobilitätsverhaltens verstehen und ihre Kinder zu Fuß zur Schule begleiten – auch wenn das mal länger dauert ­– als sie schnell ins Auto zu packen.

Bevor die Geburtenrate im Land weiter sinkt und die wenigen noch vorhandenen Kinder völlig in der Bewegungslosigkeit erstarren, ist es höchste Zeit für beherztes Handeln. Neue Maßnahmen muss man dafür übrigens nicht entwickeln. Die sind seit Jahrzehnten bekannt.

Regine Gwinner

Sinnvolle Maßnahmen

Aufgaben für den Bund:

  • Straßenverkehrsordnung ändern und die Geschwindigkeit innerorts auf Tempo 30 reduzieren
  • Gesetzliche Vorgaben für verkehrsberuhigte Bereiche vereinfachen, damit sie für Kommunen mit geringstem finanziellen und baulichen Aufwand umsetzbar sind
  • Nationalen Radverkehrsplan finanziell aufstocken und einen Nationalen Masterplan Fußverkehr ins Leben rufen

Aufgaben für die Kommunen:

  • Verkehrsberuhigte Bereiche in Wohngebieten ermöglichen
  • Öffentliche Flächen für den Autoverkehr sperren
  • Geschwindigkeiten in verkehrsbe­ruhigten Bereichen überwachen
  • Straßensperrungen nachmittags, am Wochenende und in den Schulferien ermöglichen
  • Baumaßnahmen auf Kinderfreundlichkeit überprüfen
  • Kinderwege und Spielflächen vernetzen und bei der Stadtplanung berücksichtigen, z. B. in Form von Spielleitplanung

Für die Eltern:

  • Auto zuhause lassen und Kinder zu Fuß oder per Rad in Kindergarten und Schule begleiten. Die größte Gefahr im Kita- und Schulumfeld geht von autofahrenden Eltern aus Für Anwohner, Nachbarn und Wohnbaugesellschaften:
  • Kinderlärm als Zeichen eines gesunden Wohnumfelds begrüßen und aushalten – auch wenn er manchmal nervt
  • Das Auto so abstellen, dass es weder die (Kinder-)Sicht behindert, noch Spielflächen zustellt – und dann einfach mal stehen lassen
  • Wann immer es möglich ist, Wege zu Fuß oder per Rad zurücklegen.
  • Im Wohnumfeld grundsätzlich und freiwillig Schrittgeschwindigkeit fahren

fairkehr 5/2023