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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

VCD aktiv 3/2015

Die ÖPNV-Checker

Der VCD testet dieses Jahr den öffentlichen Nahverkehr in Stadt und Land. Jeder kann mitmachen und seinen ÖV online bewerten. Die Ergebnisse kommen im Herbst.

Fotos: Valeska Zepp (4)Einladend, übersichtlich, verständlich, barrierefrei? Gregor Kolbe (li.) und Friedhelm Bihn testen das Bus- und Bahn-Angebot in Köln.

Der Busfahrplan hält der strengen Prüfung stand: Die Schrift ist groß, die Aufteilung verständlich, Fahrtzeiten und Haltestellen stehen klar und präzise auf dem Plan. Nur eine Service-Telefonnummer, an die man sich bei Fragen und Problemen wenden kann, sucht man vergeblich. Das gibt Punktabzug.

In Köln prüfen Projektleiter Gregor Kolbe vom VCD-Bundesverband in Berlin und Friedhelm Bihn vom örtlichen VCD-Kreisverband als eines von drei Tandems zwei Tage lang Bushaltestellen, Fahrpläne, Kundenzentren, U-Bahn-Stationen und Fahrkartenautomaten.

Das VCD-Projekt „Einfach einsteigen – Zugänglichkeitscheck des ÖPNV“ ist seit Februar in der Erhebungsphase. Tester sind in den beiden Großstädten Köln und Hannover unterwegs, in den Mittelstädten Bamberg und Wittenberg sowie in den Landkreisen Meißen und Vogelsberg.

Es geht gleich gut los: Gregor Kolbe braucht noch einen Fahrschein, mit dem er den ganzen Tag in Köln Bus-, S- und U-Bahn fahren kann. Am Automaten stellt er fest, dass dieser weder Scheine annimmt noch EC-Karten akzeptiert. „Eine Kölner Eigenart“, erklärt Friedhelm Bihn, „wer das nicht weiß und weder Kleingeld noch eine aufgeladene Geldkarte dabei hat, ärgert sich und steht vor einem Problem.“

Ein gutes Beispiel dafür, warum der öffentliche Nahverkehr oft schlecht wegkommt. Wenn Kunden urteilen, geht es nicht nur um harte Faktoren wie ein engmaschiges Haltestellennetz, perfekte Taktung und günstige Preise. Es geht ums Gefühl: Bekomme ich schnell und einfach das richtige Ticket? Wirkt die Haltestelle einladend und kann ich dort angenehm die Wartezeit verbringen? Werde ich gut über die anstehende Fahrt informiert? „Diese sogenannten weichen Faktoren sind mindestens genau so wichtig“, sagt Kolbe, „Menschen, die sich grundsätzlich vorstellen können, Bus und Bahn zu nutzen, gehen als Kunden verloren, wenn sie zwei-, dreimal auf Hindernisse stoßen“, sagt Projektleiter Kolbe. Deshalb untersucht der VCD, welche Zugangshindernisse die Nutzung des Nahverkehrs erschweren .

Ziel: einfach einsteigen

Das VCD-Projektteam hat einen Erhebungsbogen mit einem standardisierten Verfahren entwickelt. Die Tester gehen quantitativ vor und haken auf den Erhebungsbögen ab, ob etwas vorhanden ist oder nicht: Existiert eine Wegeleitung zu Ausgängen oder Umstiegen, können Kunden bei Regen unter einer Überdachung warten, steht ein Ticketautomat bereit, ist dieser mehrsprachig? Befinden sich Radabstellplätze in der Nähe, sind sie überdacht? Wie steht es mit der Barrierefreiheit? Auf Basis dieser Fragebögen erstellt der VCD eine Gesamtbewertung des untersuchten Nahverkehrs.

Parallel findet eine Online-Befragung statt. Hier kann jeder mitmachen und die Qualität seines Nahverkehrs beurteilen oder Zugangshindernisse aufdecken. Mit der Umfrage will der VCD die persönliche Einschätzung der Kundinnen und Kunden einfangen und gute Beispiele finden (siehe Kasten).

Die Tester in Köln prüfen etwa 30 Haltestellen und 30 Fahrzeuge sowie Kundenzentren, das Internetangebot und Smartphone-Apps. Jedes Team hat sich ein Tortenstück aus dem Stadtgebiet herausgepickt und bewegt sich mit Bus und Bahn vom Zentrum bis in die Peri­pherie. „Natürlich können wir nicht jede einzelne Haltestelle im Stadtgebiet untersuchen, da wären wir ja Wochen unterwegs“, sagt Kolbe. Aber mit Hilfe der Experten vor Ort sind die Testsegmente aussagekräftig und stellvertretend für das Untersuchungsgebiet.

Vor dem Fahrkartenautomaten zwischen zwei U-Bahn-Gleisen geht Gregor Kolbe in die Knie. „Ach, das spiegelt ja gar nicht. Aus Rollstuhlhöhe kann ich noch alles gut lesen“, sagt er anerkennend. Auch mit dem Rest ist er zufrieden: Kunden können zwischen mehreren Sprachen wählen, die Tarife sind verständlich, direkt nebenan hängen sowohl eine Übersichts- als auch eine Detailkarte des Stadtgebiets. Der Fahrplan im Aushang hat nur einen Mangel: Umsteigemöglichkeiten stehen nicht direkt an den Haltepunkten. Der Kölner ÖV wird sicher ganz ordentlich abschneiden“, vermutet Bihn. Das Angebot sei schon heute gut und der VCD vor Ort führe seit Jahren fruchtende Gespräche mit den Verkehrsbetrieben. „Vom ÖPNV-Zugänglichkeitscheck erhoffen wir uns, weitere Knackpunkte zu finden, damit Busse und Bahnen in der Stadt noch attraktiver werden“, sagt der Kölner Experte.

Die Ergebnisse des Pilottests veröffentlicht der VCD im Herbst. Danach plant er, die Methode allgemein zu Verfügung zu stellen. „Wir haben ein Instrument entwickelt, mit dem jede Stadt und jeder ländliche Raum unkompliziert und kostengünstig den Nahverkehr prüfen kann. Oft kann man schon mit Kleinigkeiten erreichen, dass der ÖV besser angenommen wird“, sagt Kolbe.

Nach drei Stunden Testfahrt sind die ÖPNV-Checker mit dem Bus am Kölner Stadtrand angekommen. Schnell noch in der Checkliste abhaken, dass es Radabstellplätze direkt an der Haltestelle gibt – sogar überdacht, eine Taxirufsäule und ein recht einladendes Wartehäuschen. Dann muss Zeit sein für eine Mittagspause. Und wo eine Haltestelle ist, kann das nächste Büdchen oder ein Imbiss nicht weit sein – darauf kann man sich in Köln verlassen.

Valeska Zepp

Senf dazugeben – Ihre Meinung zählt!

Damit das VCD-Projekt „Einfach einsteigen – Zugänglichkeitscheck des ÖPNV“ den Nahverkehr nicht nur in den sechs Musterregionen untersucht, braucht es den ultimativen Alltagstester – den Kunden. Bis in den Spätsommer hinein kann jeder an der bundesweiten Onlinebefragung teilnehmen und seinen ÖPNV vor Ort bewerten. Bisher haben schon 1000 Menschen mitgemacht. Die Umfrage dauert ungefähr zehn Minuten. Jeder Teilnehmer trägt dazu bei, Zugangshindernisse aufzudecken und gute Lösungen bekannter zu machen, damit der ­öffentliche Nahverkehr besser und einfacher gestaltet wird.

fairkehr 5/2023