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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 3/2015

Schiffe auf der Schlachtbank

Die meisten europäischen Schiffe werden auf den Stränden Südasiens ausgeschlachtet. Ohne Vorkehrungen zum Schutz von Arbeitern und Umwelt. Patrizia Heidegger von der Organisation Shipbreaking Platform, spricht im Interview über die Praktiken der Abwrackindustrie.

Foto: YPSA 2009In Bangladesch ist die Arbeit von Minderjährigen in gefährlichen Industrien verboten. Doch die Arbeitgeber auf den Abwrackwerften in Chittagong zahlen verhältnismäßig gut und stellen trotzdem Jugendliche ein.

fairkehr: Was passiert mit einem Schiff, wenn eine Reederei es außer Dienst stellt?

Patrizia Heidegger: Die Reederei beauftragt einen Broker, der einen Käufer für das Schiff sucht. Wenn niemand das Schiff nutzen möchte, wird es an einen Cash Buyer verkauft. Das ist ein Mittelsmann, der alte Schiffe aufkauft und an Abwrackwerften veräußert. Der Mittelsmann wird meist für wenige Wochen Eigentümer des Schiffs, registriert es unter einer Billigflagge wie St. Kitts und Nevis, den Komoren oder Tuvalu und bringt es zu einer Abwrackwerft.

Wo sind die großen Abwrackwerften?

In Indien, Bangladesch und Pakistan. In den südasiatischen Ländern fahren die Abwrackunternehmen die Schiffe direkt auf den Strand, um sie dort zu verschrotten. Aber auch in China und in der Türkei werden Schiffe recycelt. Dort gibt es moderne Schiffsrecyclinganlagen.

Warum werden so viele Schiffe in Südasien ausgeschlachtet?

Es geht ums Geld. Der Preis, den der Eigentümer für ein Schiff erzielt, hängt von zwei Faktoren ab: dem Preis, den er für den Stahl erzielt, abzüglich der Kosten für das Abwracken. Den meisten Profit können Reeder in Indien, Bangladesch und Pakistan erzielen, weil dort die Lohnkosten extrem niedrig sind und bisher kaum Investitionen in moderne Schiffsrecyclinganlagen, Müllverwertungssysteme, Umwelt- und Arbeitsschutz verlangt werden.

Recycling von Rohstoffen ist nachhaltig und schont die Umwelt. Doch das Abwracken von Schiffen gilt als extrem umweltschädlich. Warum ist das so?

In den Schiffen befinden sich gefährliche Abfälle: Asbest, Schwermetalle in den Lacken auf der Außenhülle, Ölschlämme, große Mengen verunreinigtes Wasser und krebserregende polychlorierte Biphenyle. In Südasien sind die Arbeiter diesen Stoffen häufig ungeschützt ausgesetzt. Die Männer entfernen Asbest oder zerschweißen Stahl, ohne Atemschutzmasken zu tragen. Schadstoffhaltige Rohstoffe werden weiterverkauft und Abwässer verklappt. Auf den Satellitenaufnahmen bei Google Earth kann man die Ölteppiche einiger in Indien gestrandeter Schiffen sehen.

Können Schiffe umweltschonend recycelt werden?

Selbstverständlich. Umweltfreundliches Schiffsrecycling gibt es in modernen Werften in Europa, zum Beispiel im belgischen Gent, aber auch in Dänemark, Großbritannien und Frankreich. Auch einige Anlagen in der Türkei und in China folgen mittlerweile hohen Standards. Alle Gift- und Schadstoffe müssen sicher für Mensch und Umwelt entsorgt werden. Außerdem müssen die Unternehmen sicherstellen, dass keine flüssigen Schadstoffe und Abwässer ins Meer fließen. Um das zu verhindern, finden die Arbeiten in der Türkei auf wasserundurchlässigen Oberflächen statt. In China legen die Arbeiter die Schiffe an den Kai und bauen sie noch schwimmend von oben nach unten ab. Den unteren Teil der Stahlhülle zerlegen sie im Dock.

Auf Südasiens ­Abwrackwerften sind schwere Unfälle an der Tagesordnung: ­Arbeiter verletzen sich oder sterben.

Wie sind die Arbeitsbedingungen in der ­Abwrackindustrie?

In Südasien sind Unfälle an der Tagesordnung. Arbeiter verletzen sich oder sterben, wenn Tanks oder Gaszylinder explodieren, wenn sie aus großer Höhe vom Schiff stürzen oder von herabfallenden Stahlteilen getroffen werden. An den Stränden ist der Einsatz von schweren Maschinen unmöglich, deshalb muss die Arbeit von Hand verrichtet werden. Das steigert das Unfallrisiko. Die meisten Arbeiter an den Abwrackstränden in Südasien sind ungelernte Wanderarbeiter. Sie haben keine Arbeitsverträge, sind nicht versichert oder sozial abgesichert. Stirbt ein Arbeiter, bekommt seine Familie eine Entschädigung von 1000 bis 1500 Euro, was den Verlust des Hauptverdieners finanziell nicht abfangen kann. Viele Familien verarmen dann ganz. Wird ein Arbeiter verletzt oder bleiben Behinderungen zurück, zahlen die Werftbesitzer trotz rechtlicher Vorschriften meist die Behandlung nicht. In Bangladesch kommt Kinderarbeit hinzu. Die einheimischen Gesetze verbieten den Einsatz von Minderjährigen in gefährlichen Industrien zwar, daran hält sich aber kaum jemand.

Foto: Shipbreaking PlatformPatrizia Heidegger ist Direktorin der NGO Shipbreaking Platform, eines Zusammenschlusses von 19 Umweltschutz- und Menschenrechtsorganisationen aus zehn ­Ländern. Die in Brüssel ansässige Organisation setzt sich weltweit für sicheres und sauberes Recycling und gegen die Strandung von Schrottschiffen in Südasien ein.

Tragen deutsche und europäische Reeder eine Mitschuld an den Bedingungen in den Abwrackwerften?

Ganz klar ja. Die Reeder entscheiden, wohin sie ihre alten Schiffe verkaufen, und bestimmen den Preis. Sie können sich für sicheres und sauberes Recycling entscheiden und dadurch einen entsprechenden Markt schaffen oder die profitablere Strandung in Südasien wählen. Die Reeder entscheiden über die Zukunft der Abwrackindustrie.

Gibt es Reedereien, die sauber recyceln lassen oder schwarze Schafe, die sich besonders schädigend verhalten?

Dank unserer Kampagnen gibt es mittlerweile 13 große Reedereien, die zugesagt haben, dass sie keine Schiffe mehr auf Stränden verschrotten werden. Darunter ist der dänische Riese Maersk, das niederländische Unternehmen Royal Bos­kalis und die deutsche Reederei Hapag-Lloyd. Auch Öl- und Gasunternehmen wie Total oder Shell versprechen dies. Der Großteil der Reeder gehört jedoch zu den schwarzen Schafen. Darunter sind die Containerschiffgiganten MSC aus Genf und CMA CGM aus Marseille. Aber auch viele deutsche Reeder haben in den vergangenen Jahren Schiffe zur Verschrottung auf den Stränden verkauft: Claus Peter Offen, E. R. Schifffahrt, die Conti Holding oder Bernhard Schulte. Auffallend ist, dass viele Schiffe aus deutschen Schifffonds, etwa im Angebot von MPC oder König & Cie, auf den Stränden abgewrackt wurden.

„Die Zeit ist reif für den Wandel.”

Gibt es wirksame internationale oder europäische Gesetze, die das Abwracken von Schiffen regeln?

Auf internationaler Ebene gibt es das Übereinkommen von Hongkong, das die Problematik regulieren soll. Allerdings haben es bisher nur drei Staaten ratifiziert. Es wird so schnell nicht in Kraft treten. Die Reeder berufen sich gerne darauf, dass sie derzeit legal handeln.

Die EU hat 2014 eine neue Verordnung zum Schiffsrecycling verabschiedet. Diese schreibt vor, dass Schiffe unter europäischer Flagge nur in von der Europäischen Kommission zugelassenen Werften verschrottet werden dürfen. Das ist ein guter Ansatz, um den Markt für sauberes Recycling anzuregen. Allerdings kann die neue Verordnung nicht verhindern, dass ein Großteil der europäischen Schrottschiffe von Mittelsmännern ausgeflaggt und dann auf den Stränden Südasiens ausgeschlachtet wird. Für ausgeflaggte Schiffe gelten die europäischen Gesetze nicht mehr.

Auch die EU-Abfallverbringungsverordnung gilt für fast alle Schiffe, da die Reedereien häufig Giftstoffe verbauen. Die Verordnung verbietet den Export von Giftmüll aus Europa in Entwicklungsländer. Wenn der Verkauf eines Schiffes außerhalb des europäischen Rechtsrahmens stattfindet, ist die Regelung allerdings wirkungslos.

Was tun die EU und die deutsche Politik, um Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden zu verhindern?

Niemand auf europäischer Ebene wagt, die Reeder zur Verantwortung zu ziehen. Das wäre viel erfolgversprechender, als Standards für Abwrackwerften zu setzen und zu erwarten, dass diese in Indien, Pakistan oder Bangladesch umgesetzt werden. Die deutsche Regierung zählt in diesem Prozess neben Griechenland, Zypern und Malta zu den Bremsern. Sie versucht zu verhindern, dass die EU Bestimmungen erlässt, die über internationale Standards hinausgehen. Ich bin enttäuscht, dass Deutschland als eine der größten Seefahrernationen der Welt beim Schiff­recycling seiner Vorreiterrolle bei Umweltschutz und Menschenrechten nicht gerecht wird. Dabei standen deutsche Reeder 2014 an zweiter Stelle unserer Liste der schlimmsten Verschmutzer bei der Verschrottung von Schiffen – gleich nach den griechischen Reedern.

Was kann die europäische Zivilgesellschaft tun, um auf bessere Bedingungen in der Abwrackindustrie hinzuwirken?

Dank der neuen EU-Verordnung zum Schiffsrecycling passiert momentan viel. Die Reederverbände wachen auf, einzelne Reedereien übernehmen Verantwortung. Es gibt viel mediale Aufmerksamkeit für das Shipbreaking. Das sollte die Zivilgesellschaft nutzen, um das Thema bei nationalen Regierungen auf die Tagesordnung zu bringen und es gegenüber den Transportunternehmen anzusprechen. Wir freuen uns über Unterstützung. Die Zeit ist reif für den Wandel.

Interview: Benjamin Kühne

Mehr zum Schiffsrecycling: www.shipbreakingplatform.org

Filmtipp: Nichts für schwache Nerven: Im Grimme-Preis-­prämierten Dokumentarfilm „Eisenfresser” begleitet Filmemacher Shaheen Dill-Riaz Saisonarbeiter auf die Abwrackwerften in Chittagong, Bangladesch. Dabei kommentiert er die Szenen nicht anklagend. Er lässt seine Bilder sprechen. Die Jury würdigte vor allem seine „poetische Kameraführung”. Shaheen Dill-Riaz stammt aus Bangladesch und lebt heute in Berlin.

Buch, Kamera und Regie: Shaheen Dill-Riaz, Produktion: Kathrin Lemme u. Michael Weihrauch/Lemme Film, OmU, 2007, 85 min., Bezug: www.edition-filmmuseum.com

fairkehr 5/2023