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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 3/2015

In der Verantwortung bleiben

Foto: Lotte OstermannMichael Ziesak (45), VCD-Bundesvorsitzender, setzt sich für die Finanzierung des Nahverkehrs ein.

VCD-Bundesvorsitzender Michael Ziesak fordert die Bundesregierung auf, das Geld für die Finanzierung des Nahverkehrs auf der Schiene nicht in Frage zu stellen.

fairkehr: Seit der Bahnreform entscheiden die Bundesländer eigenverantwortlich, welche Züge im Nahverkehr wo und wie oft fahren. Vom Bund erhalten sie dafür jährlich rund sieben Milliarden Euro. Besteht die Gefahr, dass sich der Bund aus der Finanzierung des Nahverkehrs zurückzieht?

Michael Ziesak: Der Nahverkehr auf der Schiene erlebt seit Jahren eine Renaissance. Deutlich bessere Angebote, moderne Züge und dichte Takte sorgen für Fahrgastrekorde. Doch die hohen Energiepreise und die stark gestiegenen Trassenpreise, die die Deutsche Bahn von den Schienenunternehmen als Maut verlangt, bremsen diese Erfolgsgeschichte. Das Problem: Die Kosten steigen massiv, die Zuschüsse vom Bund stagnieren. Weil sie den Fahrgästen keine weiteren Preiserhöhungen mehr zumuten wollen, fordern die Länder eine stärkere finanzielle Unterstützung. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hingegen möchte die schwarze Null im Bund halten. Darum will er die Verantwortung für die Finanzierung des Nahverkehrs am liebsten loswerden.

Müssen die Länder mehr Geld für die Züge im Nahverkehr bekommen?

Der Schienennahverkehr braucht deutlich mehr Geld, allein schon um das heutige Angebot zu gewährleisten. Daher unterstützen wir den Gesetzentwurf des Bundesrates, den Nah­verkehr langfristig und verlässlich auf einem deutlich höheren Niveau zu finanzieren als heute.

Allerdings müsste auch das komplexe System zur Erhebung von Trassen- und Stationspreisen, also den Infrastrukturentgelten, insgesamt aufgebrochen werden. Doch solange die Schienenmaut rund 60 Prozent der Kosten für den ­Betrieb des Nahverkehrs schluckt und Bundesverkehrsminister Dobrindt bei der Eisenbahn hauptsächlich über WLAN nachdenkt, wird die Problematik nicht grundsätzlich gelöst.

In wessen Händen soll die Verantwortung für den Nahverkehr liegen?

Der VCD vertritt die Position, dass der Bund in der zweck-gebundenen finanziellen Verantwortung bleiben muss. Schon heute sind die Länder mit ihren Finanzierungsaufgaben überfordert. Selbst wenn der Bund den Ländern aus den nicht zweckgebundenen Geldern der Umsatzsteuer zwei Prozentpunkte mehr abgibt: Ohne feste Zweckbindung würden die Länder diese Einnahmen kaum in den Nahverkehr investieren, sondern eher für soziale Aufgaben verwenden, die ebenfalls in ihrer Verantwortung liegen. Der Verkehr bliebe einfach auf der Strecke, das zeigen die bisherigen Erfahrungen.

Was kann denn aktuell schiefgehen?

Das Bundesfinanzministerium brachte den Vorschlag ein, die Revision der Regionalisierungsmittel innerhalb der anstehenden Verhandlungen zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen zu regeln. Nun soll die Bundeskanzlerin die Streitfrage klären. In der Folge könnte es dazu kommen, dass Merkel im Juni gemeinsam mit den Ministerpräsidenten entscheidet, neben der Verantwortung auch die Finanzierung des Nahverkehrs an die Bundesländer abzugeben. Für Umwelt, Menschen und Klima wäre dies verheerend. Zunächst würden die Länder vermutlich Fahrten jenseits der Großstädte abbestellen und geplante zusätzliche Angebote auf Eis legen. Deutliche Fahrpreiserhöhungen würde es auch geben. Notwendige Investitionen würden nicht stattfinden. Wir befürchten, dass sich die Auswirkungen erst Jahre nach einer solchen Entscheidung zeigen werden. Langfristig rechnen wir mit massiven Streckenstilllegungen und Verschlechterungen des Nahverkehrs auf der Schiene. Für Proteste ist es dann zu spät.

Was bedeutet das konkret?

Viele Menschen abseits der Großstädte würden vom Schienenverkehr abgehängt. Für sie wäre Mobilität ohne Auto nur noch eingeschränkt möglich. Das erleben wir in vielen ländlichen Regionen schon heute. Aber es würde auch Konsequenzen für die Menschen in Großstädten haben. Wo der Nahverkehr fehlt, nimmt der Autoverkehr weiter zu – und damit sinkt die Lebensqualität in den Städten. Damit dieses Szenario nicht Realität wird, befinden wir uns im intensiven Dialog mit der Politik.

Interview: Uta Linnert

fairkehr 5/2023