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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 6/2014

Auferstanden aus Ruinen

Im Ersten Weltkrieg wurde das Bauerndorf Arabba fast völlig zerstört. 100 Jahre später lebt die Dolomitengemeinde vom Tourismus.

Energetisch ganz weit vorn: Der junge Wirt der Berghütte Burz schaufelt den Neuschnee eigenhändig vom Dach – und sorgt dafür, dass wieder Sonnenlicht auf die Kollektoren fällt.

Die Polenta schmeckt sicher noch wie vor 100 Jahren“, sagt der junge Hüttenwirt. Das gelbe Maismehl für dieses typisch norditalienische Gericht wird unten im Dorf in einer uralten Mühle gemahlen. Hier oben, auf 2000 Metern, in der Edelstahl-Küche der nagelneuen Berghütte Burz, bereiten die Köche den Maisbrei nach überliefertem Rezept mit Bergkäse und Südtiroler Speck zu. Die Betreiber der Mühle im Tal sind junge Leute um die 20, Diego De Battista, Eigentümer der Burz, eine Liftfahrt oberhalb des Dolomitendorfes Arabba, ist 26 Jahre alt.

Wie er so dasteht, mit brav geschnittenen Haaren, das dunkle Hemd sorgfältig in die Jeans gesteckt, nimmt man dem Gastronomen selbst dieses Alter kaum ab. Aber er hat sich viel vorgenommen: Es soll weiter aufwärtsgehen mit dem Tourismus in seinem Tal. Heute Abend haben die Gäste an den hellen Holztischen Platz genommen und freuen sich auf ein ladinisches Abendessen.

Vor ziemlich genau 100 Jahren zerstörte der Erste Weltkrieg beinahe alles Leben in De Battistas Heimatdorf. Durch das Tal von Buchenstein verlief ab Kriegsbeginn 1915 die Dolomitenfront, an der sich Italiener mit Österreichern und Ungarn in eisigen Wintern erbitterte Kämpfe lieferten. Zehntausende Tote waren die Folge, kein Stein blieb auf dem anderen. Bis auf zwei Bauerhöfe waren bei Kriegsende 1918 alle Gebäude zu Schutt bombadiert. Nach Kriegsende gehörte das Gebiet der Dolomiten zu Italien. Das Volk der Ladiner, die in fünf Tälern leben, traf es besonders hart. Die ladinisch sprechenden Dolomitenbewohner teilte die Regierung in Rom in drei Provinzen auf: Bozen, zu dem Südtirol gehört, Trient und Belluno. „Wir wurden erobert und zerschlagen“, bedauert der 78-jährige Nani Pellegrini, einer der Vorsitzenden der „Union generela“, des Verbandes der Dolomitenladiner, noch heute. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, „die sprachliche und kulturelle Einheit Ladiniens zu erhalten und zu fördern“, die die Italiener zerschlagen wollten.

Mit der Wiederbelebung der Großen Dolomitenstraße von Cortina d’Ampezzo nach Bozen kamen nach dem Zweiten Weltkrieg neue Besucher in das karge Tal der Ackerbauern und Viehzüchter. Die noch vom österreichischen Kaiser 1909 eingeweihte Ferienstraße brachte Mitte der 50er Jahre – befördert von den Olympischen Winterspielen in Cortina – Touristen in das schneereiche Arabba. Gasthäuser entstanden. 1954 baute De Battistas Vater den ersten Sessellift hinauf zur Hütte mit Namen Burz. Damit nahm der wirtschaftliche Aufschwung des Dorfes seinen Anfang und die Familie De Battista wurde zur Mitbegründerin des aufstrebenden Tourismus.

Fotos: Uta LinnertDiego De Battista, Chef der Burz, schaut mit großem Optimismus in die Zukunft.

Ökologische Bauweise

Die alte, dunkle Hütte seines Vaters hat Diego De Battista im letzten Jahr abreißen lassen und an gleicher Stelle für 2,8 Millionen Euro einen Gasthof neuen Zuschnitts auf das Bergplateau gesetzt. Die Refugio Burz ist ein transparenter Bau mit viel Holz und noch mehr Glas. Riesige Fenster geben den Blick auf das großartige Dolomitenpanorama frei und lassen andersherum viel Wärme hinein. „Wir haben ein zertifiziertes Klimahaus gebaut“, sagt De Battista stolz. „An einem sonnigen Tag brauchen wir selbst bei minus 15 Grad nicht zu heizen“. Wärmerückgewinnung und Sonnenkollektoren verbessern die Energiebilanz weiter. 110 Sitzplätze bietet die Hütte in zwei großen Räumen. Auf der Terrasse haben weitere 200 Gäste Platz. Damit alle die Sanitäretage bequem erreichen können – behinderte Menschen und solche mit klumpigen Skistiefeln an den Füßen – hat De Battista einen Aufzug einbauen lassen. Dieser und die selbst öffnenden Schiebeglastüren im Eingang erinnern leider ein bisschen an eine Autobahnraststätte.

Sonst ist alles sehr schön. De Battista hat mit einem Architekten aus dem Nachbartal zusammengearbeitet und für die Einrichtung einen Südtiroler Innenarchitekten aus Brixen engagiert. Die beiden haben den ökologischen Bau auf das Wesentliche reduziert und neben dem vielen Glas natürliche Materialien wie heimisches Holz, Schafswolle, Fell und Leder in warmen Farben zum Einsatz gebracht. Über der Theke schweben dutzende Geweihe. In der Mitte des Raumes sorgt ein hinter Glas knisterndes Holzfeuer für Behaglichkeit.

„In nur sieben Monaten haben wir es geschafft, diese Hütte aufzubauen“, sagt De Battista. „Dagegen hat uns das lange, komplizierte Genehmigungsverfahren durch die Instanzen der alles verschleppenden italienischen Bürokratie mehr als fünf Jahren gekostet“, beschwert er sich. Da blitzt es wieder hervor, das Elend des verlorenen Ersten Weltkrieges.

Der junge Mann mit italienischem Pass ist im Herzen kein Italiener. Er ist Ladiner, einer von geschätzten 35000. Er ist stolz auf die eigene Sprache, auf Fleiß und Kultur. „Es ist ein großes Unglück, dass wir nicht zu Südtirol gehören, sondern zur italienischen Provinz Belluno“, sagt er. Südtirol genießt als autonome Provinz in Italien einen Sonderstatus, lässt Deutsch und Ladinisch als Sprache zu, lehrt es in der Schule. Im Belluno sei das leider nicht der Fall. Ein Referendum, nach dem 80 Prozent der Ladiner zu Südtirol gehören wollten, blieb folgenlos.

Foto: Uta LinnertWo sich im Ersten Weltkrieg Soldaten verfeindeter Lager gegenüberstanden, genießen Urlauber heute die saubere, gesunde Bergluft.

Erinnerung an den Weltkrieg

Wie zum Trotz gegen alle Klagen über das Land, in dem De Battista leben muss, steht die Refugio Burz am nächsten Morgen friedlich und dick verschneit vor sonnenbeschienenen Dolomitengipfeln. Ringsum ragen senkrecht Felsen und Zacken in einen azurblauen Himmel. Über Nacht ist ein Meter Neuschnee gefallen. Mit Wollmütze und Strickpulli ist es der Chef selbst, der die tonnenschwere Last vom Dach schaufelt. „Mir würde es gefallen, wenn wir jungen Leute den Schwung hätten, die Arbeit anzupacken und unsere Zukunft in die Hand zu nehmen, denn hier ist noch jeder Betrieb ein Familienunternehmen”, sagt De Battista.

Seine Familie hat es ihm leicht gemacht. Die De Battistas besitzen Land, sind Miteigentümer der Liftgesellschaft, betreiben seit Generationen ein Hotel im Tal und konnten die millionenschwere Investition ihres jüngsten Sprösslings unterstützen. Die Lage der Hütte ist ideal. Jede Stunde spuckt ihm der Sessellift von Arabba mehr als 2000 Skifahrer und potenzielle Gäste vor die Terrasse. Angeschlossen an den Liftverbund von Dolomiti Superski können Skifahrer von hier aus in alle Himmelsrichtungen aufbrechen und auch die Panoramapisten auf dem Gletscher der Marmolada erreichen. Die Gebirgsjägerrunde, eine sechsstündige Skitour auf den Kriegspfaden des Ersten Weltkriegs, die entlang der Fronten, Stollen und Gefechtsstände die Erinnerung wachhalten soll, kommt direkt am Haus vorbei.

Der junge Chef der Burz schaut mit großem Optimismus in die Zukunft. In diesem schneereichen Winter 2014 stehen nur die Schneekanonen arbeitslos herum. Der echte Winter triumphiert über die Notlösungen der Technik, die sonst mit Beginn der ersten kalten Winternächte Schnee herstellen. „Im November sind wir alle in der Kirche und beten, dass Schnee kommt“, sagt De Battista. Tradition wird in den Dolomiten noch großgeschrieben. Nicht nur bei der Polenta, die man den Gästen auf der Hütte nach hundert Jahre altem Rezept serviert.

Uta Linnert

 

Tipps für den Dolomiten-Urlaub

Skifahren: Arabba ist Startpunkt für die Skitour Sella Ronda, welche die vier Dolomitenpässe verbindet: Campolongo, Gardena, Sella und Pordoi. Unter Kennern wird besonders das Skigebiet Portavescovo geschätzt, der 2600 Meter hohe Hausberg Arabbas, von dem aus man die Gletscherpisten der Marmolada problemlos erreichen kann. Der Pistenverbund der Superlative macht alles mit einem Skipass möglich.

Winter: Arabba ist einer der schneereichsten Orte der Dolomiten. Wer einmal entlang meterhoher Schneewände durch ein tief verschneites Dorf spazieren will, hat in Arabba die größten Chancen. Arabba liegt in der italienischen Provinz Belluno auf 1602 Metern Höhe.

Anreise: Der nahe liegendste Bahnhof befindet sich in Belluno. Von hier aus gibt es zahlreiche Verbindungen zu den Ortschaften mit dem lokalen Busunternehmen Dolomitibus. Oder mit dem Zug bis Bruneck und weiter über Corvara mit dem Bus.

Einkehrschwung: Rifugio Burz, 32020 Arabba, Tel.: 0039 (0)436 79399,E-Mail: info@burz.it

fairkehr 5/2023