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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Kolumne 6/2014

Foto: vennbahn.euUltimatives Glück: Radeln auf der ­Vennbahn durch Eifel und Ardennen

Extraterritoriale Radbahn und saures Brot

Im hohen Alter habe ich mir letztes Jahr zum ersten Mal recht gewagte Kleidungsstücke zugelegt: schwarze, erotische Nylonbeine, mit denen ich, wenn es kühl wird, meine eleganten Knie bedecke. Seit ich ins Rennradgeschäft eingestiegen bin, schrecke ich modemäßig sowieso vor nix zurück. Sexy eng anliegende Ein­­lagenhose mit Streifen dran, merkwürdige Handschuhe ohne Fingerkuppen, cool-idiotisch verspiegelte Brille und bunte, bauchbetonende Trikots mit Taschen auf dem Rücken sind des reifen Mannes Zier. Sage ich auf jeden Fall immer, wenn ich in voller Montur die Freunde der Teenager begrüße und diese sich heftig fremdschämen.

Nun habe ich dieses Jahr aber meine Strumpfbeine erst Mitte November zum ersten Mal getragen. Der Herbst 2014 war bei uns nämlich gülden. Und den ultimativen Radhöhepunkt erlebte ich im Hohen Venn. Und zwar nicht mit dem Renn-, sondern mit den Tourenrad. Radreisen sind bekanntlich bei Regen und Kälte die Hölle, bei Wärme und Sonnenschein dagegen das Elysium. Deshalb hilft eine optionale Tourplanung, die eben dann zuschlägt, wenn die warme Herbstsonne einen mit sonnenbeschienenem Laub umschmeichelt.

So ein Wochenende hatten wir erwischt und radelten von Kornelimünster auf der Vennbahn Richtung Eifel und Ardennen. Der Schlüssel zur Überzeugung meiner erst skeptischen Mitradler war die Ankündigung einer Zwei-Prozent-Hürde. Die Vennbahn ist eine stillgelegte Bahnstrecke von Aachen nach Luxemburg, die zwar ganz schöne Höhenmeter bis ins Hohe Venn zurücklegt, aber eben nie mehr als zwei Prozent Steigung. Das ist zwar nicht flach, fühlt sich aber nicht wirklich wie eine Steigung an. So macht Bergefahren auch für Nicht-Bergeliebhaber Spaß. Und die Blicke herab von den Brücken! Und die majestätische Erhabenheit des Bahndammes! Lang lebe die Euregio Rhein-Maas! Die ehemalige Bahnstrecke wurde nämlich als euregionales Projekt von deutschen, belgischen und Luxemburger Partnern zum 120 Kilometer langen Fiets-Paradies umgebaut.

Beim Aufstieg wechselten wir ständig das Land. Raeren liegt zwar nicht weit hinter Kornelimünster, aber eben schon wieder in Belgien. Danach kommt Roettgen, das wiederum in Deutschland liegt, und so gelangten wir nach Monschau an der h-losen Rur: Diese Rur hat mit dem Ruhrgebiet gar nix zu tun, sondern mündet im niederländischen Roermond in die Maas!

Radreisen entspannen nicht nur, sie erweitern vor allem auch den geografischen Horizont. Wer die Schluchten der Rur gesehen hat, der weiß, wie glücklich wir am nächsten Tag wieder auf unsere Zwei-Prozent-Vennbahn eingeschwenkt sind. Dann Kalterherberg. Schöner Name und eine Naturkulisse, die kein Süddeutscher mit den Buchstaben NRW verbinden würde. Dann Sourbrodt, noch schönerer Name, das liegt schon wieder in Wallonien, wo die Leute in der Regel französisch sprechen und saures Brot essen. Sourbrodt glänzt mit einem verlassenen Bahnhofsgelände auf dem Sergio Leone sehr gut einen Italowestern hätte drehen können. Da fahren sogar Draisinen um 12 Uhr mittags über die letzte verbliebene Schiene durchs Bild.

Zurück im Venn bei Waimes ging mir philosophisch ein Licht auf: Auf einem Bahnradweg fühlt sich der Radfahrer zum ersten Mal im Leben wie ein König. König und Königin der Landschaft. Fliegt über Brücken, über Straßen und Bäche hinweg. Genießt die Freiheit der Kreuzungslosigkeit. Das Wunder der Vorfahrt. Den Segen der topografischen Anpassung der Natur an die Waden. Eigentlich das, was Autofahrer auf der Autobahn quer durch Deutschland fühlen dürfen. Die bittere Ironie, sozusagen das saure Brot im Fall der Radbahn: Nur der Niedergang der Eisenbahn hat als touristisches Abfallprodukt den Bahnradweg geschaffen. In der Autobahngesellschaft sind dagegen Investitionen in wirklich neue Radbahnkilometer im Stil einer Eisenbahntrasse immer noch undenkbar. Womit wir wieder beim Effekt von Radtouren sind: Ganz entspannt stelle ich mir eine Verkehrspolitik vor, die ganz selbstverständlich Radbahnen als Großinvestition in den Bundesverkehrswegeplan einstellt. Bei Trois-Ponts, schöner Name, nahmen wir ­übrigens den Zug nach Liège, über Lüttich und Luik.

Martin Unfried

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