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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 5/2014

Hausaufgaben machen

Im fairkehr-Interview fordert der VCD-Bundesvorsitzende Michael Ziesak die Bundesregierung auf, ihrer Verantwortung für das Verkehrsangebot auf der Schiene endlich nachzukommen.

Foto: Lotte OstermannMichael Ziesak (45) ist seit 2002 Bundesvorsitzender des VCD. Er wohnt in Freising und Berlin. Seine vielen Fahrten zu Terminen, zu Veranstaltungen mit Politik, Wirtschaft und den Gremien des VCD macht der Bahncard100-Inhaber natürlich mit dem Zug.

fairkehr: Der VCD möchte mehr Verkehr auf die Schiene bringen. Geht das überhaupt? Sind die Züge nicht jetzt schon überfüllt?
Michael Ziesak: Wir brauchen mehr Verkehr auf der Schiene, weil alle Studien der Umweltverbände ganz klar zeigen: Allein mit Elektromobilität, mit Akku-Kraftstoffen und Verkehrsvermeidung ist die Verkehrswende nicht zu schaffen. Nur mit einer Verlagerung des Verkehrs auf die Schiene können wir die Klimaziele, die die Bundesregierung gesteckt hat, erreichen. Wir müssen die Schiene ausbauen und mehr Kapazitäten schaffen.

Geht der VCD auch von einem Verkehrswachstum aus?
Der demografische Wandel wird die Mobilität verändern. Die Menschen werden älter und nicht mehr nur zu den Berufspendlerzeiten morgens und abends unterwegs, sondern auch zu anderen Zeiten mobil sein. In einzelnen Bundesländern, in NRW, in Baden-Württemberg, in Bayern oder in den Ballungsräumen wird der Verkehr weiter zunehmen.

Wie stellen Sie sich den Ausbau der Schiene vor?
Wir brauchen beides, mehr Schienen und mehr Züge. Ärgerlich ist, dass in den letzten Jahren im Fernverkehr nicht investiert wurde bzw. viel zu spät damit angefangen wurde. Wir brauchen Kapazitätserweiterungen mit längeren, modernen neuen Zügen.

Müssen auch neue Schienenstrecken gebaut werden?
Unser Ansatz ist, durch einen Deutschlandtakt die Kapazitäten so zu erweitern, dass sich Personennahverkehr, Güterverkehr und Fernverkehr nicht gegenseitig behindern, wie es zurzeit der Fall ist. Das muss im Rahmen des neuen Bundesverkehrswegeplans, der derzeit erarbeitet wird, festgeschrieben sein.

Fahren auch in Zukunft alle Züge auf denselben Trassen?
Wir werden es uns wahrscheinlich nicht leisten können, ein eigenständiges Güterverkehrsnetz und daneben ein Hochgeschwindigkeitsnetz zu bauen und zu unterhalten. Es sind weniger die Strecken, die Probleme machen, es sind die Knoten. In Frankfurt, Köln, München oder Stuttgart bringen sie die Züge jetzt schon nicht mehr durch die hochbelasteten Ballungsgebiete. Kapazitätsengpässe gibt es auch bei der Anbindung der Seehäfen. In Hamburg, Bremerhaven und in den ARA-Häfen, das sind Amsterdam, Rotterdam und Antwerpen, landen riesige Mengen Güter an, die wegtransportiert werden müssen.

Heißt das, der Güterverkehr blockiert den Personenverkehr?
Klar, da gibt es Konkurrenz. Die Europäische Union pocht auf Vorrangtrassen. Das wird aber schwierig mit dem Taktsystem, das wir in Deutschland haben, gerade im Fernverkehr.

Welche Perspektiven sehen Sie? Im Nahverkehr fahren mittlerweile nicht mehr nur Züge der DB sondern auch die anderer Anbieter. Wäre Konkurrenz für den Fernverkehr eine Möglichkeit, mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen?
Um mehr Angebot zu bekommen, müsste nicht die Deutsche Bahn, sondern der Bund endlich seine Hausaufgaben machen. Im Grundgesetz, Artikel 87 e, Absatz 4, heißt es: Der Bund gewährleistet, dass für das Wohl der Allgemeinheit, insbesondere bei den Verkehrsbedürfnissen, nicht nur durch den Ausbau und Erhalt des Schienennetzes der Eisenbahn des Bundes, sondern auch für die Verkehrsangebote Sorge getragen wird.

Wenn der Bund die Verantwortung für den Fernverkehr hat, was fordern Sie?
Bund muss erklären, welchen Verkehr er will. Aber er sagt nichts.

Sollte der Bund für Konkurrenz sorgen?
Ich kann doch der Deutschen Bahn AG nicht vorwerfen, dass sie keinen Wettbewerb auf der Schiene will. Der Bund muss seinen Gestaltungsanspruch geltend machen und formulieren, was seine Anforderungen an das System Schiene sind.

Wie läuft es stattdessen?
Die DB als einzelnes Unternehmen entscheidet, wo ein Zug fährt und wo nicht. Sie entscheidet, welche Strecken interessant, das heißt rentabel, sind, wo es sich lohnt, einen ICE einzusetzen oder lieber einen alten Intercity fahren zu lassen, und wo diese halten. Ob es noch Nachtzüge gibt, welcher Takt geboten wird, wie die Preise sind. Über den gesamten Fernverkehr entscheidet ein einziges Unternehmen, nämlich die DB. Der Fernverkehr soll eigenwirtschaftlich laufen. Da lässt die DB doch auf ihren Premiumstrecken keinen Konkurrenten zum Zuge kommen.

Wie hält sie die Konkurrenten fern?
Die DB AG ist ein Konzern, der auch über die Infrastruktur verfügt. Eine internationale Bahngesellschaft müsste zunächst einmal über die passende Technik verfügen und die Zulassung beantragen. Das dauert schon mal Jahre. Und dann müsste dieses Unternehmen auch Slots, das heißt Fahrplantrassen, auf interessanten Strecken zu guten Zeiten bekommen. Das konnte der DB-Konzern bisher erfolgreich verhindern.

Läuft es im Nahverkehr besser?
Ja! Der Nahverkehr der letzten zwanzig Jahre schreibt Erfolgsgeschichte. Seit der Bahnreform erhalten die Länder Geld vom Bund und können die Schienenstrecken ausschreiben, die interessantesten Unternehmen aus den Bewerbungen auswählen und damit bezahlen. Nahverkehr ist normalerweise nicht wirtschaftlich, deshalb schreiben die Länder die Bedingungen, die erfüllt werden müssen, gleich in die Ausschreibung mit rein. Das läuft mal gut, mal nicht so gut, ist aber zumeist ein Erfolg für die Kunden.

Noch mal zurück zum Fernverkehr. Die Milliarden für die Infrastruktur und die Neubaustrecken kommen vom Bund ohne jegliches Interresse, ob sie benutzt wird?
Es gibt eine Strecke, die ich immer bringe: Das ist der Anschluss Wiesbadens an die Schnellbahntrasse Frankfurt–Köln. Sie ist 14 Kilometer lang, zweigleisig und hat 270 Millionen Euro gekostet. Auf dieser Neubaustrecke fahren zwei Zugpaare am Tag, am Wochenende gar kein Zug. Der Bund gibt also mehr als eine Viertelmilliarde Euro aus und weiß nicht, ob da anschließend überhaupt ein Zug drüberfährt.

Das heißt, im Fernverkehr hat die Bahnreform versagt?
Man hat ein Monopol privatisiert, ohne dafür zu sorgen, dass eine entsprechende Dienstleistung da ist. Als der Bund die Post privatisiert hat, hat die Politik festgeschrieben: Ihr habt dafür zu sorgen, dass es im letzten Kaff einen Telefonanschluss gibt und der Briefträger jeden Tag vorbeikommt. Diese Standards sind festgeschrieben worden, weil sie dem Allgemeinwohl dienen. Ich wiederhole deshalb meine Forderung: Der Bund muss endlich seine Hausaufgaben machen und Grundstandards festschreiben, wie der Fernverkehr zukünftig in Deutschland auszusehen hat.

Interview: Uta Linnert

fairkehr 5/2023