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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 4/2014

EU streicht Bodenschutz

Als Maßnahme zum Bürokratieabbau streicht die EU ihr geplantes Gesetz zum Bodenschutz – Umweltverbände schlagen Alarm.

Foto: Volker LannertJeden Tag werden in der EU große Ackerflächen, Wiesen, Weiden und Wälder versiegelt, das heißt mit Beton oder Asphalt bedeckt.

Wer sich in den letzten Jahren über die Langsamkeit der Brüsseler Gesetzgebung lustig machen wollte, landete mit Sicherheit beim Thema Bodenschutz. Schon 2006 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine Richtlinie vor, weil klar war, dass die wertvolle oberste Bodenschicht gefährdet ist und geschützt werden muss. Doch immer wieder verhinderte eine Gruppe von EU-Staaten, darunter auch Deutschland, einen Beschluss. Gemeinsam mit zahlreichen anderen Gesetzesvorhaben zog die EU den Vorschlag nun zurück – angeblich um unnötige Bürokratie zu vermeiden. Was bedeutet das für den Bodenschutz? Ist der wirklich besser in den Parlamenten von Madrid, Bukarest oder Berlin aufgehoben, oder würde eine europaweite Regelung Vorteile für alle bringen?

Weltweit gehen pro Jahr 20 Milliarden Tonnen Boden verloren. Nach EU-Angaben werden in den Städten der Mitgliedsstaaten jedes Jahr etwa 500 Quadratkilometer Land versiegelt. Das sind Wiesen, Weiden, Äcker oder Wald, die mit Asphalt oder Beton bedeckt werden – eine Fläche halb so groß wie die Berlins. Rechnet man Siedlungs-, Verkehrs- und Gewerbeflächen außerhalb der Städte dazu, sind es sogar bis zu 1000 Quadratkilometer Land pro Jahr, die für Pflanzen und Tiere verloren gehen und auf dem kein Regen mehr versickern kann. Weil auch beim Verlegen von Kanälen und Leitungen üblicherweise die oberste Bodenschicht – der sogenannte Mutterboden – entfernt wird, haben solche Baumaßnahmen ebenfalls Bodenverlust zur Folge. Mutterboden ist Lebensraum für viele Organismen und wichtig für die Trinkwasserversorgung und die Landwirtschaft.

Bauboom und Erosion

In Deutschland gehen allein durch den Bau von Häusern und Straßen täglich rund 74 Hektar fruchtbarer Boden verloren – die Fläche von 100 Fußballplätzen. Und das, obwohl hierzulande ein Bundes-Bodenschutzgesetz und ein Baugesetzbuch ausgehobenen Mutterboden vor Vernichtung oder Vergeudung schützen sollte. In zwei Dritteln der EU-Mitgliedsstaaten fehlen ähnliche Vorschriften gänzlich oder sind unzureichend. „Zusätzlich zum Bauboom kommt in den mediterranen Ländern Bodenverlust durch Wasser- und Winderosion dazu“, sagt Bjela Vossen, Leiterin des EU-Koordinationsbüros des Deutschen Naturschutzrings. Unter den Mittelmeerstaaten hat bisher nur Frankreich Vorschriften zum Bodenschutz erlassen. Eine Rahmenrichtlinie, so, wie sie von der EU geplant war, würde kein Land zwingen, bestehende Schutzniveaus aufzugeben. Europäische Regeln würden erst dann greifen, wenn einzelne Staaten selbst keine ausreichenden Standards vorschreiben.

Foto: Volker LannertHier wächst nur noch Begleitgrün: Flächenverbrauch, Versiegelung und Zerschneidung sieht man am besten von oben.

Europa unternimmt dennoch etwas zum Schutz der Böden: Mit dem Europäischen Programm zur Erdbeobachtung, „Copernicus“ erstellt die Europäische Umweltagentur (EUA), eine EU-Behörde mit Sitz in Kopenhagen, Karten zur Landnutzung auf Basis von Satellitendaten. Eine Karte dokumentiert die Bodenversiegelung. Sie wird ab Anfang 2015 zur Verfügung stehen und Informationen aus dem Zeitraum 2006 bis 2012 verwerten. „Damit ist man nicht nur auf Daten angewiesen, die die Staaten selbst liefern, sondern hat einen einheitlichen und vergleichbaren Datensatz für ganz Europa zur Verfügung“, sagt Tobias Langanke, Projektmanager bei der EUA. „Wir wissen zwar, dass Deutschland, Österreich oder Großbritannien schon jetzt viele Maßnahmen zum Bodenschutz umsetzen“, erklärt der Europaexperte, „aber durch Copernicus wird das Ganze objektiv nachvollziehbar.“

Bodenschutz geht alle an

Warum wehrt sich Deutschland hartnäckig gegen eine bindende gesetzliche Regelung zum Bodenschutz? „Im Gegensatz zu Luft und Wasser überquert Boden keine Grenze“, sagt Peter Liese, der für die CDU Mitglied im Europäischen Parlament ist. Und deshalb brauche es konsequenterweise auch keine europäische Regelung, argumentiert der Umweltpolitiker. Die Richtlinie brächte umfassende Berichts- und Dokumentationspflichten für alle EU-Staaten mit sich. Das zöge nach Ansicht Lieses „unverhältnismäßigen Aufwand für Deutschland“ nach sich. Damit sei sie das falsche Instrument.

So wie Liese pochen viele Gegner des EU-Bodenschutzes auf das sogenannte Subsidiaritätsprinzip. Dieser Grundsatz besagt, dass jeweils auf jener Ebene gehandelt werden solle, die für eine Problemlösung die geeignete ist – also möglichst nahe bei jenen Menschen, die direkt betroffen sind. So formulierte es auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bei der Rücknahme des Gesetzesvorschlags: Die EU wolle sich in großen Fragen engagieren und in kleineren, lokalen Fragen wieder zurückhalten.

Ist der Bodenschutz also ein Beispiel dafür, dass sich die EU zu sehr ins Alltagsleben der Franzosen, Bulgaren, Letten oder Deutschen einmischen will – wie bei den von EU-Skeptikern beschworenen Regelungen zur Abschaffung der Glühbirne oder zur Zahl der Düsen von Duschköpfen? Diese Meinung vertreten längst nicht alle: „Aus unserer Sicht ist das eindeutig eine falsche Entscheidung“, sagt Pieter de Pous vom Europäischen Umweltbüro (EEB) im Interview mit dem Deutschlandfunk. Gerade in komplexen Themen wie dem Bodenschutz müssten auch Details geregelt werden. Bodennutzung und Bewahrung der Ökosysteme sei ein weltumspannendes Thema und sollte daher ein europapolitisch relevantes Anliegen sein. Das EEB vertritt als Dachverband 140 Umweltorganisationen aus ganz Europa, darunter auch „Transport & Environment, T&E“. Zu den Mitgliedern dieser Organisation, die sich auf EU-Ebene für umweltschonende Mobilität einsetzen, zählt auch der VCD.

Wie wichtig es für Deutschland ist, dass andere EU-Staaten beim Bodenschutz mitziehen, zeigt die Praxis der Ausweisung von Gewerbegebieten. Hier kann Kleinstaaterei zu erkennbaren Wettbewerbsverzerrungen führen. Wenn etwa Unternehmen, die sich in Deutschland ansiedeln wollen, wegen strenger Bodenschutzvorschriften keine günstigen Grundstücke finden, können sie heute ungehindert in Nachbarstaaten mit lascheren Gesetzen ausweichen – und dort Schaden anrichten. Dem könnte Europa durch einheitliche Standards einen Riegel vorschieben.

Verkehr zerstört Böden für immer

Um nur zwei Zentimeter fruchtbaren Boden nach einer Versiegelung wiederherzustellen, braucht es bis zu 500 Jahre. Ist Mutterboden einmal zerstört, kann man ihn in derselben hohen Qualität kaum wieder zurückgewinnen. Es lohnt sich also, präventiv für den Bodenschutz tätig zu werden. Das Potsdamer „Institute for Advanced Sustainability Studies“ (IASS) schlägt vor, dass Kommunen stärker darauf achten sollten, nur Böden niederer Qualität zu bebauen, nicht aber ökologisch wertvolle Wiesen und Wälder. Und sie sollen Bauunternehmen davon abhalten, schwere Maschinen oder Material auf gutem Land neben Baustellen zu parken. Vor allem aber fordern die Potsdamer Forscher rechtsverbindliche Vorschriften gegen das fortlaufende Versiegeln der Böden.

Der Mobilitätssektor spielt beim Flächenverbrauch eine große Rolle. Die Verkehrsflächen in Deutschland sind in den Jahren von 1992 bis 2012 um knapp zehn Prozent gewachsen. Ihr Anteil an der gesamten Fläche ist in dieser Zeit von 4,6 auf etwas über 5 Prozent gestiegen. „Das mag auf den ersten Blick wenig erscheinen“, sagt Oscar Reutter, Verkehrsexperte beim Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie. „Neben den reinen Arealen für Straßen, Flughäfen oder Bahnlinien zieht der Verkehr aber immer auch Anliegerflächen in Mitleidenschaft. Durch Lärm, Verschmutzung oder einfach nur optisch.“ So mancher Zusammenhang zwischen Verkehr und Versiegelung von Böden wird erst auf den zweiten Blick verständlich. „Wenn auf einem Autobahnabschnitt in Zukunft statt unbegrenzter Geschwindigkeit nur noch Tempo 100 zugelassen wäre, so würde eine schmalere Trasse ausreichen“, erklärt Reutter. Doch es gibt ein noch viel grundsätzlicheres Problem: Deutschlands Straßennetz ist eines der dichtesten der Welt, und es soll nach Plänen des Verkehrsministers noch weiter ausgebaut werden.

Das deutsche Umweltbundesamt steu­ert dagegen. Im Frühjahr hat die Des­sauer Bundesbehörde einen Forschungsauftrag ausgeschrieben. Gesucht werden Möglichkeiten einer „flächensparenden Straßennetzgestaltung“ im Lichte von Umweltzielen der Bundesregierung. Das Land NRW geht mit gutem Beispiel voran. Als erstes Bundesland wollen die Landespolitiker die Abnahme des Flächenverbrauches von derzeit zehn auf fünf Hektar pro Tag bis zum Jahr 2020 als verbindliches Ziel der Raumordnung in ihrem Landesentwicklungsplan verankern – mit konkreten Vorgaben für Regionen und Kommunen. Denn wird durch Bodenschutz vorab darauf geachtet, dass nicht zu viele Straßen gebaut werden, müssen später keine teuren Maßnahmen zum Rückbau eingeleitet werden.

Auch wenn sie erst einmal auf Eis liegen – die europäischen Gesetzespläne sind nicht endgültig vom Tisch. „Bodenschutz ist im Umweltaktionsprogramm der EU verankert – und daher muss die EU-Kommission irgendwann einen Vorschlag vorlegen“ sagt Bjela Vossen vom Deutschen Naturschutzring. „Diese Richtlinie darf nicht einer vermeintlichen Entbürokratisierung zum Opfer fallen! Wir brauchen europaweit einheitliche Standards, damit der Bodenschutz in allen Mitgliedsstaaten gleichermaßen ernst genommen wird.“

Robert Sedlak

fairkehr 5/2023