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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Reise 3/2014

Überall und irgendwo

Geocaches machen Ausflüge und Wanderungen zu einer großen Schatzsuche und verwandeln scheinbar unspektakuläre Orte in Abenteuerspielplätze für Kinder und Erwachsene.

Fotos: Markus CousinMit dem GPS-Gerät am Lenker lassen sich spezielle Fahrrad-Caches gut meistern. Wer den Koordinaten folgt, findet früher oder später den Schatz – meist gut getarnte Plastikdosen, in denen sich ein Logbuch befindet. Manchmal kleben Hinweise oder kleinere Dosen auch an Schildern, Statuen oder auf Vogelhäuschen.

Es raschelt im Dickicht. Dann hören wir ein Schnauben. „Wildschweine“, haucht Sophie, die Tochter meiner Freundin, in die Nacht. Für einen Moment erstarren alle und lauschen. Es knackt noch ein paarmal im Gebüsch, mehr passiert nicht. „Was macht man eigentlich, wenn einem Wildschweine entgegenkommen?“, fragt ihr kleiner Bruder Mika, der im Bollerwagen liegt und schon fast eingeschlafen war.

Kurz nach Sonnenuntergang sind wir – vier Erwachsene und zwei Kinder – mit Taschenlampen und GPS-Gerät zum Geocachen in den Wald gezogen. Wir suchen keine wilden Tiere, sondern einen versteckten Schatz. Beim Geocaching sind das Dosen – von winzigen Metallhülsen bis zu großen Plastikeimern – die jemand gut versteckt und getarnt hat. Über Koordinaten können andere dann per GPS das Versteck orten.

Geocaching ist die moderne Schatzsuche. Egal, wo der Begriff fällt, es findet sich immer jemand, der sagt: „Ach, das habe ich auch schon ausprobiert.“ Darunter sind Familien, die ihren Kindern das Wandern versüßen oder Kindergeburtstage organisieren; Abenteurer, die verlassene Orte, „Lost Places“, wie zum Beispiel verwaiste Höfe oder verfallene Lagerhallen, erkunden; Rätselfans, die vor allem verzwickte Aufgaben schätzen, oder Jäger und Sammler, die einfach nur möglichst viele Dosen finden und sich in dem darinliegenden Logbuch verewigen wollen.

Foto: Markus CousinDer riesige Bleistift ist auh ein Geocache. Innen hohl, enthält er eine Papierrolle – das Logbuch. Es lässt sich nur in Gruppenarbeit ausrollen. Wo der Cache versteckt war, verraten wir nicht.

Heute Nacht wollen wir uns auch in ein Logbuch eintragen. Aber vorher müssen wir verschiedene Aufgaben und Rätsel im dunklen Wald lösen. Der Nacht-Cache „Das Rätsel um Prof. Moriarty“ beginnt nur wenige Hundert Meter hinter dem Haus der Freunde. Es ist ein sogenannter Multi-Cache, der aus einer Reihe von Stationen besteht, von der jede die Koordinaten für die nächste liefert, verpackt in ein Rätsel. Am Ende findet man dann den „Schatz“ mit Logbuch und Kleinkram zum Tauschen. Das Besondere an Nacht-Caches ist, dass sie nur in der Dunkelheit funktionieren.
Die erste kleine Dose finden wir bei den Startkoordinaten N50°40,106’, E007°03987 am Fuße eines Baumes. Die Station heißt „Bakerstreet 221b“. Sherlock Holmes hat uns einen Brief hinterlassen mit den Koordinaten der nächsten Station und einem merkwürdig verrenkten Strichmännchen. Was will uns das sagen? Ob wir das abzeichnen sollen? Wir beschließen: Ja.

„Nachts sieht alles so anders aus“, sagt Britta und wundert sich darüber, dass sie sich schon nach wenigen Abzweigungen in „ihrem Wald“ nicht mehr richtig auskennt. Ihre Kinder leuchten mit ihren Taschenlampen die Bäume ab – in regelmäßigen Abständen blitzen kleine Reflektoren auf und zeigen, dass wir noch auf dem richtigen Weg sind.

Heimat neu entdeckt

Es braucht nicht viel Ausrüstung, um beim Geocaching mitzumachen: ein GPS-Gerät oder Smartphone mit entsprechender App und einen Blick auf eine spezielle Karte im Internet. Taschenlampe, Zettel und Stift sollten immer griffbereit dabei sein. Einmalhandschuhe oder Feuchttücher gegen schmutzige Finger haben sich als hilfreich erwiesen. Und natürlich Proviant für längere Touren.

Foto: Valeska ZeppManchmal muss man beim Geocaching auf einen Baum klettern, um an die Dose mit dem Logbuch zu gelangen. Aber jeder Cache steht gut beschrieben in der Internetdatenbank, so dass klar ist, ob der „Schatz“ leicht zu erreichen ist oder sportlichen Einsatz fordert.

Die bekannteste Plattform mit Karten und Koordinaten heißt Geocaching.com. In deren Datenbank sind knapp zweieinhalb Millionen Caches verzeichnet, verteilt über die ganze Welt. Die meisten Dosen, fast 900000, liegen in den USA, gefolgt von Deutschland mit 275000. Sechs Millionen Nutzer sind insgesamt registriert. Einige Caches sind nur mit Premiumzugang sichtbar. Dieser kostet 30 Euro pro Jahr. Das Geld trägt zum Erhalt der Plattform bei und die Nutzer bekommen im Gegenzug unbegrenzten Zugang zu allen Informationen. Komplett kostenlos, aber auf Deutschland begrenzt ist die Plattform Opencaching.de. Registrieren muss man sich in jedem Fall.

„Sind wir hier noch richtig?“, frage ich in die Runde. Wir haben den Bollerwagen auf dem Weg zurückgelassen und uns querfeldein Richtung Koordinatenpunkt durchgeschlagen. Das Unterholz wird immer dichter. Wir befinden uns in einem Naturschutzgebiet, und ich glaube, dass die Route so nicht vorgesehen ist. Beim Geocaching achtet man eigentlich Naturschutz und kann sich auf die Bewertung des Terrains verlassen. Wir stärken uns mit Schokolade und schauen uns die Karte auf dem GPS-Gerät noch mal genau an. Britta entdeckt einen kleinen Weg, der auch zum blinkenden Punkt, der nächsten Station, führt. Also zurück zum Bollerwagen.

Geocaching eignet sich gleichermaßen, um seine Heimat neu zu entdecken oder andere Städte und Regionen zu erkunden. Die Cacher sind unglaublich kreativ und legen interessante Routen durch Stadtviertel oder gestalten liebevolle Spaziergänge durch Parks und Wälder – ganz ohne kommerzielle Hintergedanken. Menschen, die sich Caches ausdenken, heißen „Owner“. Sie tragen im Internet die Startkoordinaten, die Größe der Dose, den Schwierigkeitsgrad und die Geländebeschaffenheit ein. Ein Stern beim Terrain bedeutet zum Beispiel: kinderwagen- oder rollstuhltauglich, bei fünf Sternen braucht man Spezialausrüstung wie Kletterzeug oder ein Boot.

Foto: Markus CousinZettel, Stift und GPS sind immer dabei. Manchmal braucht man auch Spezialausrüstung wie Magnet oder UV-Lampe.

Spannende Orte

Unser GPS-Gerät piepst. Dabei haben wir gerade erst eine Station verlassen. Mitten in einem Baum hing ein Gerät, das – sobald mit einer Taschenlampe angeleuchtet – munter drauflos blinkte. Gemeinsam konnten wir den Code knacken. Die nächste Station soll aber erst in ein paar Hundert Metern kommen. Warum piepst also das Gerät? „Ich habe noch nach Tradis gesucht“, sagt der GPS-Bediener. „Tradis“ heißen Caches, bei denen nur eine Dose an festgelegten Koordinaten versteckt ist – ohne Rätselraten und Schnitzeljagd. Das Piepsen verrät, dass einer in der Nähe sein muss. Die Kinder laufen um die Bäume und drehen Steine um. „Gefunden!“, ruft Mika und schiebt ein großes Stück Rinde weg. Wir heben die Dose aus ihrem Versteck, öffnen sie und tragen uns ins Logbuch ein. Es wird der einzige Eintrag für heute bleiben.
Auch die Tourismusbranche hat das Geocaching für sich entdeckt. Einige Regionen bieten Routen rund um Sehenswürdigkeiten an. Das polarisiert in der Geocaching-Gemeinde. Die einen sehen den Reiz des Geheimen gefährdet und fürchten, dass Tür und Tor für eine kommerzielle Nutzung geöffnet wird. Andere sagen, dass es ihnen egal sei, wer die Caches legt, Hauptsache, sie seien gut gemacht.

Am spannendsten ist das Koordinaten-Spiel ohnehin, wenn es einen an Orte bringt, die ein normaler Tourist nie zu Gesicht bekäme. Wie im Allgäu der „Bieberbau“ – Spaziergänger laufen vermutlich einfach daran vorbei und verpassen die spektakuläre Aussicht auf dicke Äste und Bäume, die haushoch wie Mikado­­stäbe über einen Seitenarm der Iller getürmt liegen. Naturschützer haben hier vor Jahren Bieber wiederangesiedelt. Oder in der Eifel, wo der Multicache „Suppenträger“ zu verlassenen Steinbrüchen und verrosteten Kränen führt, ehemalige Arbeitsstätten, die die Natur in den vergangenen Jahrzehnten weitgehend überwuchert hat. Oder die „Gnomhöhle“: Die Koordinaten führen zu einem Spalt in einem Steilhang mitten im Wald. Wer sich traut, rutscht durch das schmale Loch in eine überraschend geräumige Basalthöhle. Besonders gelungene Geocaches findet man über die Anzahl der Favoritenpunkte. Jeder Premiumnutzer von geocaching.com bekommt für zehn gefundene Caches einen Favoritenpunkt, den er an einen Lieblingscache vergeben kann. So können Punkte nicht inflationär verteilt werden.

Wir sind uns schon nach der Hälfte der Stationen einig, dass „Das Rätsel des Prof. Moriarty“ von uns einen Punkt bekommt: blinkende Bäume, clevere Münzverstecke, eine sprechende Pfeife, fluoreszierende Zeichen und eine gute Geschichte, die uns sogar ein bisschen schauern lässt – besser kann eine Nachtwanderung gar nicht sein.
Nur die Wildschweine verhageln uns das gute Gefühl. Nach dem Schnauben, sind plötzlich alle Geräusche unheimlich. Sogar der Ruf des Käuzchens, den wir eben noch so schön fanden. Da keiner so richtig weiß, wie man sich gegenüber einer zornigen Wildschweinmami verhält, beschließen wir, abzubrechen und an einem Abend weiterzusuchen, wenn die Frischlingssaison vorbei ist. Wie gut, dass der Nacht-Cache direkt vor der Haustür liegt.    

Valeska Zepp

Wie funktioniert Geocaching?

zur Anleitung, zu den GeocacherInnen

fairkehr 5/2023