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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 2/2014

Die Aufsteiger

Auch wenn es vielleicht noch niemand gemerkt hat: Seit mehr als einem Jahr hat Deutschland einen neuen Nationalen Radverkehrsplan.

Foto: AGFK-BW/Volker Lannert80 Prozent der Deutschen besitzen ein Fahrrad. Jetzt müssen sie es nur noch

Die Deutschen steigen auf: Immer mehr fahren mit dem Rad zum Einkaufen oder zur Arbeit. Wer schnell vorankommen will, kann aber schon mal schlechte Laune bekommen: Radfahrer werden geschnitten, ausgebremst, verhupt. Die Bundesregierung verspricht, den Radverkehr fördern zu wollen. Ohne Geld geht das allerdings nicht. Was ist von CSU-Verkehrsminister Alexander Dobrindt zu erwarten?
Der Anfang hat Glamour. Das Bundesverkehrsministerium verleiht den „Deutschen Fahrradpreis“. Unter den Gewinnern: die Stadt Hamburg. Sie wird für den Loop, plattdeutsch für Lauf oder Bewegung, auf der Elbinsel Wilhelmsburg ­geehrt. Gute fünf Meter breit, 6,4 Kilometer lang, ganz ohne Hubbel und beleuchtet – die imposante Strecke verbindet zentrale Wohngebiete auf der Elbinsel mit S-Bahn-Stationen. Radfahrer, Inline­skater oder Fußgänger werden an einer Kreuzung, an der Hermann-Westphal-Straße, gegenüber dem Autoverkehr so­gar bevorzugt.

Das war Mitte Februar. Der neue Verkehrsminister Alexander Dobrindt – als CSU-Generalsekretär einst für manche Grobheiten bekannt – ist da erst wenige Wochen im Amt. Er kommt nicht selbst zur Verleihung, sondern schickt einen Staatssekretär. Es ist eine übliche Arbeitsteilung zwischen Ministern und ihren Kollegen. Sie sagt nicht viel. Aber was ist von Dobrindt zu erwarten?
Wird der Nachfolger von Peter Ram­sauer, der von sich reden machte, weil er Kampf-Radler erziehen wollte, den Radverkehr in die Gänge bringen? Dobrindt hat der Öffentlichkeit bisher die Pkw-Maut versprochen, er hat Kontrolleure auf Bahngleise geschickt und die Finanzierung für eine neue Schleusenkammer für den Nord-Ostsee-Kanal in Brunsbüttel zugesichert. Radfahren?

In seinem Ministerium ist das Referat „UI 31. Personenverkehr, öffentliche Verkehrssysteme, Radverkehr“ zuständig. Das Ministerium hat gut 1100 Mitarbeiter, das Referat UI 31 ist kleiner als das für die Elektromobilität zum Beispiel, es hat keine zehn Leute. Ein Sprecher Dobrindts erklärt, das Ungleichgewicht zu Straßen- Wasser- und Schienenbauern habe nichts zu sagen. Auch sie „kümmern sich um den Radwegebau“.

Foto: AGFK-BW/Volker LannertBekenntnisse für mehr Fahrradverkehr gibt es, Geld für mehr Radwege ist leider zu wenig da.

Mehr Menschen fahren Rad

Radfahren kann die Laune verderben, vor allem wenn jemand schnell vorankommen möchte. Mal biegt ein Autofahrer wild ums Eck. Mal ist der zwischen Bordsteinkante und Gebüsch geklemmte Weg zugeparkt. Weggehupt. Vergessen. Ausgebremst. Die Verkehrsplaner drängen das Rad an den Straßenrand, Bundespolitiker posieren vielleicht mal mit einem modernen E-Bike. Aber eine große Lobby hat das Rad im Land mit 43 Millionen Autos nicht.

Zeitgemäß ist die kompromisslose Autogerechtigkeit nicht. Bastian Chlond ist Verkehrswissenschaftler am Karlsruher Institut für Technologie. Er betreut federführend das Mobiliätspanel, bei dem seit zwanzig Jahren regelmäßig Bürger über eine Woche befragt werden, wie sie von A nach B kommen. Ende Fe-bruar ist die neueste Erhebung veröffentlicht worden. Chlond sagt: „Der Trend ist offensichtlich: Betrachtet man die letzte Dekade, fahren immer mehr Leute Rad.“ 35 Prozent der Befragten der aktuellen Studie haben innerhalb einer Woche das Rad genutzt, gegenüber nur 30 Prozent vor gut zehn Jahren. Und zwar nicht nur zum Spaß in der Freizeit.

Mittlerweile steigen die Bürger auch öfter aufs Rad, um etwa zur Arbeit zu fahren. „Und Radfahren“, so meint Chlond, „steckt an.“ Wer seinen Nachbarn strampeln sehe, tue es ihm womöglich nach. 80 Prozent der Deutschen haben ein Rad. Eine fahrradfreundlichere Verkehrspolitik könne dafür sorgen, „dass das offensichtlich vorhandene Potenzial weiter ausgeschöpft werde“, so Chlond. Wie groß dieses Potenzial sei, zeigten zum Beispiel die Niederlande, die strukturell Deutschland eigentlich ähnlich seien.

Von der Selbstverständlichkeit, mit der Radfahrer in den Niederlanden unterwegs sind, ist die Bundesrepublik tatsächlich weit entfernt. Wer ausrechnet, wie viel Strecke hierzulande tatsächlich mit dem Rad zurückgelegt wird, kommt auf dem Lande auf etwa acht Prozent, in den Städten auf etwa elf. Damit das Auto häufiger stehen bleibt, müsste einiges passieren. Metropolen wie London entwerfen derzeit Bike-Highways. Doch geht es nicht um spektakuläre Infrastrukturprojekte, sondern um mehr Platz fürs Rad. Stellplätze an Bahnhöfen, gut ausgebaute Wege, Radmitnahme in jeder Bahn, aber auch Ampeln, die auf Radgeschwindigkeit getaktet sind – das alles brächte schon Bewegung.

Ein Drittel Radverkehr möglich

Zieht Bundesverkehrsminister Dobrindt die richtige Schublade in seinem Ministerium auf, wird er den Nationalen Radverkehrsplan 2020 finden, ein 84 Seiten umfassendes Dokument, in dem Trends, Ziele, Handlungsmöglichkeiten aufgelistet sind. Im Jahr 2012 hatte ihn die damals schwarz-gelbe Regierung beschlossen. Wichtigste Aussage: Ein Anteil des Radverkehrs, so steht darin, von
15 Prozent an den insgesamt zurückgelegten Wegen sei möglich.

In ihrem Koalitionsvertrag schreibt die neue schwarz-rote Regierung: „Ausgerichtet an den Zielen des Nationalen Radverkehrsplans 2020 werden wir den breiten gesellschaftlichen Dialog über neue Wege und Umsetzungsstrategien zur Radverkehrsförderung intensivieren.“ Radwege an Bundesstraßen sollen „weiter“ ausgebaut, „zukunftsweisende Projekte an der Schnittstelle ÖPNV/ Car­sharing/Fahrrad“ sollen „weiter“ gefördert und die Regierung will „darauf hinwirken, dass deutlich mehr Fahrradfahrer Helm tragen.“ Dobrindts Aufgabenliste bietet wenig Konkretes.

Seine Staatssekretärin Katherina Reiche hat vor kurzem elektronische Warnsysteme in Lastwagen gefordert, um Crashs mit Radfahrern beim Abbiegen zu vermeiden. Und Dobrindts Sprecher meint, immerhin seien allein für dieses Jahr 60 Millionen Euro für den Bau und Erhalt von Radwegen veranschlagt. Ramsauer hatte das Budget zugunsten anderer Verkehrswege gekürzt, im Jahr 2010 lag es noch bei hundert Millionen Euro. Dazu kämen drei Millionen Euro für nicht investive Projekte, etwa die Fahrradakademie mit Workshops und Seminaren zur Radförderung und der Fahrradklimatest, ein Ranking der fahrradfreundlichsten Städte, so der Sprecher. Und „grundsätzlich“ sei die Förderung des Rads sowieso Sache der Länder und Kommunen.

Klamme Kommunen

Die Kommunen sind aber zumeist klamm. Berlin gibt pro Einwohner und Jahr zwei bis drei, Karlsruhe fünf bis sechs Euro für den Radverkehr aus. Tilman Bracher, Radexperte beim Deutschen Institut für Urbanistik und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat des VCD, meint: „Die Kommunen brauchen mindestens zehn bis 20 Euro pro Kopf und Jahr.“ Zum Vergleich: Die Radler-Stadt Kopenhagen veranschlagt 20 bis 30 Euro.

Der Bundesminister könnte ein eigenes Förderprogramm auflegen, mit dem die Kommunen beim fahrradgerechten Umbau unterstützt werden. „Da sind uns relativ stark die Hände gebunden.“ Es sei schon ein „harter Kampf, angesichts allgemeiner Begehrlichkeiten die Investitionslinie zu halten“, sagt der Ministeriumssprecher. Heißt: Mehr Geld wird es nicht geben.

Radpolitik auf Bundesebene hat derzeit viel mit Show zu tun. Das Bundesverkehrsministerium hat erst vor wenigen Wochen noch einen Preis verliehen: an die Hamburger Michael Kellenbenz und Helen Schepers. Die Beiden haben die Firma Konzert-Kultour mit der „Fahrradgarderobe“ gegründet. Sie bieten Besuchern von Festivals und anderen Veranstaltungen an, ihr Rad abzugeben und sicher bewachen zu lassen.

Hanna Gersmann

fairkehr 5/2023