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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 2/2014

Fahrradkultur im Aufbau

Die baden-württembergische Landesregierung will den Südwesten zum Fahrradland machen – und hat einige Ideen.

Foto: AGFK-BW/Volker LannertHat die Signale gehört: Das Land Baden-Württemberg macht den Weg für mehr Radverkehr frei.

Man könnte den Zähler als Spielerei ansehen, doch natürlich steckt mehr dahinter – das Gerät ist Teil einer Werbekampagne für das Radfahren. Und so wird jedes Velo, das am Freiburger Hauptbahnhof über die „Blaue Brücke“ fährt, seit Frühjahr 2012 gezählt. Eine Anzeige dokumentiert die tägliche Anzahl der Radfahrten über die Brücke, die heute nur noch für Fahrrad- und Fußgängerverkehr freigegeben ist.

Das Gerät ist ein Geschenk des grünen Landesverkehrsministers Winfried Hermann an die Stadt Freiburg. Auch Karlsruhe und Offenburg bekamen vor zwei Jahren an jeweils einem markanten Ort einen solchen Fahrradzähler spendiert – als „ein sichtbares Zeichen, dass für uns jeder Radler zählt“, wie der Verkehrsminister damals formulierte. Zuvor hatte er die Auszeichnung „Fahrradfreundliche Stadt“ ausgelobt, und eben diese drei Städte hatten sie gewonnen. Eine „Vorradlerrolle“, sagte Hermann, die es zu würdigen gelte.

Seither dokumentieren die Zähler in harten Fakten, was man in den drei Städten immer wusste: Die badischen Radfahrer sind beileibe keine Sonntagsradler, sie nutzen das Velo vor allem an den Werktagen – als schnelles, unkompliziertes und kostengünstiges Verkehrsmittel auf dem Weg zu Arbeit und Ausbildung.
Dieser Trend, so will es die grün-rote Regierung, soll nun das ganze Land erfassen. Aber es gibt noch viel zu tun: „Das Negativbeispiel ist Pforzheim“, sagt Matthias Lieb, der Landesvorsitzende des VCD in Baden-Württemberg. Nur ein Prozent des Verkehrs entfalle in der nordbadischen Stadt auf das Fahrrad. Und auch die Landeshauptstadt dümpelt noch bei fünf Prozent, während Freiburg auf stolze 28 Prozent kommt.

Aber was kann nun eine Landesregierung, was kann ein grüner Verkehrsminister zur Förderung des Radverkehrs beitragen? „Das Land kann keine Radwege bauen“, sagt Lieb, „aber es kann Zuschüsse geben.“ Bauen müssen dann die Kommunen und die Landkreise – was sie nun auch tun. 15 Millionen Euro pro Jahr hat das Land als Zuschuss bereitgestellt, die Hälfte der Kosten tragen jeweils die Kommunen. Das Angebot schlug ein: „Wir hatten viermal so viele Anträge, wie der Etat hergibt“, sagt Christoph Erdmenger, der vor zehn Jahren Mitglied im Bundesvorstand des VCD war und heute die Abteilung Nachhaltige Mobilität im Verkehrsministerium leitet. Auch VCD-Mann Lieb lobt das Programm, weil es mit relativ wenig Geld viel bewege.

Konzepte für das Rad

Angestoßen durch die neue Förderpolitik entwickeln die Landkreise derzeit allesamt Radverkehrskonzepte. Das Land selbst bemüht sich zugleich um die überregionalen Wege: Unter dem Arbeitsnamen „Landesradverkehrsnetz“ sind Planungsbüros beauftragt, ein Netz von Radfernwegen zu planen. Am Ende sollen 4000 Kilometer Alltagsstrecken und nochmals 4000 Kilometer touristisch attraktive Routen verfügbar sein. 19 Radfernwege sollen auf diese Weise entstehen, über deren Verlauf bis Mitte 2015 entschieden sein soll. In der Fahrradhochburg Freiburg sollen zudem Radschnellverbindungen realisiert werden: eine entlang der Dreisam, eine entlang der Güterbahn und eine Nord-Süd-Verbindung.

Aber nicht allein der Bau von Radwegen, das weiß man im Ministerium, bringt das Velo voran. Zu einer guten Rad-Infrastruktur gehört auch eine gute Beschilderung; manchmal ist sie gar das Entscheidende. Denn an vielen Orten gibt es geeignete Wirtschaftswege, die ortsunkundige Radler allerdings häufig nicht finden. Immerhin haben einige Landkreise sich um die Beschilderungen in den letzten Jahren schon verdient gemacht: „In dieser Hinsicht ist schon viel passiert“, sagt Lieb.

Zudem hilft Öffentlichkeitsarbeit, denn es gilt, Gewohnheiten zu durchbrechen: „Die meisten Menschen nutzen das Verkehrsmittel, das sie immer nutzen, das Umsteigen fällt vielen schwer“, sagt Gudrun Zühlke, Landesvorsitzende des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs ADFC. Der Ausbau der Infrastruktur müsse also immer durch eine Marketingkampagne ergänzt werden.

Eine Einschätzung, die man im Ministerium teilt: „Alle Projekte müssen Hand in Hand gehen mit entsprechender Kommunikation.“ Daher gibt es begleitend die Kampagne „Radkultur Baden-Württemberg“: In Mannheim gehörte die Modenschau „Radcouture“ dazu, deren Models Fahrräder dabeihatten, in Heidelberg wurde ein Radfürstenpaar gekürt, andernorts fanden eine Sternfahrt, eine Radschnitzeljagd oder ein Rad-Kulturabend statt.

So sei in den letzten Jahren die Gesellschaft „fahrradfreundlicher geworden“, ist VCD-Mann Lieb überzeugt, im Land gebe es heute eine „positive Grundhaltung“ gegenüber dem Fahrrad. Unter dem Dach der Nahverkehrsgesellschaft hat die Landesregierung die Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen in Baden-Württemberg etabliert. Die meisten Städte sind dort inzwischen Mitglied: „Unter den Großstädten fehlen nur Pforzheim und Reutlingen“, heißt es im Ministerium.

Viele kleine Schritte für das Rad

Es bleiben weitere Baustellen. Eine ist die bessere Verknüpfung von Fahrrad und Bahn. „In den nächsten beiden Jahren werden in Baden-Württemberg zahlreiche Bahnstrecken neu ausgeschrieben“, sagt ADFC-Frau Zühlke, „wir streben eine kostenlose Fahrradmitnahme auf allen Strecken an.“ Allerdings dürfte das nicht überall und zu allen Tageszeiten realisierbar sein.

Auch sichere Abstellanlagen am Bahnhof fördern die Verknüpfung von Bahn und Bike. Daher wurde in Offenburg im letzten Sommer auf der Ostseite des Hauptbahnhofs ein neues Fahrradparkhaus errichtet. Diese erste vollautomatische Parkgarage bietet auf fünf Etagen 120 wetter- und diebstahlgeschützte Stellplätze, nachdem die vorhandenen Abstellanlagen schon lange nicht mehr ausreichen. Auch Stellplätze fördert das Land mit Zuschüssen, je nach Qualität gestaffelt.

Zudem will es im privaten Bausektor das Rad etablieren: Die Landesbauordnung soll so geändert werden, dass für jede Neubauwohnung künftig zwei Fahrradstellplätze obligatorisch sind – so, wie es Kfz-Stellplätze seit Jahrzehnten sind. Die Plätze müssen stufenlos zugängig und überdacht sein sowie eine sichere Befestigung der Räder ermöglichen.

Durch viele kleine Schritte also will das Land den Anteil des Radverkehrs am Gesamtverkehr von derzeit fünf Prozent auf 15 Prozent im Jahr 2025 steigern – zum Beispiel auch soll es weniger gemeinsame Geh- und Radwege geben, mehr eingefärbte Schutzstreifen und eine bessere Fahrradanbindung von Knotenpunkten, wie etwa Bahnhöfen. Auch an den Ampeln soll der Radverkehr stärker berücksichtigt werden.

Was aber bleibt von all dem, wenn sich die politische Couleur der Landesregierung eines Tages wieder ändert? „Die Entwicklung in Richtung Fahrrad wird niemand zurückdrehen wollen“, ist Gudrun Zühlke überzeugt. Denn eine Fahrradinfrastruktur baut man nicht mal eben zurück, erst recht keine Fahrradkultur. Zurückdrehen sei nicht das Thema, heißt es auch in der Landesverwaltung – aber jeder weiß hier, dass die Frage, wie schnell es weitergeht, natürlich auch von der Politik abhängt.
Unterdessen summiert der Fahrradzähler an der Blauen Brücke in Freiburg weiterhin unermüdlich die Zahl der Radler. Es sind gute Werte in diesen Wochen: Der Dezember 2013 lag um 22 Prozent über dem Vorjahresniveau, der Januar um 27 Prozent, der Februar gar um 48 Prozent. Zwar dürfte auch der milde Winter seinen Anteil daran haben, gleichwohl lassen die Zahlen keinen Zweifel daran, dass das Radfahren weiterhin an Popularität gewinnt.

Und vielleicht trägt auch der Zähler selbst seinen Teil dazu bei. Denn seit er installiert ist, berichtet auch die örtliche Presse gelegentlich über die Radlerzahlen – und schafft damit dem Radverkehr die erhoffte Öffentlichkeit.

Bernward Janzing

fairkehr 5/2023