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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Politik 2/2014

Spot an, TTIP aus

Das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU war Verschlusssache. Nun gibt es zunehmend Protest.

ZEIT-Journalisten und Grünenpolitiker veröffentlichen geheime EU-Verhandlungspositionen im Netz, auf neudeutsch: Sie „leaken“. Eine junge Frau sammelt via Facebook Unterschriften an den Bundestag gegen das Freihandelsabkommen. Die NGO Campact ruft unter dem Motto „Spot an, TTIP aus“ zu einem Filmwettbewerb gegen die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ auf. Die Bundestagsgrünen laden im Vorfeld der Europawahl dazu ein, EU-Kommissionspräsident Barroso online ein TTIP-Gift-Menü zu schicken – mit undurchsichtiger Verhandlungsbrühe nach Art des Weißen Hauses als Entrée.

Kurz vor der Wahl wächst der Widerstand gegen Tii-Tipp, wie Insider es nennen. Monatelang schien es skandalös ruhig um das Abkommen, das der Handelsausschuss der EU-Kommission, namentlich Kommissar Karel de Gucht, mit Unterhändlern aus den USA streng vertraulich berät. Nur wenige Medien griffen das Thema kritisch auf – die Süddeutsche Zeitung hob sogar monatelang die angeblichen wirtschaftlichen Vorteile hervor: neuer Reichtum für alle Bürger, mehr Arbeitsplätze, wachsende Wirtschaft. Doch selbst das wirtschaftsnahe Ifo-Institut bezweifelt, dass TTIP so viele neue Jobs bringt, wie die EU euphorisch annimmt.

Bei TTIP geht es – neben dem Wegfall aller Zölle – um den Abbau „nicht tariffärer Handelshemmnisse“. Also darum, unterschiedliche Standards zwischen der EU und den USA anzugleichen. Kritiker befürchten, dass das den EU-Emissionshandel bedroht. Dass es Tür und Tor öffnet für mit Chlor konservierte Hähnchen, genmanipulierten Mais und Hormonfleisch. Dass es umweltzerstörende Energiefördermethoden möglich macht, wie das Fracking. Dass es die Nachhaltigkeitsstandards für Biosprit unterhöhlt. Die EU-Kommission beteuert zwar, dass europäische Umwelt- und Sozialstandards nicht angetastet werden. Doch wird es erst einmal rechtlich möglich, solche Standards anzugreifen, besteht die Gefahr, dass genau das passiert.

Zumal mit einer höchst umstrittenen Klausel: dem Klagerecht privater Investoren gegen den Staat vor Schiedsgerichten. Andere Handelsabkommen enthalten das bereits. Es klingt bananenrepublikwürdig: Passt einem Konzern eine Staatsentscheidung nicht, kann er vor Ad-hoc-Geheimgerichten klagen. Die Schiedsrichter sind Wirtschaftsanwälte, die in anderen Verfahren durchaus auch mal die Investoren vertreten, über deren Fall sie hier zu entscheiden haben. Das Berliner Forschungsinstitut ecologic kommt in einer Studie für das EU-Parlament zu dem Schluss, dass die Klausel „erhebliche Risiken für die Umweltregulierung“ berge. Deutschland hat es bereits erlebt: Weil der Konzern Vattenfall zwei AKW wegen des Atomausstiegs abstellen musste, will er 3,5 Milliarden Euro Entschädigung. Ausgang offen.

Wegen des heftigen Protests gegen die Schiedsgerichte verkündete Handelskommissar de Gucht Ende Januar, die Verhandlungen darüber zunächst auszusetzen und eine öffentliche Konsultation zu starten. Die Beratungen über TTIP gehen vermutlich bis mindestens 2015 weiter. EU-Rat und Parlament, über dessen Zusammensetzung die Wahl Ende Mai entscheidet, werden das Abkommen am Ende annehmen – oder ablehnen. Also: Wahlkampf machen. Mit Unterschriften gegen Tii-Tipp protestieren. Kreativ werden. Oder wenigstens die undurchsichtige Verhandlungsbrühe an Barroso schicken.    

Kirsten Lange

fairkehr 5/2023