fairkehr VCD-Magazin für Umwelt, Verkehr, Freizeit und Reisen

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Ein Pfad führt über eine grüne Alm
Ein Junge gießt Pflanzen, die in einer Holzkiste wachsen
Eine Seilbahngondel schwebt über eine dicht bebaute Stadt

Titel 1/2014

Rot sehen, locker bleiben

Bis zu anderthalb Minuten müssen Fußgänger an der Bonner Hauptbahnhofampel Richtung Stadt warten. fairkehr-Mitarbeiterinnen haben deshalb einen Flashmob organisiert. 

Foto: Volker LannertYoga-Übungen an einer Ampel am Bonner City-Ring: Ende Januar setzten etwa 25 Flashmobber mit ihrer Form des kreativen Protests ein Zeichen für mehr Fußgängerfreundlichkeit, aktiviert via Web von der fairkehr-Redaktion.

Himmel, die Ampel ist wirklich richtig lange rot! Unglaublich. Vor Empörung verliere ich fast die Balance, die umstehenden Yoga-Genossinnen und -genossen geraten ebenfalls ins Straucheln. Der Wald aus Dynamischen Bäumen schwankt. Tief durchatmen, wieder runterkommen. Die Handflächen über dem Kopf zusammen-, den rechten Fuß auf dem linken Oberschenkel ablegen. Locker bleiben, auch bei ungerechter Ampelschaltung. Deshalb sind wir ja hier, beim Yoga-Flashmob gegenüber vom Bonner Hauptbahnhof, den wir, zwei fairkehr-Kolleginnen und ich, selbst organisiert haben. Etwa 25 Menschen – Kollegen, Freunde, Internetkontakte, Passanten – heben synchron das linke Bein, strecken die Arme zur Seite, atmen ein und wieder aus. Die Kolleginnen Valeska und Petra stehen in Fitnesshose vor der sanft wogenden Menge, geben lächelnd Anweisungen, machen vor, wir machen nach.

Aus einer kleinen Box erklingt leise Entspannungsmusik. Die Autos, Busse und U-Bahnen auf dem City-Ring, der die Innenstadt vom Bahnhof abschneidet, ertränken die beruhigenden Klänge. Anderthalb Minuten Rot für Fußgänger, da sind gleich mehrere Durchgänge der Atemübung drin – und der Dynamische Baum hat viel Zeit zum Wachsen. Da, die Ampel springt auf Grün. Jubeln, Klatschen, Hurra-Rufe – von kurzer Dauer, denn mehr als 15 Sekunden Zeit lässt die Ampel den Fußgängern nicht, um über den Ring zum Bahnhof oder ins Zentrum zu gelangen. Die letzten laufen schnell noch bei Rot. Ein übliches Bild an dieser Stelle.

Wir Yogamobber zerstreuen uns, mischen uns unter die Passanten, die an diesem Samstagfrühnachmittag auf dem Weg aus der oder in die Bonner Innenstadt sind. In einer Viertelstunde werden wir uns wiedersehen, zum Ampelyoga-Durchgang Nummer 2.

Foto: ArchivVor genau 20 Jahren stellte der VCD ein Sofa an die Ampel vorm Bonner Hauptbahnhof, um auf die lange Rotphase hinzuweisen. Seitdem hat sich an der Ampelschaltung nichts geändert – aber an der Art, politische Aktionen zu organisieren.

Unser erster Flashmob – ein Erfolg. Das Internet und die sozialen Medien habens möglich gemacht. Was früher „Sponti-Aktion im öffentlichen Raum“ oder ähnlich hieß, ist heute der Flashmob: eine scheinbar zufällige Versammlung von Menschen, die alle Gleiches tun und meistens Ungewöhnliches – ob mit politischer Botschaft (Smartmob) oder einfach, um zu unterhalten. Die Teilnehmer verabreden sich online, einigen sich auf Uhrzeit, Ablauf, besondere Zeichen, Kleidung. Über die neuen Medien können Flashmob-Macher die Masse in kurzer Zeit mobilisieren.

Die Botschaft verbreitet sich von selbst im Netz

Wir wollten sie ausprobieren, die verkehrspolitische öffentliche Aktion, organisiert via Web. Unsere Botschaft: An manchen Ampeln warten wir Fußgänger einfach zu lang – doch wir entspannen uns und nutzen diese Zeit sinnvoll, mit Yoga. Unsere Kanäle: Twitter, Facebook, verschiedene Flasmob-Onlineplattformen, darunter eine spezielle für Yogamobs. Etwas klassischer: E-Mail an Bekannte, Freunde, Verbündete – in diesem Fall die Bonner Umweltverbände. Ganz altmodisch: die persönliche Ansprache, von Kollegen, Familie, Partnern.

Am Ende zeigt sich: Alle Kanäle haben funktioniert. Unsere Botschaft hat sich, wie erhofft, eigenständig im Netz verbreitet. Mails wurden weitergeleitet, Facebook-Links geteilt, unsere Beiträge auf Flashmob-Plattformen von Internetnutzern auf anderen Aktionsseiten im Netz gepostet. Von Oberstufenschüler Yorick beispielsweise. Er nimmt jeden Flashmob im Köln-Bonner Raum mit – leider insgesamt zu wenige, wie er sagt. Mit seinem Post auf einer Seite für gemeinsame Freizeitaktivitäten aktivierte er weitere Flashmob-Fans.

Was die Social-Media-Kanäle ebenfalls möglich machen: die nachträgliche Verbreitung und Diskussion unserer Botschaft im www. So hat – neben verschiedenen Blogs – auch der Bonner General-Anzeiger berichtet: gedruckt, online und auf seiner Facebook-Seite. Mehr als 110 „Daumen hoch“ gibt es dort für die Aktion, die Leser debattieren, ob die Ampelschaltung am Bonner Hauptbahnhof nun sinnvoll sei oder nicht.

Zweite Yoga-Runde. Die Flashmob-Menge hebt noch eleganter und synchroner als zuvor beide Arme, das rechte Bein, das linke. Wir sind im Fluss, das bringt richtig Spaß. Blick zur Ampel: Rot. Also starten wir die Choreografie ein drittes Mal. Grün. Applaus – die Mitmobber verabschieden sich, manche bleiben, um zu plaudern. Gegen 15 Uhr, eine Stunde nach der verabredeten Uhrzeit, schlendert ein etwa 1,90 großer, hagerer Niederländer mit weißer Mähne an. „Seid ihr für den Yogamob da?“, fragt er. Das ist Tiefenentspannung an Aufreger-Ampeln.

Kirsten Lange

Der Flashmob bei Facebook

fairkehr 5/2023